Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter Rosegger страница 124
Bis ihr den Weg nach dem heimatlichen Dach antretet, dämmert es. Leuchtwürmchen funkeln euch entgegen; dein liebes, großes Kind verbirgt davor die Hände, weil es glaubt, die fliegenden Funken könnten brennen. Bald aber wird sie kühn, fängt einen der strahlenden Käfer ein, stellt ihn fürsorglich auf die Spitze ihres Zeigefingers und leuchtet dir mit solcher Kerze in das Gesicht. Bei diesem Lichte lugt ihr euch nächtlicherweile in die Augen.
Nach Hause gekommen, könntet ihr beobachten, wie eine verzweifelte Köchin die Hände über den Kopf zusammenschlägt. Die Brühe veraltet, der Braten verdorben, der Pudding vertrocknet! Leichtfertiges Volk, ihr habt das Mittagsbrot vergessen! – Ein schuldlos Huhn muß alles bezahlen, ihm kostet dieser Abend das Leben. Um so fröhlicher lodert das eure auf. Rheinwein! Ein kleines Glas. Ihr stoßet an: diese Kelche sind noch gut zu leeren. Euer Wohl! ...
Und soll ich euch weiterbegleiten? ... Ah, du winkest! – Gute Nacht!
Zu wem Gabriel all das wohl gesprochen hat? – Er sagte es zu einer Stunde, da er mit sich allein war.
Ein Schatten im sonnigen Tag
Vom Jagdhause aufwärts hinter den Hochleutlehnen ist ein kühler Grund, in welchen sieben Schluchten ausmünden. Jede dieser Schluchten bringt ein leise rieselndes oder laut rauschendes Wildbächlein mit sich. Drei dieser Wässer bilden Fälle über terrassenförmiges Gewände; das Plätschern und Sausen davon ist weithin zu hören, und Wasserstaub durchweht den Tann, so daß an den Nadeln immer regenbogenfarbige Perlen hängen. In der Talung, wo diese sieben Bäche zusammenrinnen, liegt ein See, der Stern geheißen. Die Umgebung des Sees ist teils schwarzer Hochwald mit vom Wurm getöteten Stämmen, die allen Ausweg versperren, teils steiniges Gehänge, an welches sich wildes Rosengehege und anderes Laubwerk emporwindet. Darüber herein leuchtet an freundlichen Tagen die Sonne auf den See, von dem keine Farbe anzugeben ist, weil er alle besitzt vom lichtesten Blau an bis ins dunkelste Grün – je nach der Stimmung des Himmels, je nach der Tageszeit, je nach seiner Tiefe. An den Ufern hin schimmern eine Weile noch die grünlichen Steine. Weiterhin ist von den wenigen Waldleuten, die zu seltenen Zeiten hierherkamen, der Grund nicht entdeckt worden.
Es ist ein gar versteckter Ort, der nur auf einem einzigen, durch sträubende Büsche und zwischen Felsblöcke sich schlingenden Fußsteig erreichbar ist. Der Abfluß geht durch eine zerrissene Kluft und gurgelt hinab in die Tiefe.
Diesen See suchte unser junges Paar gern auf, wenn es von seinen Ausflügen an der Hochleut niederstieg. Ein kleiner grüner Rasenplatz am Ufer, ganz mit bemoosten Felsblöcken und blühenden Dornbüschen umfriedet, war ausschließlich Annens Eigentum. Hierher durfte ihr Gabriel nicht folgen, denn hier stieg Anna in die blaue Flut.
Gabriel hatte sich einen anderen Winkel des Sternes ausgewählt, und zwar in der Nähe eines Wasserfalles, der, ein schimmernder Schleier, von der Wand in den See stürzte und so den schönen, glatten Spiegel in einem weiten Kranze hin erregte. Hier schleuderte der junge Mann in übermütiger Lust Stück für Stück der Kleider von sich, und als er frei war von all den gewobenen, gewundenen Fäden, die ihn noch mit der Kultur verbunden hatten, sprang er in den Schleier des Wasserfalles hinein oder stürzte sich kopfüber in die Wellen. – Gut, daß ihn Anna nicht sehen konnte, ihr wäre bange geworden, denn die Flut, die sich über dem lust- und lebendurchglühten Menschenkörper geschlossen, tat sich nicht mehr auf; und immer stürzten die Bänder des Falles nieder, und weithin zitterte der See – aber der Badende tauchte hier nicht mehr empor.
