Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Nun spitzte der Jakob die Lippen und tat einen hellen Pfiff. Alsbald kamen die Hausleute aus den Kammern, aus der Küche, aus den Stallungen herbei und versammelten sich in der großen Stube zur Pfingstandacht am Nachmittage, die heute nicht wie sonst draußen in der Kapelle abgehalten werden konnte.
Es waren derbe, eckige Knechte und schäkernde Mägde; es war ein buckeliges Männlein dabei und es waren halberwachsene Jungen, gleichsam eine niedergehende und eine aufgehende Zeit. Alles harmlos munter. Es kam auch die Hausmutter herein, ein etwas schmächtiges blasses Weib, welches – so jung an Jahren es noch sein mochte – allen Übermut und alle Bausbäckigkeit den Kindern abgetreten zu haben schien. Ein Knäblein hing an des Weibes Kittelfalte, das noch blässer als die Mutter war und kreisrunde, ganz vergißmeinnichtblaue Augen hatte. Auch der Knabe Jackerl war zur Tür hereingetollt, über und über voller Schnee, wurde aber in solcher Gestalt vom Vater zurück in die Küche gewiesen, wo er – den Hut ausschlenkernd – der alten am Herde kauernden Einlegerin Schnee und Wasser ans Gewand warf. Weil die Alte sich dagegen auflehnte, so sprang er an die Hühnersteige, die unterhalb des Herdes war, sprengte Schnee hinein und trällerte:
»Hendl bi bi,
Hendl bo bo,
Wannst ma koan Orl (Elerchen) gibst,
Stich ih dih oh!«
In der Stube gingen die Leute zu den Sitzbänken, die ringsum an den Wänden waren, und knieten davor auf dem Fußboden nieder, so daß sie bei gefalteten Händen ihre Ellbogen auf die Bänke stützen konnten. Der Jakob nahm vom Hausaltare, der hoch in der Wandecke angebracht war, das kleine hölzerne Kruzifix herab, stellte es mitten auf den Tisch und zündete davor eine aus dem Wachsstock abgewickelte Kerze an. Dann langte er vom Wandnagel die große Rosenkranzschnur, kniete damit auf einen Schemel an den Tisch, machte unter lautem Ausruf der Worte mit dem Daumen über Stirn, Mund und Brust die Kreuzzeichen und begann zu beten.
»Jetzt wollen wir«, hub er an, »zum Heiligen Geist rufen, daß er uns erleuchte in Glück und Unglück zum rechten Tun und Lassen. Und wollen Gott bitten um ein gesegnetes Jahr in Feld und Stall für uns, unsere Nachbarn und alle Freund' und Feind'. Wollen auch beten für alle, die aus diesem Haus hinausgestorben sind – christlich zu gedenken.«
Dann beteten sie den »glorreichen Rosenkranz« zum Gedächtnisse an die Auferstehung, Himmelfahrt des Herrn und an die Sendung des Heiligen Geistes. Der Hausvater sprach stets den ersten Teil des Gebetes, das Gesinde sprach im Chor den zweiten Teil desselben, und es erscholl schier harmonisch wie gedämpfter Orgelklang.
Während des Gebetes wollte zwar ein vorwitziger Knecht seiner schalkhaften Nachbarin mit dem Zeigefinger ein »Bröserl« den entblößtem Arm kitzeln; der Hausvater hörte das mühsam und vergebens verhaltene Kichern der Angegriffenen, setzte einen Augenblick im Gebete aus und warf einen ernsthaften Blick auf das schäkernde Pärchen, sofort war dieses ruhig und die Andacht nahm ihren würdigen Fortgang.
Noch bevor sie zu Ende war, polterte zur Türe ein Mann herein, strampfte an der Schwelle den Schnee von den Füßen, schüttelte den Schnee von Hut und Rock, kniete dann neben einen Knecht an die Bank hin und betete mit. Er wurde weiter nicht beachtet. Als das Gebet unter nochmaliger Anrufung des göttlichen Geistes »um Weisheit und Beständigkeit« zu Ende war und der Hausvater das Kreuz gemacht hatte, sagte dieser, sich von seinem Schemel erhebend: »Schau, der Knatschel! Wir haben dich ein wenig zum Beten gebraucht.«
»Schadet mir eh nit«, antwortete der früher Eingetretene, während auch er steif und unbehilflich aus der knienden Stellung aufstand. Der Nachbar Knatschel war's, der auf dem Heimweg aus Sandeben im Reuthofe zusprach, um sich ein wenig von der Unbill des Wetters zu erholen.
