Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Heiterer als der stillblutende Schmerz der Mutter, als die zornige Liebe des Vaters, war bei dem Gedächtnisamte die kindliche Andacht der kleinen Geschwister. Sie saßen neben der Mutter und schauten in das Schiff der Kirche empor, ob mit den Schwalben denn nicht auch ihr Bruder dort umherfliege. Es war ihnen gesagt worden, daß der Jackerl ein Engelein des Himmels geworden sei. Der störrische, tollwitzige Bruder ein Engelein! Es ließ sich zwar nicht gut reimen, und ein Kinderkopf ist mitunter zu klein, als daß viel Ungereimtes darin Platz hätte. Die kleine Angerl schlichtete aber den Zwiespalt, indem sie dem kleinen Friedel zuflüsterte, es gebe halt auch wilde Engel, so wie es wilde Tauben gibt, und wenn der Jackerl im Himmel Flügel habe, so brauche er nicht durchzugehen, so könne er durch fliegen. Es war den Kindern nicht denkbar, daß der Jackerl in seiner ewigen Heimat ruhig sitzen bleiben würde.
Der Pechölnatz blickte in der Kirche fortwährend auf die zwei Kinder und freute sich sehr, daß sie nicht traurig waren; die Kinder müssen mit allem spielen können, auch mit dem Tode, und wenn sie einem Knochen Federn anbinden, so ist der Engel fertig.
Als sie nach dem Gottesdienste aus der Kirche traten, gerade unter dem Tore, gab der Jakob seinem Weibe etwas unsicher die Hand und sagte: »Es ist vorbei. Machen wir das Kreuz darüber.«
Von diesem Tage an wurde im Reuthofe über den Jackerl kein Wort mehr gesprochen. Wenn dem Vater irgendwo ein Kleidungsstück des verlorenen Knaben in die Hand kam, so schleuderte er es fast unwillig von sich, und doch krümmten sich seine Finger, daß es daran hängen bliebe. Die Maria aber barg solche Stücke in ihrem Gewandkasten und an den langen Sonntagsvormittagen, wenn alle anderen in der Kirche zu Sandeben waren, öffnete sie den Kasten, herzte und küßte die Kleider des Knaben und netzte sie mit ihren heißen Tränen.
Kirschenessen
So viel öffentliches Leben hatte Altenmoos wohl seit Urzeiten nicht gesehen, als in diesem Sommer.
Sonst waren die Wege nur befahren gewesen mit zweiräderigen Heu- oder Kornkarren, die Straße nach Sandeben mit Holz- und Kohlenfuhren, mit Viehtrieben, mit dem flotten Steirerwäglein, wenn der Guldeisner oder ein anderer, der's tun konnte, in die Kirche fuhr. Und nun die mit Kisten und Kästen und allerlei Geräten hochbeladenen Wagen, welche vorsichtig die Berglehnen herabglitten und dann der Straße entlang zogen in der gleichen Richtung wie das Wasser. Feierlich gestimmte Menschen saßen auf dem Geräte oder gingen nebenher und hatten ihre Rücken vollgeladen.
Das waren die Auswanderer.
