Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Noch öfter, als mit der lieblichen Tochter Mildaus, wandelte Gabriel freilich allein, und zwar in den stillen Laubwäldern, in denen das eingeschrumpfte Blätterwerk nur mehr unter den Füßen raschelte, das kahle Gezweige oben dem schneidenden Herbstwind überlassend. Nicht Waldlieder dichtete er; anderes hatte er zu denken. – Sein Herz war strenge durchforscht worden. Nun wurden die äußeren Verhältnisse geprüft, so gewissenhaft, als man es eben von einem Liebenden verlangen kann. Auch ein und der andere Freund war zu Rate gezogen worden. – »Was fragst du!« hatte einer von ihnen gesagt, »du tust ja doch, was du willst. Dichter müssen lieben, viel lieben und immer lieben. Was hat denn das Heiraten dabei zu tun?« Gabriel hatte darauf kein Wort entgegnet, sondern war seiner Wege gegangen. Ein Heim wollte er sich gründen. »Philister!« hatte ihm der Freund nachgerufen.
Doch blieben die vielen einsamen Spaziergänge des Poeten nicht fruchtlos. Zu erträumen, sagte er sich, ist dieses Glück nicht, es muß auf geradem Wege erstrebt werden.
Da war es eines schönen Spätherbstnachmittags – saßen die beiden wieder in ihrem Einödwäldchen. Heiterer Himmel blaute über den scharfgeschnittenen Wipfeln. Kaum war ein Vogelflüstern zu hören, die Ruhe eines herbstlichen Tages lag über dem großen Garten.
Sie machten wieder Musik, waren aber heute nicht ganz dazu gestimmt, schraubten jedoch um so mehr an den Saitenhaltern. – Herr und Frau Mildau waren auf eine ländliche Besitzung gefahren. Ferdinand war in die Stadt gegangen; die Gärtner sahen nicht viel Arbeit mehr zu dieser Jahreszeit.
Der Poet und das Mädchen waren allein zwischen dem dichten Gezweige und mitten in den zarten Geweben des Nachsommers, die durch unsichtbare Hand von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch gezogen wurden.
Es ging das Spiel nicht vonstatten und auch nicht das Gespräch. Gabriel wühlte nur so in den Saiten, er blickte nicht auf die Zither, und er blickte nicht auf das Mädchen.
»Fräulein Anna«, sagte er plötzlich, ließ aber nichtsdestoweniger den Saiten eine Ruhe.
Da die Angeredete sein Wort überhört zu haben schien, so wiederholte er noch einmal: »Fräulein Anna!«
Sie hob ein klein wenig das Haupt.
»Ich hätte,« sagte er, »ich hätte Sie wohl gern um etwas gefragt...«
Seine Stimme zitterte wie die feinen Stahlfäden auf dem Instrument.
...»Anna – wollen Sie meine Hausfrau werden?«
Das Mädchen war stark genug, den Schreck zu verbergen, der bei den Worten durch die Nerven gezuckt war. Es zitterte leise und glitt mit den Fingerspitzen langsam über die Saiten.
Gabriel wiederholte das Wort.
Und nun hauchte sie glühenden Angesichtes: »Ich weiß nicht... ob es eine ernstliche Frage ist.«
Da faßte er mit beiden Händen heftig ihre Rechte: »Anna, werden Sie mein Weib!«
Es war eine ungestüme Werbung.
»Verzeihen Sie mir!« sagte nun Gabriel, als das Mädchen immer noch schwieg und unter einer schweren Beklemmung zu leiden schien. »Seit vielen Tagen habe ich mir gute und artige Worte für diese Frage an Sie ersonnen. Ich habe keines dieser Worte jetzt gefunden, und wie es das Herz herausgestoßen, so muß es gelten.«
Das Mädchen sagte weder ja noch nein. Gefaßt hob es nun das große helle Auge und sagte: »Herr Stammer – wenn meine Eltern ja sagen...«
Für heute wurde kein Lied mehr gespielt. Schweigsam verließen sie die Tannengruppe; Gabriel sagte seinen herzlichen Abschiedsgruß und ging davon.
Und als er in dem Straßengewühle ihren Augen entschwunden war, stürzte Anna zurück zu den Tannen, sank auf den Knien hin an die Moosbank, und in wilden Atemstößen hervor schluchzte das Glück.
