Gesammelte Werke. George Sand
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– Wer? Marcello? rief Consuelo, als sie den Professor Marcello’s Psalmen auf dem Pulte aufschlagen sah.
– Ja, Marcello! antwortete Porpora. Singe nur wie immer, nichts mehr, nichts weniger, und es wird gut sein.
Wirklich war Marcello, der damals in seinem letzten Lebensjahre stand, nach Venedig gekommen, um noch einmal seine Vaterstadt zu sehen, deren Zierde er als Komponist, als Schriftsteller und als Magistratsperson geworden war. Er hatte dem Porpora alle Artigkeit erwiesen und die Einladung angenommen, dessen Schule zu hören; Porpora aber gedachte ihm die Überraschung zu, dass er zuerst seinen eigenen prachtvollen Psalm: I cieli immensi narrano von Consuelo, welche ihn vollkommen inne hatte, hören sollte. Kein Stück hätte besser der frommen Entzückung entsprochen, in welcher sich die Seele des edlen Mädchens befand. Kaum glänzten die ersten Worte dieses großen, freien Gesanges vor ihren Augen, so fühlte sie sich in eine andere Welt entrückt. Vergessen hatte sie den Grafen Zustiniani, die missgünstigen Blicke ihrer Nebenbuhlerinnen, Anzoleto sogar, an nichts dachte sie als an Gott und an Marcello, der ihr wie ein Dolmetsch vorkam zwischen ihr und den leuchtenden Himmeln, deren Schönheit sie feierte. Und kann es in der Tat einen schöneren Gegenstand, einen erhabeneren Gedanken geben?
I cieli immensi narrano
Del grande Iddio la gloria
Il firmamento lucido
All’ universo annuncia
Quanto sieno mirabili
Della sua destra le opere.5
Ihre Wangen glüheten und ihre großen, schwarzen Augen blitzten von himmlischem Feuer, als sie das Gewölbe mit ihrer unvergleichlichen Stimme erfüllte, mit dem siegreichen, reinen, großartigen Vortrag, der nur denen möglich ist, welche hellen Verstand und tiefes Gefühl in sich vereinigen.
Marcello hatte die ersten Takte gehört, und ein Strom von Freudentränen brach aus seinen Augen. Der Graf, unfähig sein Entzücken zu bemeistern, rief aus: Bei allem Blute Christi, dieses Weib ist schön! Es ist Santa Cäcilia, Santa Theresa, Santa Consuelo! Es ist die Poesie, die Musik, der Glaube in Person. Anzoleto war ausgestanden, er konnte sich auf seinen brechenden Knien nur mit Hilfe seiner Hände erhalten, mit welchen er sich an das Gitter der Tribüne klammerte; er fiel atemlos, einer Ohnmacht nah, wie berauscht von Freude und Stolz, auf seinen Sitz zurück.
Alle Scheu vor der heiligen Stätte war nötig, dass nicht die zahlreichen Dilettanti samt der Menge welche die Kirche erfüllte, in wahnsinnige Beifallsbezeigungen wie im Theater ausbrachen. Der Graf hatte nicht Geduld genug, das Ende des Gottesdienstes abzuwarten, sondern ging auf die Orgel, um Porpora und Consuelo seine Bewunderung auszudrücken. Unter der Psalmodie der Choristinnen musste Consuelo auf der Tribüne des Grafen die Lobsprüche und den Dank Marcello’s entgegennehmen. Sie fand Marcello so bewegt, dass er kaum reden konnte.
– Meine Tochter, sagte er mit abgebrochener Stimme, empfange den Dank und den Segen eines Sterbenden. Du hast mir einen Augenblick bereitet, welcher mich Jahre tödlicher Schmerzen vergessen ließ. Mich dünkt, als wäre ein Wunder an mir geschehen, als wäre dieses unablässige, schreckliche Leiden vor dem Klange deiner Stimme auf immer von mir gewichen. Wenn die Engel dort oben singen, wie du, so sehne ich mich, diese Erde zu verlassen, um die ewigen Freuden zu schmecken, deren Vorahnung du mir verschafft hast. Sei denn gesegnet, mein Kind, und sei glücklich auf dieser Welt, wie du es verdienst. Ich habe die Faustina gehört, die Romanina, die Cuzzoni und alle die größten Sängerinnen der Erde: sie reichen dir nicht an die Knöchel. Dir ist es aufbehalten, die Welt vernehmen zu lassen was sie nie vernommen hatte, und sie fühlen zu lassen, was noch kein Mensch gefühlt hat.
Vernichtet und wie zerbrochen unter diesem prächtigen Lob, senkte Consuelo das Haupt, beugte ihr Knie fast zur Erde, und führte, unfähig ein Wort zu sprechen, die falbe Hand des erlauchten Sterbenden an ihre Lippen: als sie sich aber erhob, ließ sie auf Anzoleto einen Blick fallen, welcher ihm zu sagen schien: du hattest mich nicht erraten, Undankbarer!
11.
Während der übrigen Vesper entwickelte Consuelo eine solche Kraft und Tüchtigkeit, dass keine Zweifel weiter in der Seele des Grafen Zustiniani aufkommen konnten. Sie führte, unterstützte, und belebte die Chöre, griff in alle Stimmen ein, und bewies dadurch den wunderbaren Umfang und die mannigfaltigen Eigenschaften ihrer Stimme, sowie nicht minder die unerschöpfliche Stärke ihrer Lunge, oder besser, die Größe ihrer Kunstfertigkeit; denn wer zu singen versteht, wird nicht müde, und Consuelo sang mit nicht größerer Anstrengung und Mühe als andre Menschen atmen. Der klare und volle Klang ihrer Stimme war unter den hundert Stimmen ihrer Gefährtinnen deutlich zu vernehmen, nicht dass sie geschrien hätte, wie seel- und atemlose Sänger es machen, sondern weil ihr Ton rein und tadellos und ihr Vortrag unübertrefflich sauber war. Überdies fühlte und verstand sie die Meinung jeder Stelle bis ins Einzelste und Feinste.
Mit einem Worte, sie allein unter diesem Schwarme gewöhnlicher Geister, frischer Stimmen und willenloser Wesen, sie allein hatte Musik und war Meisterin. Unbewusst und prunklos trat sie als eine Macht auf und übte, so lange der Gesang währte, eine Herrschaft aus, deren Notwendigkeit jeder fühlte. Sobald der Gesang beendet war, machten ihr die Choristinnen innerlich ein Unrecht und ein Verbrechen daraus, und eine Jede, welche, wo sie sich unsicher fühlte, stets mit den Augen Consuelo befragt und fast angefleht hatte, maßte nun sich selbst die Lobsprüche an, welche der Schule Porpora’s in Masse gezollt wurden. Bei diesen Lobeserhebungen lächelte der Meister und sagte kein Wort: er sah nur Consuelo an, und Anzoleto verstand den Blick vollkommen.
Nach dem Gruß und Segen nahmen die Choristinnen an einem leckeren Mahle Teil, welches ihnen der Graf in einem der Sprachzimmer des Klosters auftragen ließ. Das Gitter trennte zwei große Tafeln, welche in Halbmondform einander gegenüber aufgestellt waren. In der Mitte des Gitters war nach dem Maße einer Riesenpastete eine Öffnung angebracht, durch welche die Schüsseln