Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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rief der Mann, sein Kind aus der Betäubung des Schmerzes weckend.

      Anna schauerte an Gabriels Brust.

      Nach einer Weile, als das Mädchen einen Schluck Wasser zu sich genommen hatte, stand es auf, ging gegen den Tisch und sagte leise:

      »Jetzt hab' ich's verspürt, die Mutter wird kalt und starr. So sitz' ich bei ihr in der Nacht und im Sturm und bete zu unserer lieben Frau. Mich schüttelt's wohl auch. – Ja, Leut', und da hör' ich was rauschen in der Luft. Das ist kein Sturmwind ... Raubvögel flattern zu meiner Mutter Leib. – Tschuh! sag' ich; mit beid' Händen hab' ich müssen fechten, daß das Getier nicht hat angepackt.«

      Das Mädchen zerrte an seinem Haar. Jetzt trat Anna zu ihm und legte ihm den Arm um und wollte es trösten.

      »Die Totenvögel,« bemerkte später der Hüttenbewohner, »die Totenvögel haben mir mein Kind gerettet. Das fortwährende Abwehren und die Angst haben es ein Eichtel erwärmt. Wir haben sie dann zur Morgenfrüh neben der verstorbenen Mutter gefunden. Ich sag's aber, das Hannerl, zu erkennen ist's nimmer. Glaub's gern. Die schreckbare Nacht! – Geh jetzt, Kind, leg dich in das Bett. Wenn die Leut' kommen, so sollen sie sich selber die Mahlzeit kochen.« Anna blickte ihn fragend an.

      »Morgen werden wir halt das Weib auf den Freithof tragen,« sagte der Mann, »und das darf mir die Frau und der Herr wohl glauben, ich bin kein solcher, daß ich gleich zum Zeitvertreib mit der Büchsen ging. Wär' zu einem Totenessen, wie es schon sein muß, die Sach' im Haus, so hätt' ich sicher das Gamsel nicht geholt.«

      Da war ihnen die Schuld des Schützen geschlichtet.

      Anna wollte sich hierauf in die Sache mischen und das Mahl bereiten helfen, aber der Rosenhauch ihres Angesichtes war vergangen. Es war christlich von dem Hüttler, daß er seinen Gästen im Dachraum die Schlafstätte anwies.

      Anna sank bald in den Frieden. Gabriel wachte und hörte, wie unten Leute kamen, wie Weiber um das immer knisternde Herdfeuer wirteten, um das Fleisch der erlegten Gemse zu bereiten, und hörte, wie Männer den Deckel des Sarges festnagelten. Er legte der lieben Schläferin beide Hände an die Ohren, auf daß sie nicht geweckt werde von diesem Schall. Dann hörte er, wie sie unten beteten, wie sie zu Tisch saßen, und wie sie endlich, als das Morgenrot aufging, den Sarg unter summenden Gebeten hinaustrugen zur Tür und davon über die Hochmatten dem Kirchhof des Tales zu.

      Draußen sangen die Vögel, da zog Gabriel die Hände von ihren Ohren, und sie wachte auf.

      »Bist da, Gabriel?« flüsterte sie, mit der Hand über seine Locken gleitend. »Jetzt habe ich dir einen närrischen Traum gehabt. Aber er ist ganz gescheit gewesen.«

      »Närrisch und ganz gescheit!« lachte Gabriel, »ja, den mußt du mir wohl erzählen.«

      »Du!« sagte Anna, »zum Auslachen ist er zu ernst.«

      »So will ich recht andächtig sein.«

      »Dafür ist er wieder zu lustig«, lachte sie selber. »Jetzt bedenk' einmal, Gabriel, jetzt sind wir Ehefrauen alle miteinander gestorben gewesen. Und jede hat einen weiten Sarg gehabt, und zu jeder hat sich ihr Ehemann – der lebendige Ehemann in den Sarg gelegt. Und wie du es tun willst, rufe ich: »Gabriel! bleib außen, ich steh selber auf, ich leb' ja noch...«

      Sie verließen die Hütte und zogen in das Sonnenlicht hinaus. Sie atmeten frei und leicht und dankten Gott für ihr junges Leben.

      Der Annenhof

       Inhaltsverzeichnis

      Bald nach dieser Brautreise wurde der traumhafte Rausch der Liebe auf eine mildere Art unterbrochen. Ein Baumeister, von Herrn Mildau gesandt, kam nach Karnstein in der Absicht, den Platz zu prüfen und aufzunehmen, den Gabriel und Anna für den Bau eines Landhauses sich ausgewählt haben würden.