Der gewandte Schwimmer strebte einer Wassernixe zu ... und war ihm schon verboten, die Einsamkeit des Rosengestades zu verletzen, so tauchte er doch im Wasser plötzlich neben seinem plätschernden Weibchen auf; und Anna saß in der Flut und suchte den Eindringling durch Wellengischten zu verscheuchen. –
Eines Tages rüsteten sie sich zu einer Partie in die Wildschroffen.
Selbstverständlich suchten sie die allereinsamsten Wege auf. Ihre Liebe beleuchtete die Felsen; sie sahen Alpenglühen, auch wenn die Pelze der Nebel sich über die Berge schmiegten.
Es war im Gebirge tagelanges Unwetter gelegen, nun es sich löste, leuchtete auf den Höhen der Schnee. Züge von Herden trachteten niederwärts; unser Pärchen stieg rüstig und lustig bergan – dem Himmel näher, den Himmel im Herzen.
Als sie zum Schnee kamen, jubelten sie; ein solches Weiß, umsäumt von dem grünen Grunde des tieferen Waldlandes, hatte Anna noch niemals gesehen.
Allzulange waren sie nicht heiter. Sie verloren im Schnee die Spuren des Weges, sie kamen in ein Gewirr von Steinblöcken hinein. Gabriel – der Alpenkundige sonst – wollte es lange nicht gestehen, daß sie den rechten Weg nicht mehr unter den Füßen hätten. Die Gesponsin sagte: »Mein Liebster du, setzen wir uns hier auf diesen Stein zur Rast; dann kehren wir um und bleiben wohlgemut.«
So taten sie, stiegen dann in eine Schlucht hinab, in der sie die bestimmte Richtung des Pfades zu finden hofften.
Sie gingen eine Weile die Schlucht hinaus und hatten zur Rechten und zur Linken schauderhaft wilde Wände, an denen sich kein Schnee hielt und keine Gemse, an denen nur zwei Wanderer emporzuklettern vermochten: das Auge und der Gedanke.
Endlich standen unsere zwei Wanderer still und blickten sich an. Die Schlucht mündete in einen Abgrund aus. Am Felsen, wo sie standen, prangte eine Holztafel: »Hier ist Martin Scheiter auf der Gemsjagd durch einen Sturz verunglückt. Nach vier Tagen konnte sein zerschmetterter Leichnam aus der Tiefe gehoben werden.« –
»Keine Bitte um ein Vaterunser«, sagte Gabriel.
»Hier geht kein Weg vorüber,« sagte Anna, »wer soll hier denn beten?«
Gabriel schwieg. Er glaubte in ihrem Worte einen Vorwurf zu hören.
Anna blickte ihn lange an, schlich dann ganz nahe an seine Seite und hauchte: »Bist du mir böse?«
»Du mir diese Frage!« rief Gabriel, sie stürmisch an seine Brust drückend. »Ja,« setzte er kleinlaut bei, »Martin Scheiter ist der beste Kletterer in der Gegend gewesen.«
Sie setzte sich auf eine Felsbank; sie milderte das Stoßen ihres Atems und wollte nicht zeigen, wie sehr sie erschöpft war. Endlich legte sie ihre zarte Hand in die seine und flüsterte: »Ich möchte wohl gern noch ein wenig leben.«
Vor die Sonne hatten sich Wolkenbänke geschoben; über das Riff nieder fegte ein scharfer Wind.
Gabriel versicherte, daß ihm warm wäre, und er legte sein Reisetuch doppelt über ihre Schultern.
Ein Steinfalke schoß über sie hin; sonst war Ödnis.
Gabriel fühlte eine unermeßliche Wucht auf seinem Herzen, da er die zarte Pflanze betrachtete, die ihm, dem Bergsohne vertrauend, hier im Gesteine atmete.
Plötzlich gellte schlagartig, ohne allen Nachhall, ein Schuß in der Schlucht. Erschreckt fuhr Anna empor, wendete ihr Gesicht gegen die Richtung hin und schrie: »Jesusmaria, da unten steht er!« Und schon lachend, setzte sie hinzu: »Der leibhaftige Schwarze!«
»Na,