Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Diese Dame saß aber da, voll Glanz und Glorie, wie wenn sie die »Gabriele« selbst zur Welt gebracht hätte. Sie dankte nach allen Seiten hin für das Lob, das ihrer Freundin zuteil geworden, und gab nicht undeutlich zu verstehen, daß sie selbst vielleicht einigen Einfluß auf das neue Buch gehabt habe; denn sie finde hin und wieder leise Anklänge an ihre eigenen Empfindungen, an ihre eigenen Ideen über inneres Leben und über die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, die sie in traulichen Stunden ihrer Freundin aufgeschlossen.
Man war natürlich so artig, ihr deswegen einige Komplimente zu machen, obgleich man allgemein überzeugt war, daß die »geniale Freundin« nichts aus dem innern Wollauschen Leben gespickt haben werde.
Der Ewige Jude hatte indes bei diesen Vorgängen eine ganz sonderbare Figur gespielt. Verwunderungsvoll schaute er in diese Welt hinein, als traue er seinen Augen und Ohren nicht; doch war das Bemühen, nach meiner Vorschrift ästhetisch oder kritisch auszusehen, nicht zu verkennen. Aber weil ihm die Übung darin abging, so schnitt er so greuliche Grimassen, daß er einigemal während des Vorlesens die Aufmerksamkeit des ganzen Zirkels auf sich zog, und die Dame des Hauses mich teilnehmend fragte, ob mein Hofmeister nicht wohl sei.
Ich entschuldigte ihn mit Zahnschmerzen, die ihn zuweilen befallen, und glaubte alles wiedergutgemacht zu haben. Als aber Frau von Wollau, die ihm gegenüber saß, ihren Einfluß auf die Dichterin mitteilte, mußte das preziöse geschraubte Wesen derselben dem alten Menschen so komisch vorkommen, daß er laut auflachte.
Wer jemals das Glück gehabt hat, einem eleganten Tee in höchst feiner Gesellschaft beizuwohnen, der kann sich leicht denken, wie betreten alle waren, als dieser rohe Ausbruch des Hohns erscholl. Eine unangenehme, totenstille Pause erfolgte, in welcher man bald den Doktor Mucker, bald die beleidigte Dame ansah; die Frau des Hauses, eingedenk des stechenden Kusses, wollte schon den unartigen Fremden, der den Anstand ihres Hauses so gröblich verletzte, ohne Rückhalt zurechtweisen, als dieser, mit mehr Gewandtheit und List, als ich ihm zugetraut hätte, sich aus der Affaire zu ziehen wußte:
»Ich hoffe, gnädige Frau«, sagte er, »Sie werden mein allerdings unzeitiges Lachen nicht mißverstehen, und mir erlauben, mich zu rechtfertigen. Es ist Ihnen allen gewiß auch schon begegnet, daß eine Ideenassoziation Sie völlig außer Contenance brachte, ist doch schon manchem, mitten unter den heiligsten Dingen ein lächerlicher Gedanke aufgestoßen, der ihn im Mund kitzelte, und je mehr er bemüht war, ihn zu verhalten und zurückzudrängen, desto unaufhaltsamer brach er auf einmal hervor, so geschah es mir in diesem Augenblick. Sie würden mich unendlich verbinden, gnädige Frau, wenn Sie mir erlaubten, durch offenherzige Erzählung mich bei Frau von Wollau zu entschuldigen.«
Gnädige Frau, höchlich erfreut, daß der Anstand doch nicht verletzt sei, gewährte ihm freundlich seine Bitte und der Ewige Jude begann: »Frau von Wollau hat uns ihr interessantes Verhältnis zu einer berühmten Dichterin mitgeteilt, sie hat uns erzählt, wie sie in manchen Stunden über ihre schriftstellerischen Arbeiten sich mit ihr besprochen, und dies erinnerte mich lebhaft an eine Anekdote aus meinem eigenen Leben.
Auf einer Reise durch Süddeutschland verlebte ich einige Zeit in S. Meine Abendspaziergänge richteten sich meistens nach dem königlichen Garten, der jedem Stand zu allen Tageszeiten offenstand; die schöne Welt ließ sich dort, zu Fuß und zu Wagen, jeden Abend sehen; ich wählte die einsameren Partien des Gartens, wo ich, von dichten Gebüschen gegen die Sonne und störende Besuche verschlossen, auf weichen Moosbänken mir und meinen Gedanken lebte.
