Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson

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Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson - Robert Louis Stevenson

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war im Zweifel, ob ich davonlaufen sollte; aber der Zorn behielt die Oberhand und ich fing statt dessen an, mit Fäusten und Füßen gegen die Tür zu schlagen und laut nach Herrn Balfour zu schreien. Ich war in vollem Zug, als ich das Husten gerade über meinem Kopfe vernahm. Ich fuhr zurück, sah hinauf und erblickte den Kopf eines Mannes in einer großen Nachtmütze und die Mündung eines Gewehres in einem der Fenster des ersten Stockwerkes.

      »S' ist geladen«, sagte die Stimme.

      »Ich bin mit einem Brief hergekommen«, sagte ich, »für Herrn Ebenezer Balfour von Shaws. Ist er hier?«

      »Von wem ist er?« fragte der Mann mit der Flinte.

      »Das ist weder hier noch dort«, sagte ich, denn ich wurde ganz wütend.

      »Gut,« war die Antwort, »du kannst ihn auf die Türschwelle legen und dich fortscheren.«

      »Das werde ich nicht tun«, rief ich. »Ich werde ihn Herrn Balfour selbst übergeben, so wie es mir aufgetragen worden war. Es ist ein Empfehlungsbrief.«

      »Was ist es?« rief die Stimme scharf.

      Ich wiederholte, was ich gesagt hatte.

      »Wer bist denn du selbst?« war die nächste Frage nach einer beträchtlichen Pause.

       »Ich schäme mich meines Namens nicht,« sagte ich, »man nennt mich David Balfour.«

      Daraufhin mußte der Mann wohl zurückgefahren sein, denn ich hörte das Gewehr am Fensterbrett rasseln; und erst nach einer ziemlich langen Pause und mit merkwürdig veränderter Stimme folgte die nächste Frage:

      »Ist dein Vater tot?«

      Ich war so überrascht, daß mir die Stimme versagte. Ich stand still und starrte ihn an.

      »Ja,« hub der Mann wieder an, »er wird wohl tot sein, zweifellos, und das führt dich auch her und darum klopfst du an meine Tür.« Wieder Pause und dann verächtlich: »Na gut, junger Mann,« sagte er, »ich will dich herein lassen.« Und er verschwand vom Fenster.

      Kapitel III

       Ich mache die Bekanntschaft meines Onkels

       Inhaltsverzeichnis

      Gleich darauf hörte man ein schreckliches Rasseln von Ketten und Riegeln, die Tür wurde vorsichtig geöffnet und, sobald ich hineingegangen war, gleich wieder hinter mir geschlossen.

      »Geh in die Küche, aber rühr' dort nichts an«, sagte die Stimme, und während der Hausbewohner daran ging, die Verschanzung der Tür wieder in Ordnung zu bringen, tastete ich meinen Weg vorwärts und trat in die Küche.

      Das Feuer brannte nun hübsch hoch und zeigte mir den kahlsten Raum, den ich nur jemals in meinem Leben gesehen hatte, glaub' ich. Ein halbes Dutzend Schüsseln standen auf dem Sims; der Tisch war für das Abendessen gedeckt: ein Teller Suppe, ein Holzlöffel und ein Becher dünnen Bieres. Außer den Dingen, die ich aufgezählt habe, war auch nicht ein einziger Gegenstand in diesem großen, steinüberdeckten, leeren Raum, nur fest versperrte Kasten längs der Wände und ein Eckschrank mit einem großen Vorhängeschloß.

      Endlich, als die letzte Kette wieder vorgehängt war, kam mir der Mann nach. Er war ein schmächtiger, gebückter, schmalschultriger Kerl von fahler Gesichtsfarbe, und sein Alter mochte so zwischen fünfzig und sechzig liegen. Seine Nachtmütze war aus Flanell und ebenso sein Schlafrock, den er statt eines Rockes und einer Weste über seinem zerrissenen Hemd trug. Er war schon lange nicht rasiert, aber was mich am meisten abschreckte, ja sogar entsetzte, war, daß er die Augen weder von mir abwandte, noch mir gerade ins Gesicht sah. Was er nach Geburt und Stand sein mochte, war mehr als ich ergründen konnte; am ehesten glich er noch einem alten, unbrauchbaren Diener, dem man gegen ein Kostgeld die Aufsicht über dieses weitläufige Gebäude übergeben hatte.

