Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Читать онлайн книгу Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter Rosegger страница 249
Unten an der Sandach, wenn man gegen Sandeben hinausging, das letzte Haus hieß der Steppenhof. Es war der stattlichsten eines in Altenmoos. Es hatte ein großes Gehöfte, das aber zum Teile leer stand. An der glatten Wand des Hauses, deren Zimmerbäume nicht mit Äxten behauen, sondern mit der Brettersäge geschnitten worden, waren große längliche Fenster mit hellen Glastafeln, blau angestrichenen Balken und Fensterkränzen. Es hatte große Stuben, wovon eine sogar mit Eschenholz ausgetäfelt, braun, und mit roten Falzrändern bemalt war. An der äußeren Seite der Tür stand oben als schlauer Herbergsspruch: »Herr, bleib' bei uns, denn es will Abend werden!«; an der inneren Seite, gerade über dem Weihbrunngefäß, war zu lesen: »Heute zahlen, borgen morgen«, worunter allerdings ein Gast mit Kreide die Verbesserungen angebracht hatte: »Heute borgen, zahlen morgen.«
Der Steppenhof war nämlich ein Wirtshaus. Er hatte ja ursprünglich, wie jedes andere Haus zu Altenmoos, seine Felder, Wiesen und Waldbestände gehabt, aber weil er gar so nahe am Wege stand und so bequem am Wasser, so war allmählich ein Wirtshaus daraus geworden. Da mußte der Stepper bei den Gästen sitzen, oder in anderen Wirtshäusern zu Sandeben selbst Gast sein, damit die Wirte gelegentlich wieder bei ihm einkehren sollten. Und so ward vor lauter Wirt- und Gastsein der Bauernwirtschaft vergessen. Also gab's im Steppenhause nun Apfelmost, Branntwein und sogar zwei Gattungen echten Traubenweines, wovon die eine Gattung »der Ordinari«, die andere »der Bessere« genannt wurde. Jeden Gast, der Wein verlangte, fragte der Wirt: »Einen Besseren?« und wenn das ja zumeist von den sparsamen Altenmoosern verneint wurde, so hatten diese sich alle Schuld selber beizumessen. Indes hatte selbst der »Ordinari« keine weiteren Untugenden, als daß er eben ehrlich sauer war. Auch Eierspeise und Kaffee konnte man haben beim Steppenwirt, und an Sonn- und Feiertagen Hammel-, Hasen- oder gar Schweinsbraten. Einer oder der andere der guten Altenmooser saß immer in der Wirtsstube, trank, rauchte oder »duselte«. Wenn's zu Hause Verdruß gegeben, war es hier höllisch fein zu sitzen. Und wenn zu Hause alles gut ging, sah mancher nicht ein, warum er sich nicht ein »Seidel gunnen« solle. War ein vorteilhafter Viehhandel abgeschlossen, so saß sich's wie angegossen am Ahorntisch, und hatte einer Holz oder Hafer verkauft, so war gewiß die trockengeredete Kehle anfeuchtungsbedürftig. Auch gab es in Altenmoos Quartallumpen; das waren solche, die monatelang brav zu Hause blieben und arbeiteten, wenn sie endlich aber einmal ins Wirtshaus kamen, dann hockten sie tagelang darin fest, schliefen den einen Rausch auf der Ofenbank aus und tranken den anderen am Tische, bis ihr Geld, ihre Sackuhr und manchmal auch ihr Rock vertan war. Dann kehrten sie heim und war ihnen wieder wohl auf ein Vierteljahr.
An den Sonntagen nachmittags waren die drei Tische der Gaststube stets voller Leute. Der Stepper hatte seine weiße Schürze umgebunden, sein grünes Samtkäppchen auf die Kopfglatze gestülpt und sein Gesicht zu einer behaglichen Gemütlichkeit auseinandergezogen – da war der Wirt fertig. War er bei Humor, so brachte er allerlei Sprüchlein und Schalkheiten vor, mit denen er bisweilen andere, öfter aber sich selbst verspottete. So sagte er: »Nachbar! Hautschlechter Mensch! Für dich ist das frisch Wasser viel zu gut, du mußt heute Steppenwirts Wein trinken, damit du deine Sünden abbüßest.« Oder: »Nein, Brüderl, gesoffen wird nicht, aber trinken, so viel du magst.« Oder: »Müller, Schneider und Wirte werden nicht gehenkt, sonst ginge das Gewerbe leer aus.« Oder: »Geh', gunn dir ein Stündel Rast bei mir, besser nicht arbeiten, als müßig gehen.« Wenn einer seinen Rock auszog, so eilte der Stepper dienstfertig herbei und sagte: »Laß mich dazu. Das Leutausziehen können wir Wirte am besten.«
»Der Dreisam kommt, ein braver Mann, Christenheit ausgenommen!« Mit diesen Worten grüßte er an unserem Sonntage den Genannten, der heute langsam, wie unentschlossen in die Stube trottete. »Was magst, Dreisam?«
»Heut' fragst du mich umsonst, Wirt«, sagte der Eingetretene. »Heut' soll mir deine Alte ein feistes Pfannkoch machen, und Pfeffer drauf.« Dann setzte er sich an den Tisch, hob mit der umgekehrten flachen Hand seinen Bart von der Brust weg, weil er unterhalb desselben aus der Brusttasche sein Pfeifenzeug hervorsuchen mußte.
