Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Hinter dem Steinwall weitet sich die Schlucht und der Fußpfad schlängelt von dem rauhen Schutthügel nieder in einen stillen Grund, der von nackten Felswänden umstanden ist. In dem kleinen sandigen Tale wuchert kein Gestrüppe, stehen nur in Gruppen schlanke und üppige Fichtenbäume. Das Wasser rieselt im breiten Bette fast lautlos und so klar, daß man jedes Goldfünklein sprühen sieht in seinem Sandgrunde. In diesem Wasser ist keine Forelle zu sehen, im Gefelse kein Vogel zu hören; aber Eidechsen pfeifen, wenn man ihnen auf den Schweif tritt. Wir biegen um eine Fichtengruppe, und es liegt ein See da. Er ruht in einem Kessel und hat mehrere Buchtungen. An seinem Rande, wo bemooste Felstrümmer hervorragen, ist er durchsichtig, an tieferen Stellen grün wie der reinste Smaragd; gegen die Mitte hin dunkelt sich die Farbe, dort soll – so spricht die Sage – das Wasser unermeßlich tief sein.
Hinter dem See – wenn wir unsere Schritte weiter lenken – hebt ein dumpfes Tosen an. Schreiten wir zehn oder zwölf Minuten lang dahin in diesem kühlen Grunde, so werden unsere Kleider feucht von einem feinen Wasserstaub; auch an allen Bäumen hängen Tropfen. Dann stehen wir vor dem Wasserfall. Der springt turmhoch von einer Felsenrinne nieder, macht zwei große Absätze, in denen er schneeweiße Bänder bildet, und stürzt sich in einen Tümpel. In diesem Tümpel schäumen, kreisen und kochen die wild herabgeworfenen Wellen, daß aus den eisigen Quirlen ein Nebelqualm aufsteigt, der alles Gestein und alle Pflanzen betaut, die im Grunde stehen. Der ebene Sandgrund mit seinen grünen Säumen ist hier zu Ende, hinter dem Wasserfall heben die hohen Felswüsten an.
Das kleine Hochtal war von den letzten Häusern des Altenmoos nur eine Stunde weit entfernt, aber selten kam ein Altenmooser hinauf. Es hatte niemand dort etwas zu suchen, und wer doch einmal über das Hochgebirge mußte, der rastete wohl auf einem Stein am See, aber nicht lange. Der Grund war ihm zu leblos und zu still. Das Hochtal war benannt: Im Gottesfrieden.
Also ist das Berg- und Waldrund beschaffen, das unsere Gemeinde umgibt und in welchem der Jakob Steinreuter sein Haus hat. Das liebe Altenmoos.
Der Mann mit den Tausendern siedelt ab
An diesem Vorabende zu Fronleichnam, da zu Altenmoos der frohe Feiertag anhub und auch im Reuthofe die knechtlichen Arbeiten schon zur Ruhe gekommen waren, hielt der Jakob noch nicht Rast. Er hämmerte an der Kapelle die letzten Dachbretter fest; nun war der Schaden wieder getilgt, den der stürzende Lindenast angerichtet hatte. Die darüber anfragende Linde prangte in voller Pracht, und man merkte im finstergrünen Buschwerk kaum mehr die Scharte, wo der Ast herabgebrochen war. So hatte der Sommer rasch und ruhmreich gesiegt über jenen tückischen Eindringling zu Pfingsten, wie solcher zur Frühsommerszeit wohl manchmal anzurücken pflegt in der hochgelegenen Gegend von Altenmoos.
Zu wahrer Erhebung gereichte es dem Jakob, daß dem Bildnisse in der Kapelle nichts geschehen war. Der roh geschnitzte, mit Farben bemalte heilige Jakobus war damals unversehrt auf seinem Altar stehengeblieben, während der gebrochene Ast unter Schnee und Splittern zu seinen Füßen lag. Dieser Heilige war der Schutzpatron des Hauses. Jakobs Vater hatte Jakob geheißen, und dessen Vater hatte auch Jakob geheißen, und so der Großvater und der Urgroßvater, und jeder Hausvater auf dem Reuthofe hatte Jakob geheißen, weil vor Jahrhunderten der Mann, welcher die Ansiedlung gegründet, den Grund urbar gemacht und die Steine ausgereutet, Jakob geheißen hatte. Jakob, der Steinreuter. Von dem frommen Sinn und der kunstreichen Hand dieses ersten Jakob stammte, den Überlieferungen der Familie gemäß, das Bildnis, und so war die Statue und der Name ein besonderes Band, das sich von Geschlecht zu Geschlecht herabflocht und jeden Jakob Steinreuter enge mit seinen Vorfahren und seiner Scholle verknüpfte.
