Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky
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Sprachen sie? Ich konnte es nicht hören. Ich stand wieder auf und kroch unter die Dusche. Eine süße Müdigkeit befiel mich – und ein fast zwanghafter Trieb, hinzugehn und ihnen Rosen auf die Decke … wo bekommt man denn jetzt nachts Rosen her … das ist ja – Jemand war an der Tür.
»Du kannst gute Nacht sagen!« sagte die Prinzessin. Ich ging hinein.
Billie sah mich lächelnd an; das Lächeln war sauber. Die Prinzessin lag neben ihr, so still. Zu jeder ging ich, und jede küßte ich leise auf den Mund. »Gute Nacht …« und »Gute Nacht …« Kräftig rauschten draußen die Bäume. Eine Sekunde stand ich noch am Bett.
»Wie ist denn das alles so plötzlich gekommen?« sagte die Prinzessin leise.
Fünftes Kapitel
Das war ein Wurf! sagte Hans –
da warf er seine Frau zum Dachfenster hinaus.
Einer von den Tagen, wie sie sonst nur im Spätsommer vorkommen: bunt, gesättigt und windstill. Wir lagen am Seeufer.
Ein paar Meter vor uns schaukelte ein Boot, unser Badeboot – das Wasser gluckste leise gegen das Holz, auf und ab, auf und ab … Wenn man die Hand ins Wasser hielt, gab das ein winziges Kältegefühl, dann zog man sie wieder heraus, und dann trockneten die Tropfen in der Luft. Ich rauchte einen Grashalm, die Prinzessin hielt die Augen geschlossen. »Heute ist vorgestern«, sagte sie. Das war so ihre Art der Zeitrechnung; da wir übermorgen fortfahren wollten, so war heute vorgestern.
»Wo mag sie jetzt sein?« fragte ich. Die Prinzessin sah auf die Uhr: »Jetzt ist sie zwischen Malmö und Trälleborg«, sagte sie; »in einer Stunde steigt sie auf die Fähre.« Dann schwiegen wir wieder. Billie – dachte ich – Billie …
Sie war abgefahren: leise, heiter, froh – und es war nichts gewesen, es war nichts gewesen. Ich war glücklich; es hatte keinen Schatten gegeben. Gott sei Dank nein. Ich sah zur Prinzessin hinüber. Sie mußte den Blick gespürt haben; sie öffnete die Augen.
»Wo bleibt die Frau Collin? Watt seggst to det Ei? Hett de Katt leggt!«
Die Frau Collin hatte nicht geschrieben – und wir wollten doch fort. Wir mußten fort; unser Urlaub war abgelaufen. Noch einmal telephonieren? Schließlich und endlich … »Diese dämliche Person«, schimpfte ich vor mich hin. »Man muß doch das Gör da herauskriegen! Himmelhergottdonner …« – »Daddy, du repräsentierst ein Volk!« sagte die Prinzessin würdevoll, als ob uns die schwedischen Bäume hören könnten. »Du sollst des Anstands gedenk sein!« Ich sagte ein zweisilbiges Wort. Woraufhin mich die Prinzessin mit etwas Mälarsee anspritzte. Und da wollte ich sie in den See werfen. Und da lag ich drin.
Ich pustete sie mit Wasser voll wie ein Elefant, sie warf mir Hölzchen an den Kopf … dann legte sich das alles. Ich kroch heran, und wieder saßen wir friedlich zusammen.
»Was machen wir aber wirklich?« fragte ich triefend. »Warten? Wir können nun nicht mehr warten! Du mußt am Dienstag zu Hause sein, und auf mich lauern sie auch. Mal muß der Mensch doch wieder arbeiten! Hier vertue ich meine kostbare Zeit mit dir …« Sie hob drohend den Arm. Ich rückte ein Stückchen weg. »Ich meinte nur. Aber wollen wir telephonieren? Ja?«
»Nun wollen wir erst mal zu Ende baden«, sagte die Prinzessin. »Wenn wir nachher nach Gripsholm kommen, werde ich dir alles sagen. Holla – hopp!«
Und wir schwammen.