Eines Abends, als ich schon längere Zeit auf meinem Lieblingsplätzchen geruht hatte, kamen zwei gutgekleidete, ältliche Frauen und setzten sich auf eine Bank, die nur durch eine schmale, aber dichtbelaubte Hecke von der meinigen getrennt war. Ich hielt nicht für nötig, ihnen meine Nähe, die sie nicht zu ahnen schienen, zu erkennen zu geben; Neugierde war es übrigens nicht, was mich abhielt, denn ich kannte keine Seele in jener Stadt, also konnten mir ihre Reden höchst gleichgültig sein. Aber stellen Sie sich mein Erstaunen vor, Verehrteste, als ich folgendes Gespräch vernahm:
›Nun? und darf man Ihnen Glück wünschen, Liebe? haben Sie endlich die hartnäckige Elise aus der Welt geschafft?‹
›Ja‹, antwortete die andere Dame, ›heute früh nach dem Kaffee habe ich sie umgebracht.‹
Schrecken durchrieselte meine Glieder, als ich so deutlich und gleichgültig von einem Mord sprechen hörte, so leise als möglich näherte ich mich vollends der Hecke, die mich von jenen trennte, schärfte mein Ohr wie ein Wachtelhund, daß mir ja nichts entgehen sollte, und hörte weiter:
›Und wie haben Sie ihr den Tod beigebracht; wie gewöhnlich durch Gift? oder haben Sie die Unglückliche, wie Othello seine Desdemona, mit der Bettdecke erstickt?‹
›Keines von beiden‹, entgegnete jene, ›aber recht hart ward mir dieser Mord; denken Sie sich, drei Tage lang hatte ich sie schon zwischen Leben und Sterben, und immer wußte ich nicht, was ich mit ihr anfangen sollte; da fiel mir endlich ein gewagtes Mittel ein: ich ließ sie, wie durch Zufall, von einem Steg ohne Geländer in den tiefen Strom hinabgleiten, die Wellen schlugen über ihr zusammen, man hat von Elisen nichts mehr gesehen.‹
›Das haben Sie gut gemacht, und die wievielte war diese, die Sie auf die eine oder die andere Art umbringen?‹
›Nun das wird bald abgezählt sein, Pauline Dupuis, Marie usw., aber die erstere trug mir am meisten Ruhm ein; es waren dies noch die guten Zeiten von 1802, wo noch wenige mit mir konkurrierten.‹
Die Haare standen mir zu Berg; also fünf unschuldige Geschöpfe hatte diese Frau schon aus der Welt geschafft. War es nicht ein gutes Werk an der menschlichen Gesellschaft, wenn ich einen solchen Greuel aufdeckte und die Mörderin zur Rechenschaft zog?
Die Damen waren nach einigen gleichgültigen Gesprächen aufgestanden und hatten sich der Stadt zugewendet; leise stand ich auf und schlich mich ihnen nach, wie ein Schatten ihren Fersen folgend; sie gingen durch die Promenade, ich folgte; sie kehrten um und gingen durchs Tor, ich folgte; sie schienen endlich meine Beobachtungen zu bemerken, denn die eine sah sich einigemal nach mir um, ihr böses Gewissen schien mir erwacht, sie mochte ahnen, daß ich den Mord wisse, sie will mich durch die verschiedene Richtung der Straßen, die sie einschlägt, täuschen, aber ich – folge. Endlich stehen sie an einem Hause still; sie ziehen die Glocke, man schließt auf, sie treten ein. Kaum sind sie in der Türe, so gehe ich schnell heran, merke mir die Nummer des Hauses und eile, getrieben von jenem Eifer, den die Entdeckung eines so schauerlichen Geheimnisses in jedem aufregen muß, auf die Direktion der Polizei.
Ich bitte den Direktor um geheimes Gehör; ich lege ihm die ganze Sache, alles was ich gehört hatte, auseinander; weiß aber leider von den Gemordeten keine mit ihrem wahren Namen anzugeben, als eine gewisse Pauline Dupuis, die im Jahre 1801 unter der mörderischen Hand jener Frau starb. Doch dies war dem, unter solchen Fällen ergrauten Polizeimann genug; er dankt mir für meinen Eifer, schickt sogleich Patrouillen in die Straße, die ich ihm bezeichnete, und fordert mich auf, ihn, wenn die Nacht vollends herangebrochen sein werde, in jenes Haus zu begleiten; die Nacht wähle er lieber dazu, da er bei solchen Auftritten den Zudrang der Menschen und das Aufsehen wo möglich vermeide.
Die Nacht brach an, wir gingen; die Polizeisoldaten, die das Haus umstellt hatten, versicherten, daß noch kein Mensch dasselbe verlassen habe. Der Vogel war also gefangen. Wir ließen uns das Haus öffnen und fingen im ersten Stock unsere Untersuchung an. Gleich vor der Türe des ersten Zimmers hörte ich die Stimmen jener beiden Frauen; ohne Umstände öffne ich und deute dem Polizeidirektor die kleinere, ältliche Dame als die Verbrecherin an.
Verwundert stand diese auf, trat uns entgegen