Das Siedeln aus dem Guldeisnerhofe hatte kein Ende nehmen wollen. Es waren zwar auch die Fahrnisse mit verkauft worden, doch hatte der Franz noch sehr viele Sachen, die nicht zum Hause, sondern zu seiner Person gehörten. Da waren alte kunstvoll gearbeitete Schränke, Stühle, Kästen, Bilder, Spiegel, Geschirre und Stockuhren. Die uralten Bettstätten seiner Vorfahren hatte er im Hause zurückgelassen, aber das Lotterbett aus rotem Zeug, das er sich selbst angeschafft, hatte er mitgenommen. Die Hämmer und Beile seines Vaters, das Spinnrad seiner Mutter hatte er im Hause zurückgelassen, den großen Wandspiegel, den er sich selbst zu Zier und Prunk angeschafft, hatte er mitgenommen. Als der Franz das letztemal durch die ausgeleerte Stube geschritten war, widerhallten seine Schritte so laut und unheimlich, daß er erschrocken um sich sah. Das Gewehr an der Schulter, dem Jagdhund pfeifend, so verließ er das Haus seiner Väter. Als Chevalier wollte er fortziehen! Als er am Hausbrunnen vorüberkam, schleuderte ein Windstoß den aus dem Ständer sprudelnden Quell spritzend gegen den Franz hin. Zwei Knechte sahen es und sagte der eine: »Der Ständer besprengt ihn mit Weihbrunn!« »So schön!« sagte der andere, »gar der Brunnen spuckt ihm nach!«
Aber die Siedelfuhren des Guldeisner waren lange nicht die einzigen, die fortzogen. Nebst dem Knatschel und dem Klachel und dem Waldstuber hatten auch der Steppenwirt und der Zwieselbaumer ihre Häuser verkauft und selbst der Sepp in der Grub das seine. Der Sepp, der so festständig schien: als er das Geld des Guldeisners sah, war's um ihn geschehen. Er hatte sich eine Weile gewehrt gegen die Versuchung, aber je länger er mit ihr umtat, je größer wurde sie. Er schlief nicht mehr, er aß nicht mehr und so verfiel er auf die Ausrede: Aus Gesundheitsrücksichten müsse er sein Gut verkaufen und Luft wechseln. Der Steppenwirt hatte sich ausbedungen, daß er auf der Hube sein Leben lang sitzen bleiben und Getränke ausschenken dürfe. Jetzt, da so viel Geld ins Land kam, sollte ja für das Wirtshaus eine gute Zeit anheben. Der Steppenwirt hing ein frisches Reisigbüschel vor die Haustüre als landesübliches Weinzeichen; einem eintretenden Gaste rief er zu: »He, Vetter! Es mahnt zum Einkehren und bleibt selber draußen, was ist das? – Das Wirtsschild ist's. Na, was schaffest?«
Nun hatte sich der Steppenwirt mit dem Waldmeister verabredet, in seinem Hause ein Auswandererfest zu veranstalten. Das war den Bauern, die ihre Taschen voll hatten, ganz genehm, sie wollten noch einmal lustig sein in Altenmoos, bevor sie davongingen; nicht mehr als kümmerliche Kleinbauern lustig sein, sondern als freie Leute von draußen, als »Herren«. Dem Waldmeister war das Fest darum recht, weil es für das Häuserverkaufen und Auswandern der übrigen Stimmung machte. Und der Steppenwirt meinte, er wolle ein Wohltätigkeitsfest daraus machen, denn gute Einnahmen täten ihm immer wohl.
Der erste Sonntag im August war dazu bestimmt und nachmittags um 3 Uhr, als die Leute vom Gottesdienste in Sandeben zurück sein konnten, hub es an.
Der gewesene Guldeisner beteiligte sich nicht daran, der residierte bereits in seinem angekauften »Schlössel« bei Krebsau im Freisingtal und gab sich mit den Altenmooserleuten nicht mehr ab. Aber zwei Eimer Wein schickte er und ließ sagen, sie sollten auf ihr eigenes Wohl trinken, um das seine brauchten sie sich nicht zu kümmern. Der Wirt nahm vornehmen Wirtsbrauch an, indem er vom gespendeten Wein zwar nicht Stoppelgeld, wohl aber nach seiner Art Zapfengeld einzog. Eingeladen war ganz Altenmoos. Zu den Veranstaltern gehörte auch der Sepp und der Knatschel. Dieser war aus Sandeben gefahren gekommen; er fühlte sich heute als einer der Wichtigsten, war er doch der erste gewesen in der Gegend, der das Haus verkauft hatte, sozusagen der Bahnbrecher hinaus in die Welt.
Der Waldmeister, der zwischen seinem Herrn und den Bauern vielfachen und immer lebhafteren Vermittler abgab, wartete heute seines Amtes. Er hatte viel Reisig hergelassen, um das Haustor und den Tanzboden zu schmücken. Sonst pflegte man in Altenmoos nicht zu tanzen, so lange noch ein Kornhalm auf dem Felde stand, um nicht durch unzeitige Lustbarkeit Gott, den Herrn des Gewitters, zu reizen. Jetzt bangte den Auswanderern nicht mehr vor Sturm und Hagel; die meisten hatten ja