Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Der brave Mann lud uns ein, ihn noch oft zu besuchen, und kaum hatte er gehört, wir seien völlig fremd in Berlin, und wissen noch nicht, wie wir den Abend zubringen sollen, so bat er uns, ihn in ein Haus zu begleiten, wo alle Montag ausgesuchte Gesellschaft von Freunden der schönen Literatur bei Tee versammelt sei; wir sagten dankbar zu und schieden.>
Zwölftes Kapitel>
Satan besucht mit dem Ewigen Juden einen ästhetischen Tee>
Ahasverus war den ganzen Tag über verstimmt; gerade das, daß er in seinem Innern dem Dichter recht geben mußte, genierte ihn so sehr. Er brummte einmal über das andere über die »naseweise Jugend« (obgleich der Dichter jener Novelle schon bei Jahren war), und den Verfall der Zeiten und Sitten. Trotz dem Respekt, den ich gegen ihn als meinen Hofmeister hätte haben sollen, sagte ich ihm tüchtig die Meinung, und brachte den alten Bären dadurch wenigstens so weit, daß er höflich gegen den Mann sein wollte, der so artig war, uns in den ästhetischen Tee zu führen.>
Die siebente Stunde schlug; in einem modischen Frack, wohlparfümiert, in die feinste, zierlichst gefältelte Leinwand gekleidet, die Beinkleider von Paris, die durchbrochenen Seidenstrümpfe von Lyon, die Schuhe von Straßburg, die Lorgnette so fein und gefällig gearbeitet, wie sie nur immer aus der Fabrik der Herren Lood in Werenthead hervorgeht, so stellte ich mich den erstaunten Blicken des Juden dar; dieser war mit seiner modischen Toilette noch nicht halb fertig und hatte alles höchst sonderbar angezogen, wie er z. B. die elegante, hohe Krawatte, ein Berliner Meisterwerk, als Gurt um den Leib gebunden hatte, und fest darauf bestand, dies sei die neueste Tracht auf Morea.>
Nachdem ich ihn mit vieler Mühe geputzt hatte, brachen wir auf. Im Wagen, den ich, um brillanter aufzutreten, für diesen Abend gemietet hatte, wiederholte ich alle Lehren über den gesellschaftlichen Anstand.>
»Du darfst«, sagte ich ihm, »in einem ästhetischen Tee eher zerstreut und tief denkend als vorlaut erscheinen; du darfst nichts ganz unbedingt loben, sondern sehe immer so aus, als habest du sonst noch etwas in petto, das viel zu weise für ein sterbliches Ohr wäre. Das Beifallächeln hochweiser Befriedigung ist schwer, und kann erst nach langer Übung vor dem Spiegel völlig erlernt werden; man hat aber Surrogate dafür, mit welchen man etwas sehr loben und bitter tadeln kann, ohne es entfernt gelesen zu haben. Du hörst z. B. von einem Roman reden, der jetzt sehr viel Aufsehen machen soll; man setzt als ganz natürlich voraus, daß du ihn schon gelesen haben müssest, und fragt dich um dein Urteil. Willst du dich nun lächerlich machen und antworten, ich habe ihn nicht gelesen? Nein! du antwortest frisch drauf zu: ›Er gefällt mir im ganzen nicht übel, obgleich er meinen Forderungen an Romane noch nicht entspricht; er hat manches Tiefe und Originelle, die Entwickelung ist artig erfunden, doch scheint mir hie und da in der Form etwas gefehlt und einige der Charaktere verzeichnet zu sein.‹>
Sprichst du so, und hast du Mund und Stirne in kritische Falten gelegt, so wird dir niemand tiefes und gewandtes Urteil absprechen.«>
»Dein Gewäsch behalte der Teufel«, entgegnete der Alte mürrisch; »meinst du, ich werde wegen dieser Menschlein, oder gar um dir Spaß zu machen, ästhetische Gesichter schneiden? Da betrügst du dich sehr, Satan, Tee will ich meinetwegen saufen, soviel du willst, aber –«>
»Da sieht man es wieder«, wandte ich ein, »wer wird denn in einer honetten Gesellschaft ›saufen‹? wieviel fehlt dir noch, um heutzutage als gebildet zu erscheinen! nippen, schlürfen, höchstens trinken – aber da hält schon der Wagen bei dem Dichter, nimm dich zusammen, daß wir nicht Spott erleben, Ahasvere!«>
