Cooldown. Markus Vath
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Dies änderte sich mit der Ära der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts (begonnen hatte die Industrialisierung allerdings schon im 18. Jahrhundert, unter anderem mit der Erfindung der Dampfmaschine). Nun rückten Fabriken und Maschinen in den Mittelpunkt. Wo vorher mehrere Menschen nötig waren, um etwas zu produzieren, erledigten das nun Maschinen zu einem Bruchteil der Zeit und der Kosten. In unserem Beispiel bringt der Werkstattmitarbeiter die Schrauben an Ihren Reifen nicht mehr mühsam mit einem Schraubenschlüssel an, sondern mit einem leistungsstarken Akkuschrauber. Was früher anstrengend war und mehrere Minuten dauerte, ist nun innerhalb von Sekunden mit einer geeigneten Maschine erledigt.
Während Sie auf Ihr Auto warten, sitzen Sie vielleicht in einem bequemen Sessel, eine Assistentin bringt Ihnen Kaffee und Sie lesen ein wenig in der Zeitung. Dies symbolisiert die Phase der Dienstleistungen und der Wissensarbeit, die Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts immer wichtiger wurden. Nachdem die Maschinen einen enormen Produktivitätsschub gebracht hatten, entwickelten sich für Menschen neue Tätigkeitsfelder, unter anderem alle möglichen Servicetätigkeiten und Beratungsdienstleistungen.
Die letzte Phase, in die wir erst einzutreten begonnen haben, wird als Vernetzung der Menschen und Maschinen untereinander in den nächsten Jahrzehnten einen Höhepunkt erreichen (»networked mind«). Die Zukunft Ihres Werkstattbesuches könnte daher so aussehen, dass Sie nicht mehr von einem echten Menschen empfangen werden, sondern von einem Hologramm (das natürlich ebenso freundlich ist und dazu immer gut gelaunt). Sie bezahlen auch nicht mehr mit Geld oder Karte, sondern mit einem Chip, der in Ihr Handy eingebaut ist. Sie wischen mit dem Handy kurz über einen kleinen Kasten an der Rezeption und das war’s. Auf Wunsch wird von nun an auch Ihr Wagen per GPS geortet, um Sie auf die nächstgelegenen Vertragswerkstätten aufmerksam zu machen. Das Ergebnis wird Ihnen in Ihre Multicodex-Frontscheibe gespiegelt, die seit 2020 zum Standard aller großen Autohersteller gehört.
Wie man sieht, gehen wir aufregenden Zeiten entgegen. Das kleine Beispiel der Autowerkstatt soll zeigen, wie weit wir uns von Pflugscharen und Katapulten wegbewegt haben und wie viel wir bei Modernisierung und Produktivität bereits erreicht haben. Doch natürlich geht diese Entwicklung nicht reibungslos vonstatten. Besonders während der Übergänge von einer Phase zur anderen, den Transformationen, rüttelt es die Gesellschaft ganz schön durch. Worin bestehen nun die gewaltigen Veränderungen, die innerhalb der Dritten Transformation stattfinden?
Vernetzung: Da wäre zunächst einmal die massive Zunahme von Information und Kommunikation zu nennen. Menschen, Unternehmen und Gesellschaften vernetzen sich untereinander in einem Ausmaß, das noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Facebook, das größte virtuelle Netzwerk auf diesem Planeten, hatte im Oktober 2012 nach eigenen Angaben rund eine Milliarde monatlicher, aktiver Nutzer. Ein durchschnittliches Smartphone hat heutzutage mehr Rechenleistung als ein PC vor zehn Jahren. Diese rasante Technisierung und Informatisierung durchdringt mittlerweile all unsere Lebensbereiche.
Unsicherheit: Während Kommunikation und Information alle Sphären des menschlichen Zusammenlebens durchdringen, wirkt sich die Dritte Transformation natürlich speziell auf den Arbeitssektor aus. Hier sind an erster Stelle die Veränderungen in den Arbeitsformen zu nennen. Bereits heute nimmt die Zahl der Niedriglöhner, 1-Euro-Jobber und der Selbstständigen zu. Es gibt weniger Vollzeitstellen und traditionelle Karriereverläufe. In der Arbeitswelt von morgen muss der Einzelne eine größere Unsicherheit ertragen. Das Berufsleben, die Karriere und damit das Leben an sich wird weniger planbar und unterliegt einer größeren Eigenverantwortung und Flexibilität.
