Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky
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Читать онлайн книгу Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte - Kurt Tucholsky страница 27
»Sei still!« rief die Prinzessin in ein Fenster hinein, an dem ein Papagei in seinem Käfig krächzte, »sei still! Sonst wirst du ausgestopft!« Das Tier mußte wohl deutsch verstehn – denn nun schwieg es. Billie lachte. »Ihr wolltet doch noch englische Sauce kaufen«, sagte sie in einer jener Ideenverbindungen, derer nur Frauen fähig sind. »Tun wir auch – komm, wir gehen in die Fruktaffär, die haben alles.« Die Schweden schreiben manche Fremdwörter phonetisch, das macht viel Spaß. Wir kauften also englische Sauce, die Prinzessin beroch mißtrauisch die verstöpselte Flasche und machte mit Händen und Füßen dem Verkäufer das Leben schwer; Billie warf ein Glas mit Senfgurken herunter, die solches aber gut überstanden, sie kamen mit dem Schreck davon und schäumten nur noch eine Weile in ihrem Essig … »Sieh mal, so viel Salz!« sagte ich. Die Prinzessin sah das Faß an: »Als Kind habe ich immer gedacht: wenn in ein Salzmagazin ein Tropfen Wasser fällt, dann verzehrt er das ganze Lager.« Darüber mußte ich scharf nachdenken und vergaß beinah, hinter den beiden herzugehn, sie standen schon auf der Straße und knabberten Rosinen. »Und dem Kind nehmen wir eine Puppe mit«, sagte die Prinzessin. »Kommt mal rüber! Ach, bleibt da – ich werde schon … nein, Billie kommt mit!« Einen winzigen Augenblick lang tat mir das leid; ich hätte gern mit Billie allein auf der Straße gestanden. Was hätten wir uns dann erzählt? Nichts, natürlich.
»Habt ihr?« – »Wir haben«, rief Billie. »Zeigt mal«, bat ich. »Doch nicht hier auf der Straße!« sagte sie. »Meinst, die Puppe wird sich verkühlen?« sagte die Prinzessin und wickelte an dem Paket herum. Ich guckte hinein. Da lag ein Schwedenmädchen, in der Landestracht von Dalarne, bunt und lustig. Sie wurde wieder zugedeckt. »Einpacken ist seliger denn nehmen«, sagte die Prinzessin und band die Schnur zu. »Ja, dann wollen wir mal … Ob sie schießt, die liebe Dame?« – »Laß mich nur …!« – »Nein, Daddy, ich laß dich gar nicht. Du greifst erst zu, wenn sie frech wird und alles drunter und drüber geht. Sag du die Einleitung, und daß wir den Brief bekommen haben und alles, und dann werde ich mal mit ihr.« – »Und ich?« fragte Billie. »Du legst dich derweil in den Wald, Billie; wir können unmöglich zu der Frau wie ein rächender Heerhaufe geströmt kommen. Dann ist gleich alles verloren. Es ist schon dumm – hier geht’s lang – schon dumm, daß wir zwei sind. Zwei gegen einen – da knurrt der ja schon von vornherein …« – »Na, mehr als die kann man nicht gut knurren. Ist das ein Deubel!« Ich hatte Billies Arm genommen. »Arbeiten Sie hier eigentlich?« fragte Billie. »Ich werde meiner Arbeit was blasen!« sagte ich. »Nein – hier legen wir eine schöpferische Pause ein … Billie, Sie sind ein netter Mann«, sagte ich ganz unvermittelt. »Na, junges Volk«, sagte die Prinzessin und machte ein Gesicht wie eine wohlmeinende Tante, die eine Verlobung in die Wege leitet, »das ist hübsch, wenn ihr euch gern habt!« Ich hörte die Untertöne, in diesem Augenblick fühlte ich, daß es echte Freundinnen waren – hier war keine Spur von Eifersucht; wir hatten uns übers Kreuz wirklich gern, alle drei. Jetzt kam mir der Weg bekannt vor, da war das Gatter, und da lag das Kinderheim.
Billie war langsam weitergegangen, wir kamen an die Tür. Keine Klingel. Hier sollte wohl nicht geklingelt werden. Wir klopften.
Nach langer Zeit näherten sich Schritte, ein Mädchen öffnete. »Kan Ni tala tyska?« fragte ich. »Guten Tag … ja, ja … was wollen Sie denn?« sagte sie lächelnd. Sie freute sich offenbar, mit uns deutsch sprechen zu können. »Wir möchten zu der Frau Adriani«, sagte ich. »Ja … ich weiß nicht, ob sie Zeit hat. Frau Adriani hält grade Appell ab, das heißt also … sie sieht den Kindern die Sachen nach. Ich werde … einen Augenblick mal …«
Wir standen in einer grau gekalkten Halle, die Fenster waren durch Holzleisten in kleine Vierecke abgeteilt; wie Gitter, dachte ich. An der Wand ein paar schwedische Königsbilder. Jemand kam die Treppe herunter. Die Frau.
