Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Und der Sänger, der seines Volkes Lust und Weh in Lieder goß, er hatte nichts für seines eigenen Gefühles Übermaß als den wilden Aufschrei, der auch dem Tiere des Waldes gegeben ist.
... Ihre Liebe war eine zitternde. Sie liebten sich fast zu sehr, um glücklich zu sein. Ängstlich und still wurde der heilige Hort im Gemüt bewahrt und bewacht, kaum durch ein einziges Wort wurde er der Welt, der fremden, vertraut. Der Weise hat gesagt, die Liebe sei ein Egoismus zu zweien – wohl, dann gab es keinen größeren, glühenderen Egoismus mehr auf Erden als die des Doppelwesens Gabriel und Anna.
Doch wieder anderseits fühlte der Poet, daß er gegenüber dem lieben Weibe ein echterer Mensch geworden war. Eine warme Innigkeit des Herzens, die er bisher nicht an sich gekannt, eine ruhige Ebenmäßigkeit des Denkens und Tatens trat mehr und mehr hervor – gesegnet und gekräftigt war sein Wesen durch sie, und er konnte rufen: »Ich suchte dich und habe mich gefunden!«
Mir graut inmitten meiner Lust!
Als in demselben Jahre der Mai kam – ach, wie oft hatte Anna den Mai gerufen! – da stand die junge Hausfrau mit ihrem blühenden Kinde gern an den Rosenhecken des Gartens. Wie war sie so jung, so zart, so blaß – der leise, kaum sichtbare Purpurhauch auf ihren Wangen war bloß Widerschein der Rosen.
Gabriel blickte oft mit starrem Auge auf diese schwebende, fast ätherische Gestalt, in welcher sich das Irdische allmählich aufzulösen schien in Gatten- und Mutterliebe.
»Mein Annchen!« sagte er eines Tages, ihre weichen, kühlen Hände in die seinen fassend, »es ist wunderbar und mir graut inmitten meiner Lust. – Du wirst jünger von Tag zu Tag.«
»Du meinst, weil ich so kindisch bin und die Blumen frage?« sprach sie lächelnd. »Nein, Gabriel, ich habe sie nicht gefragt.«
»Anna,« sagte er und preßte ihre Hände an seine Brust, »Anna – wenn – ich meine es nur –, wenn dir etwa einmal nicht ganz wohl wäre – es gibt Zustände, die an sich oft unbedeutend und vorübergehend sind –, doch, wenn du an dir etwas merktest, das dich irgendwie beunruhigte, mein Weib – bei unserem Leben! bei unserem Kinde! teile mir's mit!«
Anna schwieg einen Augenblick, senkte die langen Wimpern, und um ihre Lippen schwebte ein Lächeln, das dem Gatten durch Mark und Bein ging.
»Wir wollen einen Arzt zu Rate ziehen«, sagte er.
Da löste sie ihre Hände von den seinen los, hob sie gefaltet, so daß die Fingerspitzen an ihren Lippen lagen, und den Freund mit aller Innigkeit ihres Auges anblickend, sagte sie leise: »Gabriel, ich bitte dich, quäle dich nicht. Du siehst, ich bin so frisch und lustig wie kaum je einmal zuvor. – Einen Arzt nicht; Ärzte machen krank. Siehe, ich verstehe selber auf mich zu achten. Magst es glauben, Gabriel, heute liefe ich nicht mehr in das Seuchenspital – bin viel eigennütziger geworden –, mich freut die schöne Welt.«
»Gewiß, Anna, du bist gesunder Natur, doch die vielen Nachtwachen bei dem Kinde –«
»Die kommen mir gar nicht schwer an. Wo ist eine Mutter, die das nicht mit Freuden täte?«
»Ich dächte aber doch, Anna, ein Ratgeber –«
»Gabriel!« sagte sie mit leiser, aber entschiedener Stimme. »Wenn du mir einen Arzt ins Haus rufest, so laufe ich in den dichtesten Wald hinaus, und kein Mensch wird mich finden. Und wenn ich einmal zu laufen anheb', und der Arzt läuft mir nach, so wird sich's weisen, wer von den zweien der Gesündere ist.«
So ließ sie die Angelegenheit in einen leichten Scherz ausspielen.
Gabriel schüttelte den Kopf. Wohl kannte er ihre Abneigung gegen die Medizin schon lange. Hatte sie doch einmal gesagt, daß auch bei der Medizin nur der Glaube selig mache, daß sie den Glauben aber verloren habe seit jenem Tage, da an ihres Vaters Tisch ein Arzt saß und in der Wahrheit des Weines Geheimnisse verriet, die für vertrauensselige Patienten nicht erbaulich waren. Dann fragte sie einmal, um wieviel eigentlich die Stadtleute länger lebten als die Wäldler, die keine andere Apotheke kennen als die des lieben Herrgotts – die reine Luft und das frische Wasser, die Arbeit und die Nüchternheit, und über allem das helle Sonnenlicht? – Diese Herrgottsapotheke eben läßt den Wäldler des Arztes entbehren, hatte damals Gabriel geantwortet; und jetzt bestand Anna darauf – das Landleben sei ihr zum Heile.
Der besorgte Gatte aber ging insgeheim zu allen Ärzten der Umgebung – es waren deren nicht viele – und heischte Rat. »Mir bangt, sie ist so zart wie ein weiches Nebelchen in der Himmelsbläue des Sommers.«
»Nehmt ihr das Kind vom Arm!« war der einstimmige Bescheid.
Wohl, er nahm ihr's vom Arm, aber sie schmeichelte es ihm wieder ab. In die Hände der Mägde legte sie das liebherzige Wesen nicht ein einzig Mal, nur der alte Ferdinand durfte es wiegen. Und der Alte wußte ein possierliches Wiegenlied, das er in der Aussprache der Waldleute so gern trällerte:
's Hascherl im Heiderl is leidi,
's Äugerl is ah noh nit hell,
's Busserl is noh nit recht zeiti,
Und im Herzerl, da steckt noh a buxklani Seel'!
Nutz Heidl!
Und 's Hascherl im Heiderl wird schneidi,
's Äugerl is nimmermehr trüab;
's Busserl vom Büaberl wird zeiti,
Ins Herz kimmt fürs Dirndl a Butt'n vull Liab,
Nutz Heidl!
Dabei schlief der Knabe gern ein, um der so lieblichen Verheißung in süßen Träumen entgegenzuschlummern.
Allzu glücklich sein - es kann nicht taugen
Es kam der Hochsommer. Das Kind wuchs wie eine Knospe; es hatte goldfarbige Ringellocken, und es hatte die Züge der Mutter, und es regte sich von Tag zu Tag lebhafter die »buxkloani Seel'«.
Anna war wirklich so lustig, wie kaum jemals zuvor; doch schien diese Lust eine innere zu sein, die lächelnden Gesichtes nur zu den Augen heraussah, wenn die junge Mutter ihr heiteres Kind anblickte oder ihren sinnenden Gatten. Dabei war sie aber eifersüchtig, wenn Gabriel den Kleinen herzte.
»Jetzt bist du mir nicht mehr genug mein«, sagte sie einmal scherzend, und er entgegnete: »Was, du klagst? und du hast jetzt zwei und ich nur eine. Das müssen wir ausgleichen.«
Sie sagte nichts, errötete ein wenig und war dabei entzückend schön.