Psychische Belastungen: Mit dieser Unsicherheit und der informationellen Überforderung brechen sich neue Krankheiten Bahn. Die Stressbelastung steigt an, Depressionen und Burnout nehmen zu. Psychische Erkrankungen allgemein steigen an. Offensichtlich halten die Bewältigungsmechanismen der Menschen mit den neuen technischen und organisatorischen Anforderungen im Job nicht Schritt. Viele Menschen fühlen sich zudem – trotz der großen Vernetzung – in ihrer Berufswelt isoliert und alleingelassen. Auch diese »virtuelle Einsamkeit« verstärkt das Risiko psychischer Belastungen und Krankheiten.
Sinnsuche: Nicht zuletzt rückt, mit dem Megatrend Gesundheit im Schlepptau, die Frage nach dem Sinn in der Arbeit verstärkt in den Mittelpunkt der individuellen Lebensgestaltung. Immer mehr Menschen verlangen eine Antwort auf die Frage: Wozu tue ich das? Ergibt diese Tätigkeit für mich Sinn? Das bislang vorrangig gelebte Modell »viel Arbeit, viel Geld, wenig Zeit, wenig Familie« verliert für immer mehr Menschen deutlich an Attraktivität. Arbeit und Beruf sollen nicht mehr die einzig tragende Identitätssäule des Lebens sein, sondern sich einreihen in ein Gesamtkonzept von sozialem Leben, intellektueller Befriedigung, Gesundheit und spiritueller Reifung.
Führung: Auch die Organisationen müssen sich der Dritten Transformation stellen. Eine der wichtigsten Fragen lautet hier: Verändert sich durch die Dritte Transformation das Wesen der Führung, die damit verbundenen Anforderungen? Brauchen wir »neue Chefs«? Brauchen wir Führung im traditionellen Sinne überhaupt noch? Vor allem im Bereich der Wissensarbeit stellen Beschäftigte das klassische Oben-Unten von Führen und Geführtwerden infrage. Hier zeigt sich der Wunsch nach neuen Formen der Organisation und der Zusammenarbeit, nach Produktivität bei gleichzeitig erhöhter Eigenmotivation durch Selbstverantwortung.
Die vernetzte Gesellschaft: Informationsflut und kommunikative Überlastung
Informationen sind eine Schlüsselressource der Arbeitswelt. Je mehr der Anteil der vernetzten Wissensarbeit an der gesamten wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Wertschöpfung zunimmt, desto wichtiger wird es auch, schnell an alle Informationen zu kommen, die man für seine Arbeit braucht. Diese Informationen können dann wiederum bearbeitet, verbessert und geteilt werden. In den umfangreichen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, die dem Menschen zur Verfügung stehen und die uns nicht zuletzt das Internet beschert hat, liegt auch ein großer Pferdefuß: Wir produzieren mehr Informationen, als wir aufnehmen können.
Würde man die Datenmenge des Internets auf DVDs brennen und stapeln, würde der Turm von der Erde bis fast zum Mond reichen
Informationen umfassen ja nicht nur Mails oder SMS, also solche, die von Person zu Person direkt gesendet werden und gezielt auf uns einströmen. Sondern genauso das Magazin, das man liest, oder die iPhone-App, das Radio-Gedudel im Hintergrund zuhause oder der Info-Flyer beim Elternabend. Information ist in Form und Qualität unglaublich vielfältig geworden. Bestes Beispiel dafür ist das Internet. Laut einer Studie des Netzwerkausrüsters Cisco soll sich der gesamte Internetverkehr bis 2016 vervierfachen.14 Das würde bedeuten, dass 2016 so viele Daten im Netz kreisen wie in allen bisherigen Jahren zusammengenommen! Das weltweite Datenvolumen wird bis auf unvorstellbare 1,3 Zettabyte ansteigen.