Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky
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Читать онлайн книгу Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte - Kurt Tucholsky страница 30
Es war kein alter Bordeaux – aber es war ein schwerer Bordeaux. Das Zimmer lag im abgeblendeten Schein der Lampen, es war so warm und heimlich, und wir kuschelten uns.
»Schon?« fragte ich. Die Damen wollten schlafen gehn. »Aber wenn ihr im Bett seid«, sagte ich, »dann laßt die Tür noch offen – damit ich höre, was ihr euch da erzählt!« Ich ging und zog mich aus. Dann klopfte ich. »Willst du …!« sagte die Stimme der Prinzessin. »Wird hier ehrsame Damens bei der Toilette stören! Mädchenschänder! Wüstling! Blaubart! Ein albernes Geschlecht –!« Wo aber war mein Eau de Cologne? Mein Eau de Cologne war da drin – so ging das nicht! Man ist doch ein feiner Mann. Ich klopfte wieder. Geraschel. »Ja?« Ich trat ein.
Sie lagen im Bett, Billie in meinem: sie hatte einen knallbunten Pyjama an, auf dem hundert Blumen blühten, jetzt sah sie aus, wie die wilde Lieblingsfrau eines Maharadschas … sie lächelte ruhig in ihr Rätselblatt. Sie war beinah schön. »Was willst du?« fragte die Prinzessin. »Mein Eau …« – »Haben wir all ausgebraucht!« sagte sie. »Nu wein man nicht – ich kauf dir morgen neues!« Ich brummte. »Habt ihr denn fertig gelöst?« – »Wenn wir dich brauchen, rufen wir dich … Gute Nacht darfst du auch sagen!« Ich ging an sie heran und sagte artig zu jeder gute Nacht, mit zwei tiefen Verbeugungen. »Billie, was haben Sie für ein schönes Parfüm!« Sie sagte nichts; ich wußte, was es war. Das Parfüm »arbeitete« auf ihrer Haut – es war nicht das Parfüm allein, es war sie. Und sie hatte für sich das richtige ausgewählt. Die Prinzessin bekam einen Kuß, einen ganz leise bedauernden Kuß. Dann ging ich. Die Tür blieb offen.
»Halbedelstein –«, hörte ich Billie sagen. »Halbedelstein … Laß mal: Saphir … nein. Rubin … nein. Opal … auch nicht. Lydia!« – »Topas!« rief ich aus meinem Zimmer. »Ja – Topas! Du bist ein kluges Kind!« sagte die Prinzessin. »Nun – nein, so geht das nicht – laß doch mal –« Jetzt rauften sie, die Betten rauschten, Papier knatterte … »Hiii –!« rief Billie in einem ganz hohen Ton. Etwas zerriß. »Du dumme Person!« sagte die Prinzessin. »Komm – jetzt schreiben wir das noch mal auf dies Papier … da stimmt doch was nicht! Wir haben eben falsch ausgestrichen …« – »Der Doktor Pergament kann Silbenrätsel ohne Bleistift lösen!« rief ich. Sie hörten gar nicht zu. Sie waren wohl sehr eifrig bei der Arbeit. Pause. Die Prinzessin: »Hauch … Hast du sowas gesehn? Was ist Hauch?« – »Atem!« sagten Billie und ich gleichzeitig. Es war wie ein Einverständnis. Wieder raschelten sie. »Das ist ja ganz falsch! Der Inbegriff alles sinnlich Wahrnehmbaren – sinnlich Wahrnehmbaren …« Jetzt waren sie offenbar am Ende ihres Lateins, denn nun wurde es ganz still – man hörte gar nichts mehr. »Ich weiß nicht …«, sagte die Prinzessin. »Das ist bestimmt ein Druckfehler!« – »Druckfehler bei Silbenrätseln gibt es nicht!« rief ich. – »Du halt deinen Schnabel, du alte Unke!« – »Laß doch mal …« – »Gib mal her …« – »Weißt du Rats?« Beide: »Wir wissen nichts.« – »Es muß ein Erwachsener kommen«, sagte ich. »Da laßt mich mal ran.« Und ich stand auf und ging hinein. Ich nahm einen Stuhl und setzte mich zur Prinzessin. Einen Augenblick lang hatte der Stuhl in meiner Hand geschwankt; er wollte zu Billie, der Stuhl. »Also – gebt mal her!« Ich las, warf das Papier herunter, hob es wieder auf und probierte mit dem Bleistift auf einem neuen Blatt. Die beiden sahen spöttisch zu. »Na?« – »So schnell geht das nicht!« – »Er weiß ja auch nicht!« sagte Billie. »Wir wollen erst mal alle in den Rotwein steigen!« sagte ich. Das geschah.
