Die Vampirschwestern 4 - Herzgeflatter im Duett. Franziska Gehm
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Für Vampire und Halbvampire war Heimaterde lebenswichtig. Ohne Heimaterde wurden sie immer schwächer, bekamen Juckreiz und redeten wirr, bis sie schließlich in ein Koma fielen, aus dem sie womöglich nie wieder erwachten. Silvania war vor Kurzem so einem Koma nur haarscharf entkommen. Daka hatte gerade noch rechtzeitig eingegriffen, ein paar Krümel Heimaterde aus ihren Zehen gepult und ihrer Schwester in die Nase gestopft.
Daka trocknete die Füße behutsam ab und legte sie auf den Tigerrücken.
Ali Bin Schick rückte dicht an die Füße heran und betrachtete sie eingehend. „Oho“, sagte er. Und „aha“ und „hm, hm“ und „heidewitzka“.
Daka tippte ungeduldig mit den Fingern auf den Teppich. „Habe ich auch einen Spreizfuß?“
Ali Bin Schick schüttelte den Kopf. „Dafür hast du Dreck zwischen den Zehen.“
Daka verkrampfte die Zehen sofort. Ihre Heimaterde gab sie nicht her. Da musste Ali Bin Schick eben um die Krümel herum lesen.
Ali Bin Schick musterte Daka eindringlich. „Besser Dreck zwischen den Zehen als Fußpilz, was?“, sagte er dann und lächelte. Er spreizte die Finger und beschrieb eine Wellenlinie um Dakas Füße. „Dein Leben scheint voller Abenteuer zu sein. Und du scheust sie nicht, im Gegenteil, du suchst sie. Dich dürstet geradezu nach Erlebnissen mit Nervenkitzel, nicht wahr?“
Daka wiegte den Kopf.
Silvania nickte.
Ali Bin Schick richtete den Blick wieder auf Dakas Fußsohlen und seufzte. „Auch für dich sieht die allernächste Zukunft nicht gerade rosig aus. Deine Lebenslinie hier bekommt einen seltsamen Knick. Und die Gesundheitskreise auf den Zehen werden immer kleiner. Ein ganz schlechtes Zeichen“, meinte Ali Bin Schick, der in der Luft mit dem Finger die Linien und Kreise auf Dakas Fußsohle nachahmte.
„Erwarten mich auch schlaflose Nächte?“, fragte Daka.
Ali Bin Schick schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht. Auf dich kommen Turbulenzen, gefährliche Situationen und …“, der Wahrsager verzog das Gesicht, „… beißende Schmerzen zu.“
Daka starrte den Wahrsager mit offenem Mund an. Beißende Schmerzen. Schmerzen?!? Ein Halbvampir kennt keinen Schmerz. „Und wo kommen die her, die Schmerzen?“
Ali Bin Schick nahm Dakas Fuß in die Hand und betrachtete ihn genau. „Du fügst sie dir selbst zu.“
Daka sah den Wahrsager ungläubig an. Und dafür hatte sie nun drei Euro fünfzig bezahlt.
Silvania legte Daka den Arm um die Schulter und flüsterte: „Nimm es nicht so ernst.“ Dann sagte sie laut zum Wahrsager: „Können Sie denn nicht irgendetwas Positives sagen?“
Ali Bin Schick hüstelte. „Das würde ich gerne, glaubt mir. Aber ich kann ja nur das sagen, was ich sehe. Etwas Positives bekommt man bei der Maniküre gesagt, bei mir bekommt man die Wahrheit. Die ist nicht immer positiv. Tut mir leid.“
Daka sah Ali Bin Schick fassungslos an. Das war alles, was er ihr prophezeite? Turbulenzen, gefährliche Situationen und beißende Schmerzen? Das klang nach einem Flugzeugabsturz. Einer Naturkatastrophe. Einem Zahnarztbesuch. Auf jeden Fall klang es gar nicht gut.