An die innere Wand der Kapelle war in aufrechtstehender Richtung eine Reihe von etwa sechs Schuh langen Brettern genagelt. In jedes dieser Bretter waren gegen den oberen Rand hin die Buchstaben J. S. eingeschnitten, und darunter eine Jahreszahl. Das waren die Leichbretter; auf jedem derselben war ein Jakob Steinreuter ausgestreckt gelegen drin im Hause, bevor sie ihn auf den Kirchhof trugen. Dann sind zum Gedächtnisse diese schmalen Läden hier aufgestellt worden in der Kapelle des heiligen Jakobus.
An diesem Tage sollte der Heilige, gleichsam zur Urständfeier, besonders geschmückt werden. Die kleine Angerl mit den langen schwarzen Haarsträhnen, die eben aus der Schule heimgekehrt war, kam und brachte ein mit Wasser gefülltes Glas, in dem zwei Pfingstrosen staken. Und es kam der kleine Friedel mit den kugelrunden Vergißmeinnichtaugen, der brachte das andere mit Wasser gefüllte Glas, in welchem zwei weitere Pfingstrosen staken.
»Brav seid ihr!« sagte der Jakob zu seinen Kindern. Dann nahm er ihnen die Gläser aus den kleinen Händen und stellte sie zu beiden Seiten der Statue auf. Er mochte dabei vielleicht weniger an den heiligen Apostel, den das geschnitzte Bild vorstellen sollte, denken, als vielmehr an seine Voreltern, die das Bild gestiftet und bewahrt hatten und die er in ihm verehrte.
Vom Schachen herüber, barfuß, in zerfasertem Höslein, mit struppigem Haar und glühenden Wangen, kam der Jackerl, er zerrte zwei gefällte Lärchenbäumchen herbei und schrie lustig vor sich das Sprüchel hin:
»Droben auf dem Kögerle
Sitzen drei Vögerle,
Oans g'hört mein, oans g'hört dein,
Oans g'hört dem Regerle.«
Als er mit seinen Bäumchen an Ort und Stelle war, erfaßte er schnell das Beil, hieb es in die Holzwand der Kapelle, daß es darin stecken blieb. Der Vater verwies ihm dies, und alsogleich riß der Knabe das Beil wieder an sich, schleuderte es über den Angerzaun, daß es Funken gab in den Steinen und lief mit dem Geschrei: »Droben auf dem Kögerle sitzen drei Vögerle!« davon.
Als endlich an und in der Kapelle alles in Ordnung war, nahm der Jakob den kleinen sanften Friedel an der Hand und sagte. »Wenn du Jakob hießest und der andere Friedel – wär' mir lieber. Der andere Friedel? es ist zum Lachen. Unfriedel, wenn er geheißen wär'. – Komm, Bübel.«
Er ging mit dem Knaben den ebenen Fahrweg hin gegen das Nachbarhaus des Knatschel, das dort drüben am Rande des Waldes stand. Dasselbige Haus war in Aufregung. Der Knatschel tat seit acht Tagen nichts mehr, als übersiedeln. Sein Weib, sein Gesinde, seine Ochsen halfen ihm dabei, teils mit Freuden, teils mit Schmerzen, teils mit Stumpfheit; den Ochsen freilich ist es gleichgültig, woher und wohin sie müssen, überall an den Pflug und an die Fleischbank, sie sind überall Ochsen. Das ganze Haus räumte der Knatschel aus, die rußigsten Kästen und Kübel und Pfannen und Bettstätten schleppte er auf großen Karren davon.
Der kleine Friedel blickte jetzt nicht hin, sondern auf die gegenüberstehende Berglehne, an welcher Bauernhäuser in einiger Entfernung voneinander standen.
»Vater«, fragte der wißbegierige Knabe, »wie heißt es dort?«
»Dort heißt es bei den Grubbauern«, antwortete der Vater.
»Und auf der anderen Seite, ganz oben auf dem Berg, ganz oben, wo das Weiße ist, wie heißt es dort?«
»Dort