»Pfannkoch und Pfeffer drauf?« fragte der Wirt.
»Heut' brauchen wir Durst«, sagte der Dreisam.
»Das ist brav, das ist brav«, schmunzelte der Wirt, »Durst ist der flinkste Kellner.«
»Geht dein Besserer wohl nicht etwan auf die Neige?«
»Ich will die drei größten Altenmooser Stockfische damit ersäufen, was ich noch im Keller hab«, antwortete der Stepper.
»Alsdann werden wir halt eins trinken«, sagte der Dreisam und schlug Tabaksfeuer.
»Sakerment noch einmal!« knurrte am anderen Tisch ein Holzknecht, »Durst braucht der heut'! Geld gibt's jetzt in Altenmoos, als ob die Guldenhäuteln auf den Haselstauden täten wachsen. Sonst ist uns alleweil der Durst zu stark und das Geld zu schwach worden. Heutzutag' geht's verkehrt.«
»Eh' wahr auch«, stimmte der alte Luschelpeterl bei, der an der Ofenbank saß. Auch er war heute ins Wirtshaus gegangen. »Bring' mir ein Stamperl Branntwein«, hatte er vorhin zum Wirt gesagt, »aber Geld hab' ich keins.«
»Tut nichts«, darauf der Wirt, »Geld macht nicht glücklich, wenn man keins hat.«
»Die Gimpeln und die Amseln werden nachher bezahlen, du weißt schon.«
»Gut ist's, sagt der Teufel und dreht dem Pfaffen den Hals um!« rief geschäftig der Wirt und brachte nach allen Seiten hin das Verlangte.
Für die Stubengäste konnte sich übrigens der Steppenwirt heute wenig Zeit nehmen. Draußen am Bachrande, auf grünem Anger unter der Linde, waren Tische und Bänke aufgeschlagen noch vom Viehmarkt her. Dort war es an diesem Nachmittage verwunderlich überfüllt. Der Bauer, der die ganze Woche im Freien ist, sitzt sonst Sonntags gern in der Stube, auch bei schönstem Wetter, ja vergißt sogar manchmal ein Fenster aufzumachen; die dumpfige, rauchige und von Wein- und Menschendunst durchsetzte Luft mutet ihn sonntägig an. Aber heute war alles draußen. Es war nämlich dort das Unerhörteste zu sehen, was je in Altenmoos sich ereignen konnte. Der Guldeisner verkaufte sein Haus.
Breit an den Lindenbaum hingelehnt saß der Großbauer da und stemmte die Fäuste auf den Tisch. Er hatte eine kohlschwarze Fellhose an, die von den Knien ab mit steifem Leder besetzt war bis nieder zu den beschlagenen Bundschuhen; dann eine schwarze Weste mit einer Reihe großer Silberknöpfe. Und er hatte eine kurze Jacke aus dunkelbraunem Tuche an und einen schwarzen seidenwolligen Hut mit schmaler eingeringelter Krempe auf. An seinen Ohrläppchen blinkten zwei goldene Scheiblein. Um den Bauch trug er einen breiten, mit weißer Seide ausgesteppten Ledergurt, auf dessen Schild unter vielem Zierat die Buchstaben F. G. standen. Das war der Franz Guldeisner in seiner Großbauerntracht.
Ihm gegenüber saß ein Herr mit blondem, gutmütig lächelndem Gesicht, kurzgeschnittenem Vollbart und Augengläsern. Er hatte ein graues Tuchgewand am Leibe und feine Wäsche, die an Hals und Ärmeln weiß und glatt hervorblinkte. Er war noch nicht alt, tat recht behaglich und gab sich schlicht und zuvorkommend gegen jeden. Dort unter dem Vordache der Stallung stand sein Wagen, an dem alles funkelte und der voran zwei Laternen aufgesteckt hatte. Ein Bauer bemerkte darüber, da wäre es leicht, bis in die Nacht im Wirtshaus sitzen, wenn man nachher in einem Wagen, der zwei Augen habe, heimfahren könne. Da glaube er schon, daß kein rauschiger Herr in den Bach falle.
Die beiden Männer, der Guldeisner und der graue Herr, hatten vor sich auf dem Tisch hohe schmale Flaschen stehen, »herrische Röhrln«, wie der Wirt dartat, aus dem der Herr dem Bauer das Trinkglas füllte, so oft es hohl war.
Die übrigen Bauern hielten sich in gemessener Entfernung, plauderten halblaut unter sich über Feld und Vieh, Wind und Wetter, spitzten aber insgeheim die Ohren den beiden Männern unter der Linde zu. Der Guldeisner und der Kampelherr!