Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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»Und wie kommt es denn, Fräulein Mildau,« fragte der Förster, der mittlerweile auch ihren Namen erfahren hatte, »daß Sie mit diesem alten Herrn allein reisen?«
»Weil er ein Mensch ist, der Geduld hat«, sagte Anna. »Er hat mich als kleines Kind auf den Händen getragen. Wir zwei verstehen uns, ich habe ihn lieb. Er ist der Jugendfreund meines Vaters und lebt seit vielen Jahren in unserem Hause. Mein Vater oder meine Mutter konnten mich nicht begleiten; mein einziger Bruder ist zurzeit in London. Sonst habe ich keine Geschwister, und so ist der Ferdinand mit mir gegangen.«
»War Ihr Herr Vater mit der Partie in die Einödwälder gern einverstanden?«
»Oh,« sagte das Mädchen heiter, »jetzt hätte er's wohl gern hintertrieben, aber ich habe ihn beim Wort genommen, das er mir schon vor fünf Monaten gegeben hat. – Jetzt möchte ich aber doch einmal sehen, ob da oben keine Erdbeeren wachsen?«
Schon war sie im Gehege. Sie wollte nämlich auf Ferdinand warten, fand aber wirklich Erdbeeren.
Ferdinand kam heran und schritt mit dem Förster langsam weiter.
»Ich wundere mich immer noch über Ihre Partie in diese Gegend«, sagte letzterer.
»Ich auch,« antwortete Ferdinand, »'s ist eben eine Grille von meinem gnädigen Fräulein. Sie glauben es nicht, was in ihm steckt. Hören Sie nur: Im Karneval des vergangenen Winters wollte Herr Mildau seinem Töchterlein zu Ehren einen Hausball geben. Derlei liebe sie nicht, sagte die Kleine und dankte. Hierauf ist ihr die Wahl freigestellt worden, ob sie als Ersatz für das Ballfest eine Jahresloge im Theater haben möchte, oder ob sie eine Reise machen wolle, oder irgend etwas anderes wünsche. Da ist sie nun mit ihrem Herzenswunsche herausgerückt: ins Gebirge, wo die Lieder entstanden, in die Einödwälder möchte sie gern gehen, wenn der Sommer käme. Herr Mildau hat über die schlechte Wahl gelacht und den Wunsch dem Töchterlein gewährt. So sind wir gekommen, die Heimat von diesen vertrackten Waldliedern zu sehen.
– Aufrichtig gesagt, der törichten Verse wegen hätte ich meine alten Füße nicht mehr strapaziert; aber der kleinen Fee kann man nichts abschlagen. Und heute geht ihr das Herz über. Ich erkenne sie kaum wieder.«
Die letzten Worte mußten schon leise gesprochen werden, da das Mädchen bereits heraneilte. Es hatte eine schlingende Efeuranke in der Hand.
»Welcher von uns wird bekränzt?« scherzte der Förster.
»Das kommt auf das Grab seiner Mutter«, sagte Anna, gegen den Alten gewendet. Dann zum Waldmann: »Sie haben die Frau gewiß recht gut gekannt
– Stammers Mutter, die im vergangenen Sommer verstorben ist?«
»Wohl – ich hab' sie gekannt«, antwortete der Förster.
»Das muß eine brave Frau gewesen sein. Ich kann ihr nicht danken für die Freuden, die ihr Sohn mir bereitet hat, so will ich ihr Grab bekränzen.«
Der Förster schwieg. Er führte das Mädchen, an dem sich Sinnigkeit und Einfalt in so eigener Weise paarten, wieder am Arm, schritt nun aber selber fast unsicher dahin und sagte lange kein Wort.
Als sie zur Quelle kamen, bei welcher am Vormittag gefrühstückt worden war, setzten sie sich auf das moosumwobene Gestein, und Ferdinand hatte Durst. Es war aber kein Becher da, um Wasser zu schöpfen.
»Wenn Sie nach der Wäldler Sitte trinken wollen,« sprach der Förster zum Alten, »so ersuchen Sie das Fräulein um den vornehmen Hut.« – Er nahm ihr sanft den alten Filz vom Haupte, bog die breite Krempe desselben zu einer Rinne, ließ darauf das Wasser rieseln und hob nun das seltsame Gefäß dem Alten an den Mund. »Ja, so trinken wir im Walde.«
Aus solchem Becher gelüstete es auch das Mädchen zu trinken. Es tat einen langen Zug und hat dabei vielleicht des Mannes gedacht, dessen Haupt von diesem Hut beschirmt worden war. Sie trank ihm insgeheim Gesundheit zu und ein langes, glückseliges Leben ...