Ein heißer Gang unter den Flocken
Anfangs war doch ein bißchen Eitelkeit im Spiele gewesen. Man war Geschäftsmann und als solcher durchaus realistisch; aber es stand gut, der Welt zu zeigen, daß man trotz so manchem und manchem auch Sinn für Ideales habe, und daß Mildaus Haus den sonst stets flüggen Vogel aus den Einödwäldern zu fesseln vermochte.
Frau Mildau hatte, die jungen Leute beobachtend, freilich bald geahnt, wohin das zielte, nur wollte sie sich's, wollte es ihrem Manne nicht gestehen; ihr war, es könne, es dürfe nicht sein, was ihr vorschwebte. Nicht, weil sie einer Familie entstammte, die ihr den Adelsbrief als Erbe hinterlassen, war ihr der Gedanke peinlich; denn noch edler als ihre Herkunft war ihr Gemüt. Aber vor dem Verlust der einzigen Tochter bangte Frau Mildau so sehr, und eine Ahnung war zuweilen in ihrer Seele wach, als wäre mit dem ersten Schritt des jungen Mannes in ihr Haus ein ernstes Geschick mit eingezogen. Sie bedauerte einerseits die Reise ihrer Tochter in die Einödwalder, sie grämte sich still über das harmlose Mädchenherz, in welches die Gewalten der Liebe eingezogen waren; und anderseits fühlte sie sich selbst dem schlichten, offenen Manne warm geneigt.
Herrn Mildau ging es insgeheim nicht viel besser. Er hatte sich in der Schule des Lebens jenen Scharfblick erworben, der den Frauen angeboren ist.
Als praktischer Mann ging er jeder Sache stets auf den Kern; er wußte bei jedermann gleich, wo der Geldbeutel saß – und auch das Herz. Mildau sah von der Stunde an, als Anna aus den Einödwäldern zurückgekehrt war, daß sie ihr Herz an den Sänger der »Waldlieder« verloren hatte. Wohl erschrak er bei dieser Wahrnehmung, denn er ahnte, was in einem Kinde, wie Anna mit der treuen Seele, die Liebe bedeuten mochte. Als er sich aber mit dem Gedanken vertrauter gemacht hatte, und als er Stammer kennen und achten gelernt, da sagte er bei sich: Was soll es schließlich? Die Hauptsache ist das Glück des Kindes. – Dennoch aber lehnte sich der Geschäftsmann auf: Ein Poet! Ein unpraktischer Mensch! Und noch dazu – nein, die Sache ginge denn doch wohl nicht. –
Wie unerwartet kam ihm daher das, was an einem stöbernden Novemberabende geschah.
Wir sahen ja, Mildau war schon von Natur aus ein tiefer gegründeter Mensch, als seine Genossen in der Regel zu sein pflegen. Geld und Geschäft war wohl sein erstes, aber nicht sein letztes. Und wenn er zuweilen an Kopfschmerz litt, so gestand er ganz offen, es wären die leidigen Ziffern daran schuld, die sich in sein Gehirn eingenistet und die guten, gesunden Gedanken daraus vertrieben hätten. Er fühlte das Bedürfnis, jeden Tag ein Stündchen aus seinem Geschäftskreis zu fliehen, um ein Mensch zu sein wie andere Menschen auch, die keine Reichtümer und keine Orden hatten, und das Beste an dieser Welt, das Familienglück und die Schönheiten der Natur dennoch in reichem Maße genossen. Es war gar nicht zu leugnen, der Mann hatte eine poetische Ader an sich; er freute sich nicht allein an dem goldenen Steigen der Kurse, sondern auch an dem goldigen Sonnenmorgen; und oftmals, wenn ein Gewitter mit Blitz und Donner über die Stadt zog, verließ er sein Kontor, in welchem die feuerfesten Kasten standen, und ging auf den Söller des Hauses, um das Naturspiel zu betrachten. Irgendwo in seinen alten Papieren, vielleicht im Wanderbuche des Tuchmachers noch, mußten sich sogar etliche Gedichte von ihm finden.
Humoristische Gelegenheitsstrophen von Mildau zu Familienanlässen ober einem vertrauten Freunde zu Ehren waren seitdem sogar auf gut geleimtem Papier gedruckt worden, natürlich aus Rücksicht für den kaufmännischen Kredit nicht unter dem wahren Namen des Verfassers. Mildaus idealer Sinn war es auch gewesen, der sich einst unter den besten Familien der Stadt eine wenngleich vermögenslose,