Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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sind«, flüsterte der Graue, als sich das Mädchen aus dem Zimmer entfernt hatte, um frisches Wasser zu holen. »Die hat schon ganz andere Patienten gehabt!«

      »Wie meinen Sie das?« fragte Gabriel.

      »Sollen es gleich hören. Daß vor zwei Jahren die Seuche in unserer Stadt gewesen ist, werden Sie wissen. Den alten Lehhof auf der Fischerau, wo die Pulvermühlen sind, den wissen Sie auch. Den Lehhof haben sie damals zu einem Spital für Seuchenkranke eingerichtet. Wäre insoweit gut gewesen, hätte man nicht jeden Tag in den Zeitungen lesen müssen, die armen Kranken lägen zum Verschmachten, weil sich keine Wärter finden wollten. Die Klosterfrauen reichen in solchen Zeiten nicht aus, und so ist eine ewige Frag' nach Pflegern. Und wie das so fortgeht, die Leute in der Bedrängnis, in der Klag', in der Furcht, was trägt sich zu? – Ist Ihnen nicht eines Tages unser Fräulein aus dem Hause verschwunden? Beim dreieinigen Herrgott, der mächtige Schreck! Zu allen Bekannten und auf die Polizei laufen wir herum wie besessen – einen ganzen Tag und eine Nacht. Sie ist nicht zu finden. In alle Weltgegenden ist telegraphiert worden, und ich habe nichts mehr anders vermeint, als sie wäre uns gewaltsam entführt. Herr! neun Seelen im Fegfeuer ertragen das nicht, was ich an demselben Tag ausgestanden habe. Da fällt's der Frau Moldau ein, Anna hätte sie vor einiger Zeit gebeten, bei dem Mangel an Wärterinnen im Lazarett Krankendienste verrichten zu dürfen. Natürlich ist ihr so etwas rundweg abgeschlagen worden; jetzt aber haben wir schon gewußt, wo das Mädel zu suchen ist. Und richtig ist's gewesen! Im Spital auf der Fischerau hat sie Pflegerin gemacht. – Sie, was das unseren guten Herrn, ihren Vater ans Herz gestoßen hat! – Das versieht sich, zurück ins Haus hat sie müssen zur ersten Stund', und jetzt hätten Sie sehen sollen, wie wir das Fräulein mit Wacholderrauch und Vitriol –«

      Anna kam mit Wasser zurück. Ferdinand erzählte nicht weiter, mahnte jedoch wieder an die Heimkehr. Es war schon der dritte Tag: »Das Reich der Zauberprinzessin geht zu Ende!«

      Anna schaute sinnend hin.

      »Nur eines noch wollte ich«, sagte sie, und man weiß heute nicht, ob es Ernst war oder doch nur Schalkhaftigkeit. »Eines wollte ich noch. Was Lebiges aus den Einödwäldern: das Kind, Herr Stammer, das Sie gerettet haben, möchte ich gern mit mir nehmen...«

      Kaum das Wort gesagt, errötete die Sprecherin; sie wußte selbst nicht, warum ihr jählings heiß war in den Wangen.

      »Zeit und Weil ist bald vorbei, laß Zeit, ein Jährchen oder zwei!« trillerte der Graue.

      »Und Sie wollen gehen, Fräulein Anna, ohne mir noch jenes Wort zu sagen?« flüsterte Gabriel, sich langsam in seinem Bett aufrichtend.

      »Welches Wort?« hauchte das Mädchen.

      »Den Förster haben Sie eingeladen, Sie in Ihrem Hause einmal zu besuchen. Ich bin eifersüchtig auf den Förster.«

      Anna blickte ihm mit ihrem schönen Auge in das seine – entgegnete aber kein Wort.

      Seltsam still ist der Abschied gewesen.

      Die beiden Wanderer aus der Hauptstadt verließen das Pfarrhaus und schritten an den rauchenden Trümmerstätten und den armen trauernden Menschen vorüber, dem Bahnhof zu.