Der Dichter setzte sich zu uns, und der Wagen rollte weiter. Ich sah es dem Alten wohl an, daß ihm, je näher wir dem Ziele unserer Fahrt kamen, desto bänger zumut war. Obgleich er schon seit achtzehn Jahrhunderten über die Erde wandelte, so konnte er sich doch so wenig in die Menschen und ihre Verhältnisse finden, daß er alle Augenblicke anstieß. So fragte er z. B. den Dichter unterwegs, ob die Versammlung, in welche wir fahren, aus> lauter> Christen bestehe, zu welcher Frage jener natürlich große Augen machte, und nicht recht wissen mochte, wie sie hieher komme.>
Mit wenigen, aber treffenden Zügen entwarf uns der Dichter den Zirkel, der uns aufnehmen sollte. Die milde und sinnige Frömmigkeit, die in dem zarten Charakter der gnädigen Frau vorwalten sollte; der feierliche Ernst, die stille Größe des ältern Fräuleins, die, wenngleich Protestantin, doch ganz das Air jener wehmütig heiligen Klosterfrauen habe, die, nachdem sie mit gebrochenen Herzen der Welt Ade gesagt, jetzt ihr ganzes Leben hindurch an einem großartigen, interessanten Schmerz zehren. Das jüngere Fräulein, frisch, rund, blühend, heiter, naiv, sei verliebt in einen Gardelieutenant, der aber, weil er der ältern nicht sinnig genug sei, nicht zu dem ästhetischen Tee komme. Sie habe die schönsten Stellen in Goethe, Schiller, Tieck usw., welche ihr die Mutter zuvor angestrichen, auswendig gelernt und gäbe sie hie und da mit allerliebster Präzision preis. Sie singt, was nicht anders zu erwarten ist, auf Verlangen italienische Arietten mit künstlichen Rouladen; ihre Hauptforce besteht aber im Walzerspielen.>
Die übrige Gesellschaft, einige schöne Geister, einige Kritiker, sentimentale und naive, junge und ältere Damen, freie und andere Fräulein werden wir selbst näher kennenlernen.>
Der Wagen hielt, der Bediente riß den Schlag auf und half meinem bangen Mentor heraus; schweigend zogen wir die erleuchtete Treppe hinan; ein lieblicher Ambraduft wallte uns aus dem Vorzimmer entgegen; Geräusch vieler Stimmen und das Gerassel der Teelöffel tönte aus der halbgeöffneten Türe des Salons, auch diese flog auf, und umstrahlt von dem Sonnenglanz der schwebenden Lüsters, saß im Kreise die Gesellschaft.>
Der Dichter führte uns vor den Sitz der gnädigen Frau und stellte den Doktor Mucker und seinen Eleven, den jungen Baron von Stobelberg, vor. Huldreich neigte sich die Matrone, und reichte uns die schöne zarte Hand, indem sie uns freundlich willkommen hieß; mit jener zierlichen Leichtigkeit, die ich einem Wiener Incroyable abgelauscht hatte, faßte ich diese zarte Hand, und hauchte ein leises Küßchen der Ehrfurcht darüber hin. Die artige Sitte des Fremdlings schien ihr zu gefallen, und gern gewährte sie dem Mentor des wohlgezogenen Zöglings die nämliche Gunst; aber o Schrecken! indem er sich niederbückte, gewahrte ich, daß sein grauer, stechender Judenbart nicht glatt vom Kinn wegrasiert sei, sondern wie eine Kratzbürste hervorstehe; die gnädige Frau verzog das Gesicht grimmig bei dem Stechkuß, aber der Anstand ließ sie nicht mehr, als ein leises Gejammer hervorstöhnen; wehmütig betrachtete sie die schöne weiße Hand, die rot aufzulaufen begann, und sie sah sich genötigt im Nebenzimmer Hülfe zu suchen; ich sah, wie dort ihre Zofe aus der silbernen Toilette Kölnisches Wasser nahm und die wunde Stelle damit rieb; sodann wurden schöne glacierte Handschuhe geholt, die Käppchen davon abgeschnitten, so daß doch die zarten Fingerspitzen hervorsehen konnten, und die gnädige Hand damit bekleidet.>
Indessen hatten sich die jungen Damen unsere Namen zugeflüstert, die Herren traten uns näher und befragten uns über Gleichgültiges, worauf wir wieder Gleichgültiges antworteten, bis die Seele des Hauses wieder hereintrat. Die Edle wußte ihren Kummer um die aufgelaufene Hand so gut zu verbergen, daß sie nur einem häuslichen Geschäft nachgegangen zu sein schien, und sogar der »alte Sünder« selbst nichts von dem Unheil ahnete, das er bewirkt hatte.>
Die einzige Strafe war, daß sie ihm einen stechenden Blick für seinen stechenden Handkuß zuwarf, und> mich> den ganzen Abend hindurch auffallend vor ihm auszeichnete.>