»Paß auf –«, pustete ich dazwischen, »sie wird es nicht tun, die Frau Collin. Wahrscheinlich hat sie sich das überlegt – ich hatte so den Eindruck, daß sie den kleinen Gegenstand gar nicht bei sich haben will – vielleicht führt sie ein uhrenhaftes Leben …« Die Prinzessin kniff mich ins Bein. »Oder sie traut uns nicht und denkt, wir werden das Kind entführen. Aber der Frau Adriani hat sie getraut. Na, du wirst es sehen! Diese Weiber! Aber das sage ich dir, Alte: wenn sie heute nicht schreibt! Nie wieder in meinem Leben kümmere ich mich um fremde Kinder. Um fremde nicht! Um deine auch nicht! Um meine auch nicht! Himmelkreuzund …« – »Daddy«, sagte die Prinzessin. »Solang as ich dir kenn, hältst du ümme weise Redens über das, wasse tun wirst, und mehrstenteils kommt nachher allens ganz anners. Aber dascha so bei die Männers. Bischa mallrig!« – »Ich werde …« – »Ja, du wirst. Wenn sie dir das Futurum wegnehmen, dann bleibt da aber nicht viel.« – »Person!« – »Selber!« Huburr der ganze See fing an zu schaukeln, weil wir eine wilde Seeschlacht veranstalteten. Dann schwammen wir ans Ufer.
Auf dem Wege zum Schloß: »Mein Alter hat gar nicht geschrieben … sie werden ihn doch nicht in Abbazia an ein öffentliches Haus verkauft haben?« – »Na, ob da Bedarf für ist …« – »Daddy, wo ist eigentlich der Dackel?« – »Dein Kofferdackel?« – »Ja.« – »Der steht doch … der steht unter meinem Bett. Nachts bellt er.« Wir gingen ins Haus.
Die Prinzessin pfiff wie ein Lockvogel. Was gab’s?
Der Brief war da – ein dicker Brief. Sie riß ihn auf, und ich nahm ihn ihr fort, dann flatterten die Bogen auf den Boden, wir sammelten sie auf und brachen in ein fröhliches Geschrei aus. Da war alles, alles, was wir brauchten.
»Das ist fein. Na – aber nun! Wie nun?«
»Das beste is«, sagte die Prinzessin, »wir gehn gliks mal eins hin un holen uns dem Kinde her von diese alte Giftnudel. Auf was wolln wi nu noch warten?«
»Jetzt essen wir erst mal Mittag, und dann gleich nach Tisch … Krach ist gut für die Verdauung.«
Wir saßen grade bei den Preiselbeeren, diesem mild brennenden Kompott, da hörten wir draußen vor der Tür ein Getöse, das Ungewöhnliches anzeigte. Wir ließen die Löffel sinken und horchten. Nun –?
Die Schloßfrau kam herein; sie sah aus wie ein Extrablatt.
»Da ist ein Kind draußen«, sagte sie und sah uns ganz leicht mißtrauisch an, »ein kleines Mädchen – sie weiß nicht, was Sie heißen, aber sie sagt, sie will zu den Mann und der Frau, die ihr eine Puppe gegeben hat, und sie weinten die ganze Zeit und sie bin so rot im Gesicht … Kennen Sie das Kind?« Wir standen gleich auf. »O ja – das Kind kennen wir schon.« Hinaus.
Da stand der kleine Gegenstand.
Sie sah recht zerrupft aus, verweint, die Haare hingen ihr ins Gesicht, vielleicht war sie schnell gelaufen. Das Kind war nicht recht bei sich. Als es Lydia sah, lief es rasch auf sie zu und versteckte sein Gesicht an ihrem Kleid. »Was hast du denn? Was ist denn?« Die Prinzessin beugte sich nieder und verwandelte sich aus dem Sportmädchen von heute morgen in eine Mama; nein, sie war beides. Die Schloßfrau stand dabei, ein Schwamm der Neugierde – sie saugte es alles auf. Also?
Das rote Weib hatte das Kind geprügelt und geknufft und so laut geschrien; das Kind war fortgelaufen. Es war wohl nicht mehr auszuhalten gewesen. Und nun zitterte das Kind und zitterte und sah nach der Tür. Kam sie –? Frau Adriani würde sie holen. Frau Adriani würde sie holen. Es war nur bruchstückweise aus ihr herauszubekommen, was es gegeben hatte. Schließlich wußten wir alles.
Wir standen herum. »Ich gebe sie nicht mehr heraus«, sagte ich. »Nein … natürlich nicht«, sagte die Prinzessin. Die Schloßfrau: »Senden Sie nicht das Kind zurück?« Der kleine Gegenstand begann laut zu weinen: »Ich will nicht zurück! Ich will zu meiner Mutti!« – »Noch einen schwarzen Kaffee«, sagte ich zur Prinzessin, »und dann