Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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gedankenlos tat sie das – und hatte doch ein Empfinden, als müsse sie in diesem Garten wen grüßen. Mit dem Kranz am Arm schritt sie in den Gottesacker. Sie las bei dem Scheine des Abendrotes die Inschriften der Kreuze. Inmitten des Friedhofes hing auf hohem Pfahl der Heiland, spannte seine Arme aus, wendete sein Haupt dem Himmel zu. Der leidende Heiland, den armen Menschen dieser Gegend ein trostreiches Vorbild; der sterbende Erlöser, die stille Gräbergemeinde noch segnend; der allmächtige Gott, der einst wird kommen, um die Toten zu wecken. –

      Das Mädchen aus der großen Stadt stand lange vor dem Bildnisse. Seltsam war ihm zumute.

      Weltfremd in dieser verlorenen Gegend stand es da, war geradeswegs hierhergekommen und wußte nicht recht warum.

      Als Anna einige Schritte weiterging, ragte vor ihr auf dem Hügelchen ein Marmorstein.

      »Hier ruht Klara Stummer, geboren in der Einöde den 30. Oktober 1802; gestorben in der Einöde den l6. Juli 1856.« – Diese Worte standen auf dem Stein.

      Das fremde Mädchen hatte gelesen und war in andächtiger Stimmung. Dann hatte es sich den Lärchenkranz vom Arm gestreift und hatte ihn sanft – sehr sanft auf den Grabhügel hingelegt

      Wer die Leut' nur sind, und was sie wollen!

       Inhaltsverzeichnis

      Mittlerweile stürzte im Dorfe das graue Männlein umher, rief die Leute aus den Häusern und wollte Sturm läuten lassen. Sein Schützling sei ihm abhanden gekommen. Es sei ein wunderliches Kind, sei auch zu Hause schon einmal davongelaufen und ganz absichtlich mitten in die größte Todesgefahr hinein. – Noch zu rechter Zeit – Ferdinand hub schon an, seine spärlichen Locken vom Haupte zu zerren – schritt Anna die Gasse heran.

      Jetzt, da die Sterne schon am Himmel standen, gingen sie erst ins Wirtshaus, wo nun Gäste zusammengekommen und Lichter aufgesteckt worden waren.

      Ein Tisch war für die fremde Herrschaft bereitet und mit einem weißen Tuche bedeckt worden. Bald setzte sich zu den beiden der Kirchenschneider, der heute die weiße Schürze umgebunden und das grüne Samtkäppchen auf dem Kopfe hatte. So vornehme Gäste traten nicht jeden Tag über seine Schwelle herein. Er wollte aber zeigen, daß man auch auf dem Dorfe weiß, was sich schickt. Tat sofort seine Tabaksdose hervor, hielt sie auf der hohlen Hand dem Herrn hin: »Gefällig?«

      Ließ sich's nicht zweimal sagen, der Alte. »Mit Erlaubnis« tunkte er seine Finger tief ein. Hierauf der Wirt gegen das Mädchen: »Auch gefällig?«

      »Danke!« sagte dieses und wurde ein wenig rot.

      Die Dorfhonoratioren, welche die Wirtsstube füllten, wollten heute nicht recht in ihre gewohnte Lebhaftigkeit kommen. Sie saßen nur so kleinlaut bei ihren Stammgläsern und rauchten aus Pfeifen. Die beiden Fremden machten ihnen zu schaffen. – Wer sie nur sein mögen! Er ist nicht der Vater, und sie ist nicht die Tochter. Er schaut aus wie ein vazierender Schulmeister. Weinhändler wird er doch nicht sein? Sie ist ein lieber Schatz. Ei, reisende Musikanten sind es, das liegt doch auf der Hand; heut' gibt's noch Musik beim Kirchenschneider; die Junge wird singen, der Alte wird eine Harfe oder dergleichen spielen. Ich denke, wir holen unsere Weiber. –

      So wurde gemutmaßt. Der Wirt machte wieder den Mund auf und sagte in sehr leutseligem Tone zu den Fremden: »Mit Verlaub, wo sind wir her?«

      »Schnurgerade aus der Metropole«, antwortete Ferdinand und nieste auf die Prise.