Schlaflose Nächte, beängstigende Kräfte, tödliche Begierde, dachte Silvania. Das hörte sich an wie ein Thriller. Wer wollte schon, dass sein Leben ein einziger Thriller war? Silvania Tepes auf jeden Fall nicht.
„Aber, meine Lieben“, sagte Ali Bin Schick, hielt den Zeigefinger in die Höhe und drehte sich einmal auf der lackierten Zehenspitze um sich selbst. Trotz seiner Körperfülle sah es sehr elegant aus. „Im Orakulum Spektakulum werden nicht nur Weissagungen getroffen, sondern auch Wünsche erfüllt.“ Ali Bin Schick lächelte. „Ihr habt doch Wünsche, oder?“
Daka und Silvania vergaßen Turbulenzen, tödliche Begierden und gefährliche Situationen und nickten schnell. Sie zogen ihre Strümpfe und Schuhe wieder an. Daka hielt inne und blickte fragend auf. „Oder brauchen Sie auch dazu unsere Füße?“
Ali Bin Schick winkte mit beiden Händen gleichzeitig ab. „Füße sind keine Mittler für Sehnsüchte, Träume und Wünsche. Sie stehen auf dem Boden, sind mit der Wirklichkeit verankert. Wünsche jedoch sind losgelöst, sie schweben und lassen sich treiben, bis sie sich erfüllen.“ Ali Bin Schick stellte zwei Schüsselchen, kaum größer als ein Flaschendeckel, auf den Tigerrücken. Er holte eine dunkelblaue Flasche aus einem Regal. Mit gekonntem Griff zog er den Korken aus dem Flaschenhals und goss eine goldene Flüssigkeit in die Schüsselchen. Sie war dickflüssig und glänzte wie Honig. Ali Bin Schick beugte sich über die Schüsselchen, schloss die Augen, atmete tief ein und seufzte. So verharrte er ein paar Sekunden.
Daka und Silvania beobachteten den Wahrsager. Silvania warf ihrer Schwester einen fragenden Blick zu. Daka zuckte mit den Schultern.
Mit einem weiteren Seufzer öffnete Ali Bin Schick die Augen. „Wenn ich euch jetzt bitten dürfte, ein Haar in eins der Schüsselchen zu legen.“
„Ein Haar? Wieso denn ein Haar?“, fragte Silvania.
„Du meinst, wieso nicht zwei Haare?“, fragte Ali Bin Schick.
„Nein“, erwiderte Silvania, „ich meine, wieso ein Haar und nicht ein …“
„Auge“, sagte Daka.
Silvania sah ihre Schwester irritiert an.
„Haare sind die perfekten Mittler für Wünsche“, erklärte Ali Bin Schick. „Sie gehören zu uns, können sich dennoch lösen und können in die Unendlichkeit wachsen.“
Daka fand, das klang einleuchtend. Außerdem gab sie Ali Bin Schick lieber ihr Haar als noch einmal ihren Fuß. Sie griff mit Daumen und Zeigefinger nach einem einzelnen Haar und zog es mit einem Ruck heraus. Es war pechschwarz und gerade wie die Borsten einer Ofenbürste. Sie legte es vorsichtig in eine der beiden kleinen Schüsseln. Sofort wurde das Haar von der goldenen Flüssigkeit umschlossen.
Silvania hatte derweil ein langes, welliges Haar von ihrem roten Kleid abgelesen und legte es in das andere Schüsselchen.
„Die Haare müssen einen Moment im Wunschpunschöl einweichen“, erklärte der Wahrsager. Dann nahm er ein kleines, rundes Tablett, auf dem zwei wunderschöne, handtellergroße Blüten lagen. Die Blütenblätter waren weiß. An den Rändern verfärbten sie sich rosa, als hätte sie jemand in Himbeersaft getaucht. Der Blütenkelch war buttergelb. Ali Bin Schick stellte das Tablett mit den Blüten vor den Schwestern ab.
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