      »Bist du müde gelaufen«, fragte er bis etwa zur Höhe meiner Knie schielend. »Kannst den Tropfen Suppen da essen.« Ich sagte, ich fürchtete, es wäre sein eigenes Essen.

      »Oh,« sagte er, »ich kann es leicht entbehren. Nur das Bier will ich nehmen, es lindert meinen Husten.« Er trank den Becher halb aus, wobei er mich während des Trinkens stets im Auge behielt und plötzlich streckte er die Hand aus und sagte: »Zeig' mir den Brief.«

      Ich sagte ihm, daß der Brief für Herrn Balfour wäre und nicht für ihn.

      »Und wer glaubst du, bin ich?« sagte er, »gib mir Alexanders Brief.«

      »Ihr kennt den Namen meines Vaters?«

      »'s wär' merkwürdig, wenn ich ihn nicht kennen sollte,« antwortete er, »er war doch mein leiblicher Bruder. Und so wenig ich und mein Haus und meine gute Suppe dir zu gefallen scheinen, so bin ich doch dein leiblicher Onkel, Davie, mein Junge, und du mein leiblicher Neffe. Also gib uns den Brief und setz' dich nieder und füll' dir den Magen.«

      Wäre ich einige Jahre jünger gewesen, so wäre ich zweifellos vor Scham, Müdigkeit und Enttäuschung in Tränen ausgebrochen. Aber so wie es war, konnte ich keine Worte finden, weder gut noch böse, sondern händigte ihm den Brief ein und setzte mich zur Suppe nieder, mit so geringer Lust zum Essen, wie nur je ein junger Mann empfunden haben mag.

      Inzwischen drehte mein Onkel, über das Feuer gebeugt, den Brief in seinen Händen hin und her.

      »Weißt du, was drin steht«, fragte er mich plötzlich.

      »Ihr könnt ja selbst sehen, Herr, daß das Siegel nicht erbrochen ist«, sagte ich.

      »Ja,« sagte er, »aber was hat dich hergeführt?«

      »Den Brief abzugeben«, sagte ich.

      »Nein,« sagte er schlau, »du hast doch sicherlich irgend welche Hoffnungen gehabt?«

      »Ich gestehe, Herr,« sagte ich, »als ich hörte, daß ich wohlhabende Anverwandte hätte, wiegte ich mich wohl in der Hoffnung, daß sie mir auf meinem Lebensweg behilflich sein könnten. Aber ich bin kein Bettler. Ich schiele nicht nach Gnaden von Eurer Hand und will keine Geschenke, die nicht freiwillig gegeben werden. Denn, so arm ich auch scheinen mag, so hab' ich doch eigene Freunde, die mir gerne helfen werden.«

      »Ta – ta – ta!« sagte Onkel Ebenezer, »mußt mich nicht gleich anschnauzen und beleidigt sein. Wir werden uns schon ganz gut vertragen. Und dann, Davie, mein Junge, wenn du die Suppe nicht mehr essen willst, kann ich ebenso gut selbst einen Löffelvoll davon nehmen. Ja,« fuhr er fort, nachdem er mir Stuhl und Löffel abgenommen hatte, »'s ist ein gutes, nahrhaftes Essen, Suppe.« Er murmelte leise irgend ein Tischgebet und fiel darüber her. »Dein Vater war ein guter, um nicht zu sagen starker Esser; während ich von den Speisen immer nur kaum naschen konnte.« Er nahm einen Schluck Dünnbier und sein nächster Ausspruch lautete: »Wenn deine Kehle vielleicht trocken ist, hinter der Tür findest du Wasser.«

      Darauf gab ich keine Antwort, sondern stand steif auf meinen zwei Beinen und sah zornerfüllt auf meinen Onkel nieder. Er, für sein Teil, fuhr fort zu essen, wie einer, der es eilig hat und warf kleine flüchtige Blicke bald auf meine Schuhe, bald auf meine handgestrickten Socken. Einmal nur, als er zufällig wagte, ein wenig höher zu schielen, begegneten sich unsere Blicke, und kein Dieb, auf frischer Tat ertappt, hätte lebhaftere

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