      Die Glocke schellte. Der Zug, hastig und herrisch wie die Zeit, der er dient, rollte heran und mit unseren zwei Menschen wieder davon. – Anna hatte noch einen langen Blick auf die Gegend geworfen, dann barg sie sich in den Winkel des Sitzes und hielt ein weißes Tüchlein vor ihr Antlitz.

      Die Binde wieder trocken

       Inhaltsverzeichnis

      Gabriel war allein. Und so still war es in der düsteren Stube, daß die Mäuse aus ihren Verstecken kamen und auf dem Boden sachte herumschnupperten.

      Gabriel fühlte in seiner Brust eine Beklemmung, als läge ihm auf dem Herzen ein heißer Stein. Sollte das von der Kopfwunde kommen? – Das Tuch, das sie ihm zuletzt noch kalt befeuchtet über die Stirn gelegt hatte – es war wieder trocken.

      Wie oft in seines Vaters Hütte, auf seinen stillen Heiden, in seinen Wäldern, in seiner Studierstube war er allein gewesen!

      Heute war er vereinsamt.

      Jeder andere hat einen Genossen, der mit ihm denkt und strebt. Es ist kein Glück, ein Sondermensch zu sein; man lebt außerhalb des Kreises, ist durch einen Abgrund getrennt von den anderen. Was dient mir ein Anschließen an die Mitlebenden, wenn ich in dem nächsten Augenblick wieder abgestoßen werde? Sie suchen mich mit Gier, sie lassen mich enttäuscht wieder laufen. Das Bild meiner Zukunft ist nebelhaft und gestaltlos, denn mein Leben läuft nicht hin in bekannten Regeln. Ich habe niemand, für den ich leben könnte; niemand, der mit mir wäre in Drangsal und Not. – So sann Gabriel, der einsam gewordene.

      Die Menschen, sie wähnen mich glücklich, weil ich singe. Auch der geblendete Vogel singt. Nicht glücklich bin ich gewesen im Waldland. Nun habe ich einen Blick in die Welt getan. Ach, ich hätte mir sie schöner, besser gedacht. Neue Wünsche und Bedürfnisse sind in mir aufgestanden, von denen ich einst keine Ahnung gehabt, die nur da sind, um zu quälen und die unersättlich weiterwachsen, auch wenn sie erfüllt werden. Da ich sah, daß da draußen alle – die Besten wie die Mächtigsten – dem Eigennutz frönen, und daß des Menschen ganzes pathetisches Trachten nichts anderes bedeutet als einen lebenslänglichen Kampf um sich selber – so ist das Ideal wie eine verscheuchte Taube ausgeflogen aus meinem Herzen. Schon sind meine Lieder angekränkelt, denn ich vermag das, was ich singe, selber nicht immer zu glauben...

      Wie sehne ich mich nach einer treuen Seele!...

      Zu dieser Stunde entstand im Stäbchen des Pfarrhauses das Lied von dem einsamen Burschen, der vergleichbar ist einem vergessenen Zaunpfahl draußen auf der Heide.

      ... Und weiß er doch eine,

       Die er gern haben möcht,

       Die er, müßt' es sein,

       Aus der Felsenwand graben möcht,

       So sucht er nicht erst

       Mit dem Faden zu binden,

       Und nicht mit dem Strohhalm,

       Auf der Gasse zu finden.

      Er eilt um eine Kette,

       Die stark ist und starr ist,

       Die doppelt und dreifach

       Geschlungen und wahr ist...

      Er schleppt sie zum Schmied,

       Sein Mädchen führt er mit:

       Schmied' ewig zusamm' uns,

       Du herzguter Schmied!

      Dann wird er nach anderen

       Freuden nicht fragen mehr,

       Dann wird er in Drangsal und

       Leiden nicht klagen mehr...

      ťGott grüße Sie in unserem Hause!Ť

      

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