»Sehr hübsch«, sagte die Prinzessin. »Rotweinflecke haben Hausfrauen gern, besonders auf Bettwäsche. Du altes Ferkel!« Das galt mir. »Die gehn doch raus«, maulte ich. »Salzflecke werden gereinigt, indem man Rotwein darüber gießt«, lehrte die Prinzessin. Und dann lagen sie wieder beide bäuchlings an ihrem Blatt und lösten. Und es ging nicht vorwärts. Billie hatte die Haare aus der Stirn gestrichen und sah wie ein Baby aus. Wie ein Babybild von Billie. Wie rund ihr Gesicht war, wie rund. »Ge … Geweihe –!« schrie Billie. »Geweihe! Für Jagdtrophäen! Siehst du, das haben wir vorhin nicht gewußt! Aber wohin gehört chrys – chrys …« – »Ich auch!« Nun lag ich halb auf dem Bett, bei der Prinzessin, und starrte angestrengt auf die Bleistiftschreiberei. »Chrysopras!« sagte ich plötzlich. »Chrysopras! Gebt mal her!« Die beiden schwiegen bewundernd, und ich genoß meine lexikalische Bildung. Wir horchten. Ein Windstoß fuhr gegen die Scheiben, draußen trommelte der Nachtregen.
»Kalt ist das …«, sagte ich. »Komm zu mir!« sagte die Prinzessin. »Du erlaubst doch, Billie?« Billie erlaubte. Ganz still lag ich neben der Prinzessin.
»Gestalt aus Shakespeares Sturm …« Allmählich rann die Wärme Lydias zu mir herüber. Mir lief etwas leise den Rücken hinunter. Billie rauchte und sah an die Decke. Ich legte meine Hand hinüber – sie nahm sie und streichelte mich sanft. Ihr Ring blitzte matt. Noch lagen wir beieinander wie junge Tiere – wohlig im Zusammensein und froh, daß wir beisammen waren: ich in der Mitte, wie geborgen. Billie fing an, in der Kehle zu knurren. »Was knurrst du da?« sagte Lydia. »Ich knurre«, sagte Billie. Gestalt aus Shakespeares Sturm … War es das Wort? Das Wort Sturm? Wenn Bienen andre Bienen zornig summen hören, werden sie selber zornig. War es das Wort Sturm? Oben in den Schulterblättern begann es, ich dehnte mich ein ganz klein wenig, und die Prinzessin sah mich an. »Was hast du?« Niemand sagte etwas. Billie knackte mit meinen Nägeln. Wir hatten das Blatt sinken lassen. Es war ganz still.
»Gib mal Billie einen Kuß!« sagte die Prinzessin halblaut. Mein Zwerchfell hob sich – ist das der Sitz der Seele? Ich richtete mich auf und küßte Billie. Erst ließ sie mich nur gewähren, dann war es, wie wenn sie aus mir tränke. Lange, lange … Dann küßte ich die Prinzessin. Das war wie Heimkehr aus fremden Ländern.
Sturm!
Als Zephir begann es – wir waren »außer uns«, denn jeder war beim andern. Es war ein Spiel, kindliche Neugier, die Freude an einer fremden Brust … Ich war doppelt, und ich verglich; drei Augenpaare sahen. Sie entfalteten den Fächer: Frau. Und Billie war eine andre Billie. Ich sah es mit Staunen.
Ihre Züge, diese immer ein wenig fremdartigen Züge, lösten sich; die Augen waren feucht, ihre Gespanntheit wich, und sie dehnte sich … Der Pyjama erblühte bunt. Nichts war verabredet, alles war wie gewohnt – als müßte es so sein. Und da verloren wir uns.
Es war, wie wenn jemand lange mit seinem Bobsleigh am Start gestanden hatte, und nun wurde losgelassen – da sauste der Schlitten zu Tal! Wir gaben uns jenem, der die Menschen niederdrückt und aufhebt, zum tiefsten und höchsten Punkt zugleich … ich wußte nichts mehr. Lust steigerte sich an Lust, dann wurde der Traum klarer, und ich versank in ihnen, sie in mir – wir flüchteten aus der Einsamkeit der Welt zueinander. Ein Gran Böses war dabei, ein Löffelchen Ironie, nichts Schmachtendes, sehr viel Wille, sehr viel Erfahrung und sehr viel Unschuld. Wir flüsterten; wir sprachen erst übereinander, dann über das, was wir taten, dann nichts mehr. Und keinen Augenblick ließ die Kraft nach, die uns zueinander trieb; keinen Augenblick gab es einen Sprung, es hielt an, eine starke Süße erfüllte uns ganz, nun waren wir bewußt geworden, ganz und gar bewußt. Vieles habe ich von dieser Stunde vergessen – aber eins weiß ich noch heute: wir liebten uns am meisten mit den Augen.
»Mach das Licht aus!« sagte Lydia. Das Licht erlosch, erst die große Krone im Zimmer, dann das Lämpchen auf dem Nachttisch.
Wir lagen ganz still. Am Fenster war ein schwacher Schein. Billies Herz klopfte, sie atmete stark, die Prinzessin