Er war ein untersetzter Mann mit kurzem Halse und breitem, stets gutmütig lachendem Gesicht, das heute vom Frost und vielleicht auch von etwas anderem gerötet war.
»Ein sauberes Pfingstsonntagswetter, das!« sagte der Knatschel.
»Eh hasen frei wahr«, redete der buckelige Alte in seiner ihm eigenen weitläufigen und unbestimmten Ausdrucksweise drein, »so fein weiß haben die Kirschbäum' schier völlig lang nimmer 'blüht, als wie dasmal. Das ist richtig wahr auch.«
»Wird schon wieder aper werden«, meinte der Jakob.
»Drei Vierteljahr Winter und ein Vierteljahr kalt«, sagte der alte Knecht, »namla wohl, so geht's hisch zu, bei uns im Gebirg.«
»Geh' her zum Tisch«, lud der Jakob den Nachbar ein, »und schneid' dir ein Brot ab.« Damit tat er aus der Tischlade einen großen Laib Brot mit Schneidmesser, legte beides auf den Tisch und setzte sich auch selber hin.
Der Knatschel setzte sich daran, füllte aus der Tabaksblase seine Pfeife, zog ein zierliches Stahlzänglein aus dem Hosensack, hielt es einem kleinen Mädel hin (das so dastand und am Finger sog) und sagte. »Geh' Dirndl, bring' mir Feuer!«
Während die Kleine zur Herdglut hinauslief und bald mit einer glühenden Kohle im Zänglein zurückkam, sagte der Knatschel: »Ja, Nachbar, ich hab' mir's anders gemacht. – Brav' Dirndl, kriegst zu Lohn einen sauberen Mann, wenn' du groß bist.« Blies die Kohle rotglühend und steckte sie in die Pfeife. »Ja, Nachbar«, fuhr er paffend fort, »ich hab' mir's anders gemacht.«
»Was meinst?' fragte der Jakob.
»Mir ist's zu dumm worden in Altenmoos. Wer sich's besser machen kann – ein Lapp, der's nit tut.«
Der Jakob sah ihn fragend an.
Der Knatschel beugte sich vor gegen ihn, gab noch ein paar Rauchstöße von sich, daß die blauen Strähnlein wagrecht in der Luft schwammen, und sagte halblaut: »Mein Haus hab' ich verkauft.«
Dann belauerte er den Eindruck, welchen diese Nachricht auf den Nachbar machen würde. Weil aber der Jakob gar so unbeweglich dasaß, als hätte er das Wort nicht verstanden, wiederholte der Knatschel noch einmal: »Mein Haus hab' ich heut' verkauft.«
Jetzt zuckte der Jakob ein wenig mit den Augenwimpern, des Weiteren blieb er immer noch unbeweglich und blickte den Knatschel fragend an.
»Ich rat' dir's auch, Jakob«, sagte der Knatschel, »wirf's hinter dich, das kümmerliche Altenmoos, wo der Mensch sich sein Lebtag lang rackern muß, daß er in seinen alten Tagen ohne Sorg' verhungern kann. Laß das Fretten sein. Verkauf' den Bettel. Der Kampelherr zahlt gut. Nimmt auch den Reuthof, hat er gesagt, aus Gefälligkeit nimmt er ihn, wenn du hergibst. Zahlt nit schlecht. Meinen Grund kennst. Siebzig Joch just genau, wenn man Heid' und Weid' dazutut. Rat' einmal, was er mir dafür auf die Hand gelegt hat, der Kampelherr!«
»Leicht etwan gar hasen einen Hut voll Taler!« redete wieder der buckelige Alte drein.
»Soviel gibt der Teufel für eine arme Seel«, sagte ein anderer Knecht, wie sie sich jetzt auf die Bänke herumgesetzt hatten. Der Knatschel beachtete diese Bemerkung nicht, sondern sagte noch einmal: »Rat', Jakob, wieviel hat er mir auf die Hand getan?«
»Gar im Ernst, Nachbar?« fragte jetzt der Jakob, »und du hättest dein Haus verkauft?«
»Hast schon einmal einen Tausender gesehen?« schmunzelte der Knatschel und nestelte seine stark abgenutzte Brieftasche auf.
Der große nagelneue Geldschein lag auf dem Tisch, der Jakob starrte draufhin wie auf ein Gespenst, das man zuhalb mit Neugier, zuhalb mit Grauen ansieht. Die Knechte machten lange Hälse und blinzelten schier stumm vor Ehrfurcht auf die Erscheinung hin.