      »Wahr ist's!« versetzte der Wirt in landläufiger Bemerkung über das Niesen.

      »Warum sollt's nicht wahr sein?« fragte der Graue.

      Die Leute blickten sich an. – Metropole? Von dem Land hätten sie noch nie was gehört.

      »Ein wenig Geschäfte da herum?« hierauf der Wirt.

      »Eben nicht. Wollen nur so ein bißchen die Gegend anschauen«, sagte Ferdinand. »Wie geht sich's denn da in die Einöde hinauf?«

      »In die Einöde? Sehr weit. Schlechter Weg, nichts zu sehen; lauter Wald, etliche Bauern- und Holzerhütten darunter. Nicht der Mühe wert.«

      »Wenn Sie eine gute Aussicht genießen wollen, so müssen Sie den Karnstein hinaufsteigen«, rief einer von den benachbarten Tischen herüber.

      »Oder auf den Gilgenberg«, ein anderer. »Die Rederer-Werke sollen Sie sich aber ansehen.« – »Und auf die Ruine Breitenwart zu gehen, dürfen Sie ja nicht versäumen!« »Alles nichts. In die Wolfshöhle müssen die Herrschaften, kaum eine Stunde vom Ort, prächtig, sage ich Ihnen! werden es nicht bereuen.«

      So kamen sie nun alle mit gutem Rat.

      Das Mädchen saß bewegungslos da und senkte die Wimpern. Der Alte verstand es.

      »Wir wollen doch vor allem in die Einöde«, sagte er, und um das Vorhaben nur irgendwie zu begründen: »Es muß dort so viele Krammetshäher geben.«

      »Krammetshäher? Oh, die sind jetzt noch nicht an der Zeit«, riefen mehrere Stimmen.

      »Auch ist das Fräulein hier eine große Freundin von Erikenkraut.«

      »Ist lange schon verblüht«, sagten sie, und Ferdinand, der sonst wohl die Zeit der Krammetsvögel und Eriken gut genug kannte, härmte sich seiner erwiesenen Blöße wegen. Er war diesen Menschen im Grunde gar keine Verantwortlichkeit schuldig, aber das war eigen an ihm, wo er hinkommen, mit wem er zu tun haben mochte, sein gutmütiges Wesen ordnete ihn überall unter den Willen anderer.

      »Die Einöde,« fuhren die Tischnachbarn eifrig fort, »die ist nur für Förster, Jäger und Wildschützen was und schließlich für etwelche Strolche ... die Wälder sind groß, wüst, und die Leute drin wachsen auf wild wie die Bäume; man hört just nicht viel Gutes von ihnen. Man hört gar nichts; alles bleibt versteckt. Es ist sozusagen finster in den Wäldern. Nicht zu raten, für so zwei Reisende nicht zu raten!«

      Der Graue trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem Tisch.

      »Jetzt sitzen wir da«, brummte er und schielte über die Achsel gegen das Mädchen. »Was meinst, morgen nach dem Aufstehen, was werden wir anfangen?«

      Anna saß unbeweglich da und senkte das Auge.

      »Doch noch in die Einöde«, hauchte sie endlich.

      »Vor zwei oder drei Tagen hätten Sie einen Begleiter gehabt in die Wälder«, sagte der Wirt, und gegen die übrigen Gäste: »Der Heidepetersohn ist wieder dagewesen.«

      »Jerum!« riefen einige, »der Gabriel ein Begleiter! Der ist ja menschenscheu und lungert in den ödweiligsten Winkeln herum wie ein versprengter Rehbock.«

      Jetzt hatte das Mädchen seine Augen weit aufgeschlagen.

      »Der Gabriel Stammer?« flüsterte sie dem Alten zu, »und er wäre in der Gegend?«

      »Wetten mag ich nichts, die Leut' da wollen zum Heidepeterhaus hinaufgehen!« rief die Wirtin, die eben mit frischgekochter Milch kam.

      »Genau so ist es,« antwortete Ferdinand, »wir möchten gern das Haus sehen, in welchem der Waldsing geboren ist, und darum wollen wir in die Einöde spazieren, und das

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