Dann gingen sie wieder und redeten über vielerlei Dinge. Der Förster erklärte die Pflanzen und Tiere, die Taler und Berge, die sie sahen. Ohne jegliche Ziererei führten sie die Gespräche wie alte, vertraute Bekannte.
Als sie zur Lichtung kamen, wo man in das schöne, breite Tal hinaussah, blaute in diesem schon der Schatten, und nur auf den Kuppen der Berge leuchtete der rote Sonnenschein, anders rot als am Morgen, und auch an ganz anderen Gipfeln. Die feierliche Stimmung des Abends lag über der Gegend.
Und als unsere Wanderer zur Stelle kamen, wo der Fußsteig gegen die Wiesen hinaus abbog, und wo auch andere Wege nach verschiedenen Richtungen hin abzweigten, blieb der Förster plötzlich stehen.
»Mein Fräulein! mein Herr!« sagte er, »da Sie nach Karnstein hinaus wollen, so müssen wir uns hier trennen.«
»Ach schade!« versetzte der Graue, »wir hätten gemütlich weitergeschwatzt. Wir haben eine freundliche Bekanntschaft gemacht.«
Anna Mildau sagte leise: »Der Rückweg war kurz.«
»Halten Sie einem ungeschlachten Wäldler manches zugute,« sprach der junge Mann, »und lassen Sie sich die Einödwälder nicht verdrießen!«
»Kommen Sie einmal in die Stadt, Herr Förster, so besuchen Sie uns«, lud Ferdinand ein.
Der Förster blickte fragend in die großen Augen des Mädchens.
»Ich würde sogar nicht leer kommen«, sagte er schalkhaft; »wenn ich auch nicht ganz der begeisterte Verehrer des Sängers der Waldlieder bin wie eine einzige seiner anmutsvollen Leserinnen, so bin ich doch gut Freund mit dem Landsmann Gabriel Stammer, und ich besuche ihn jedesmal, sooft ich in die Stadt komme. Und da wir drei nun auch Bekannte geworden sind – so könnte ich den Mann ja wohl in Ihr Haus mitbringen?«
»Ich bitte Sie, nein!« rief Anna erschrocken, »ich fürchte mich vor ihm und brächte kein Wort hervor, und – und er ginge Ihnen auch nicht mit. Er ist gewiß nicht wie andere Wünschen.«
»Dann ist es besser, Fräulein Mildau, ich führe ihn nicht bei Ihnen auf,« sagte der Förster, »Sie könnten enttäuscht sein; es ist unangenehm, wenn ein schönes Ideal zum Staube der Gewöhnlichkeit herabsinkt. Stammer ist, wie andere Menschen auch sind. Ich kenne ihn von Jugend auf, ich habe nie etwas gegen ihn gehabt, aber das mögen Sie mir glauben, er hat Vorzüge und Schwächen, wie sie an anderen Leuten eben auch zu finden sind, und nur so müssen Sie sich ihn denken, wenn Ihnen an der Wirklichkeit dieses Poeten gelegen ist. – Und nun leben Sie recht, recht wohl!«
Mit beiden Händen hatte er des Mädchens Rechte gedrückt. Dann war er, ohne noch einmal umzusehen, seitab über die Wiesen gegangen.
Anna war noch ein Weilchen stillgestanden und hatte dem Dahinschreitenden nachgeblickt. Ferdinand mußte sie am Kleide zupfen. – Gar schweigsam schritt sie neben dem treuen Begleiter hin über die Au, deren Gräser schon abendlich feucht wurden. – – Wie ist das nun so seltsam gewesen? Ein weltfremder Mensch tritt er heran, ein weltfremder Mensch geht er wieder seiner Wege; und sie, die sonst so schüchtern, so schweigsam, ist an seiner Seite gegangen, hat mit ihm treuherzig geplaudert.
Was haben ihr die Einödwälder für einen Streich gespielt! Sie fragte den alten Gefährten: »Ferdinand, ist es doch nicht unschicksam gewesen?«
»Nun, zu wortkarg warst du gerade nicht!«