»Guten Tag«, sagten wir. »Guten Tag«, sagte sie, ruhig. »Wir kommen im Auftrag der Frau Collin in Zürich und möchten gern einmal mit Ihnen wegen der Kleinen sprechen.« – »Haben Sie … einen Brief?« fragte sie lauernd. »Jawohl.« – »Bitte.«
Sie ging voran und ließ uns in ein großes Zimmer, eine Art Saal, hier aßen wohl die Mädchen. Lange Tische und viele, viele Stühle. In einer Ecke ein kleinerer Tisch, an den setzten wir uns. Wir nannten unsere Namen. Sie sah uns fragend und kalt an.
»Da hat uns die Frau Collin geschrieben, wir möchten nach ihrem Kind sehn – sie könnte diesen Sommer leider nicht nach Schweden kommen, hätte es aber gern, wenn sich von Zeit zu Zeit jemand um das Kind kümmerte.« – »Um das Kind kümmere ich mich«, sagte Frau Adriani. »Sind Sie mit Frau Collin … bekannt?« – »Nun wäre es vielleicht vorteilhaft, wenn wir die Kleine sprechen könnten; da sind auch Grüße von der Mama zu bestellen und ein Auftrag auszurichten.« – »Was für ein Auftrag?« – »Ich werde ihn der Kleinen selber ausrichten – selbstverständlich in Ihrer Gegenwart. Dürfen wir sie sprechen?« – Frau Adriani stand auf, rief etwas auf schwedisch zur Tür hinaus und kam zurück.
»Ich finde Ihr Verhalten mehr als merkwürdig, das muß ich schon sagen. Neulich konspirieren Sie mit dem Kind, mischen sich in meine Erziehungsmethoden … Was ist das? Wer sind Sie eigentlich?« – »Unsre Namen haben wir Ihnen gesagt. Übrigens …« – »Frau Adriani«, sagte die Prinzessin, »niemand will Sie hier kontrollieren oder sich in Ihre Arbeit einmischen. Sie haben sicherlich viel Mühe mit den Kindern – das ist ja klar. Aber wir möchten doch die Mama in jeder Weise informieren …« – »Das besorge ich schon«, sagte Frau Adriani. – »Gewiß. Wir möchten ihr bestellen, daß wir die Kleine wohl und munter angetroffen haben … und wie es ihr geht, und … da kommt sie ja.«
Das Kind näherte sich schüchtern dem Tisch, an dem wir saßen; es ging unsicher und trippelnd und kam nicht ganz nah heran. Wir sahen es an; das Kind sah uns an …
»Na, Ada«, sagte die Prinzessin, »wie geht es dir denn?« – Die Stimme der Adriani: »Sag mal guten Tag!«, und das Kind zuckte zusammen und stotterte etwas wie guten Tag. »Wie geht’s dir denn?« – Die Frau Adriani ließ kein Auge von dem Kind. Das kleine Mädchen sprach wie hinter einer Mauer. »Danke … gut …«
»Ich soll dir auch einen schönen Gruß von deiner Mama bestellen«, sagte die Prinzessin. »Sie läßt dich grüßen – und dann fragt sie hier in diesem Brief« – die Prinzessin kramte in ihrem Täschchen – »ob das Grab von Will auch gut in Ordnung ist. Das war wohl dein kleiner Bruder?« – Das Kind wollte ja sagen – aber es kam nicht dazu. »Das Grab ist in Ordnung«, sagte Frau Adriani, »dafür sorge ich schon. Wir gehn alle paar Wochen auf den Friedhof, das ist Pflicht, natürlich. Und das Grab wird dort gut gepflegt, ich überwache das, ich trage die Verantwortung.« – »So, so …«, sagte die Prinzessin. »Und hier habe ich dir auch etwas mitgebracht, eine Puppe! Da! Spielst du denn auch schön mit den andern Mädchen?« Das Kind sah angstvoll hoch und nahm die Puppe; seine Augen verdunkelten sich; es schluckte, schluckte noch einmal, ließ dann plötzlich den Kopf sinken und fing an zu weinen. Es war so jämmerlich. Das Weinen warf alles um. Frau Adriani sprang auf und nahm das Kind bei der Hand.
»Du kommst jetzt heraus und gehst nach oben … das ist nichts für dich! Den Gruß hast du ja nun gehört, und …« – »Einen Augenblick«, sagte ich. »Ada, wenn du einmal etwas Wichtiges an deine Mutti zu bestellen hast: Wir wohnen im Schloß Gripsholm!« – »Hier wird gar nichts Wichtiges bestellt«, sagte die Frau Adriani recht laut und ging mit der Kleinen schnell zur Tür. »Was hier – da geh doch schon! – was hier zu bestellen ist, das wird durch mich bestellt – und du merk dir das …« Sie sprach draußen weiter, wir hörten sie