      Gabriel und Anna hatten aber an ein neues Landhaus noch gar nicht eigentlich gedacht. Und dennoch wußte jedes der beiden insgeheim eine Stelle, auf der ihm eine Hütte gut zu stehen schien. Es wollte nur keines dem andern in der Wahl vorgreifen. Als sie sich nun aber verständigen mußten, zeigte es sich, daß beide den einen Gedanken und dieselbe Wahl getroffen hatten.

      Ein Viertelstündchen etwa von Karnstein erhebt sich in sanfter Böschung ein Hügel, den hinan die grünen, fruchtbaren Felder liegen. Die Höhung selbst aber ist steiniger Grund, auf welchem einige Erlengebüsche, Weißbirken und Lärchen standen. Von diesem Hügel gegen Abend und Mitternacht hin liegt das schöne, breite Tal mit dem Flusse, der Eisenbahn und den vielen Ortschaften, die aus Baumgärten ihre schimmernden Kirchtürme emporrecken. Jenseits des Tales steht der dreieckige Karnstein mit seiner senkrechten Wand und seiner alten zinnenreichen Burg. Weiterhin auf buschigen Anhöhen ragen die Ruinen Lichtenwart und Treisau und das Bergkirchlein St. Georgen. Rückwärts hin zieht sich ein Bergwall in mannigfaltiger Gestaltung. Gegen Sonnenaufgang und Mittag breiten sich über Tiefen und Höhen hin die Schatten der Einödwälder, und ganz im Hintergrunde erheben sich die Wuchten der Wildschroffen.

      An der rückwärtigen Seite zwischen dem Hügel und dem Saum der ansteigenden Waldungen hat ein Bergbächlein ein kleines Tal, eine mäßige Schlucht gewühlt, und wenn man bei den Weißbirken stand, so hörte man deutlich das Anprallen und Gischten des Wassers unten in dem Gefelse der mit Büschen bewachsenen Schlucht. So beherrscht dieser Hügel völlig das Tal und die Wälder. Kleine Ziegen- und Schafhirten weideten zuweilen ihre Herde zwischen dem Gesträuche, oder es schlüpfte durch dasselbe ein Besenbinder, der sich die schönsten Zweige von den weißen Stämmen schnitt, oder es fand sich wohl gar einmal ein Karnsteiner Liebesgespann ein und lugte vergnügt zwischen den grünen Blätterherzen auf das Dorf hinab, das kein Plätzchen bieten wollte für ein heimlich Grüß' Gott zwischen Lippe und Lippe.

      Und auf diesem Hügel baute Heidepeters Gabriel das Haus.

      Während des Baues wohnte das junge Paar abwechslungsweise im Jagdhause des Ring und in der Stadt. Die Stadt gefiel ihm aber nicht mehr, sie war ja doch gar zu irdisch für das Eden, das es im Herzen hegte. Gabriel war ja nicht angespannt an den Lastwagen der Gesellschaft, an welchem viele und die Besten oft nur deshalb so schwer ziehen, weil sie nicht die gleiche Richtung mit dem Troß anstreben wollen und können. Vergebens ringen die Armen einem eigenen Ziele zu, bis sie endlich liegenbleiben, zermalmt von den ehernen Rädern des Alltags.

      Mildau war zufrieden mit dem Titel »Professor«, ja er rief jetzt diesen nicht einmal; er schämte sich insgeheim seiner Engherzigkeit, da er sah, seine Tochter gab sich ganz und gar zufrieden mit dem titellosen Menschen. Am allerwenigsten wollte er einen Pegasus im Joch zum Schwieger haben.

      Hoch könnt' er fliegen,

       Wär' nicht mehr gebannt.

       Hält' ihm die Lieb' nicht

       Die Flügel verbrannt ...

      sang Gabriel um diese Zeit. –

      Als der erste Jahrestag der Hochzeit kam, da zogen Gabriel und Anna ein in das neue stattliche Heim am Saume der Einödwälder.

      Es war ein Haus, keinem der hergebrachten Stile ausschließlich huldigend, aber von jedem das Beste tragend, in der bequemen Bauart der Neuzeit.

      Von den breiten Quadernstufen des Einganges bis zu dem halbflachen Schieferdache mit den Blitzableitern lag Ebenmaß. Die Wände waren aus behauenen Steinen ehern gefügt, Weinreben und junge

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