Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff

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Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff

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nicht so leicht verblüffen; mit der ernsten Amtsmiene eines Kriminalrichters fragte er sie über ihren heutigen Spaziergang aus; sie gestand ihn zu, wie auch die Bank, wo sie gesessen; ihre Aussagen stimmten ganz zu den meinigen, der Mann sah sie schon als überwiesen an; die Frau fing an, ängstlich zu werden, sie fragte, was man denn von ihr wolle, warum man ihr Haus, ihr Zimmer mit Bewaffneten besetze, warum man sie mit solchen Fragen bestürme?

      Der Mann der Polizei sah in diesem ängstlichen Fragen nur den Ausbruch eines schuldbeladenen Gewissens; er schien es für das beste zu halten, durch eine verfängliche Frage ihr vollends das Verbrechen zu entlocken: ›Madame, was haben Sie Anno 1801 mit Pauline Dupuis angefangen? leugnen Sie nicht länger, wir wissen alles, sie starb durch Ihre Hand, wie heute früh die unglückliche Elise!‹

      ›Ja, mein Herr! ich habe die eine wie die andere sterben lassen‹, antwortete diese Frau mit einer Seelenruhe, die sogar in ein boshaftes Lächeln überzugehen schien.

      ›Und diesen Mord gestehen Sie mit so viel Gleichmut, als hätten Sie zwei Tauben abgetan?‹ fragte der erstaunte Polizeidirektor, dem in praxi eine solche Mörderin noch nicht vorgekommen sein mochte; ›wissen Sie, daß Sie verloren sind, daß es Ihnen den Kopf kosten kann?‹

      ›Nicht doch!‹ entgegnete die Dame, ›die Geschichte ist ja weltbekannt‹. – ›Weltbekannt?‹ rief jener, ›bin ich nicht schon seit zweiundvierzig Jahren Polizeidirektor, meinen Sie, dergleichen könne mir entgehen?‹

      ›Und dennoch werde ich recht haben, erlauben Sie, daß ich Ihnen die Belege herbeibringe?‹

      ›Nicht von der Stelle ohne gehörige Bewachung; Wache! zwei Mann auf jeder Seite von Madame; bei dem ersten Versuch zur Flucht – zugestoßen!‹

      Vier Polizeidiener, mit blanken Seitengewehren begleiteten die Unglückliche, die mir den Verstand verloren zu haben schien. Bald jedoch erschien sie wieder, ein kleines Buch in der Hand.

      ›Hier, meine Herren, werden Sie die Belege zu dem Mord finden‹, sagte sie, indem sie uns lächelnd das Buch überreichte.

      ›‚Taschenbuch für 1802‘‹, murmelte der Direktor, indem er das Buch aufschlug und durchblätterte, ›was Teufel, gedruckt und zu lesen steht hier: ‚ Pauline Dupuis von –‘. Mein Gott, Sie sind die Witwe des Herrn von –, und wenn ich nicht irre, selbst Schriftstellerin?‹

      ›So ist es‹, antwortete die Dame, und brach in ein lustiges Lachen aus, in welches auch der Direktor einstimmte, indem er, vor Lachen sprachlos, auf mich deutete.

      ›Und Elise, wie ist es mit diesem armen Kind?‹ fragte ich, den Zusammenhang der Sache und die Fröhlichkeit der Mörderin und des Polizeimannes noch immer nicht verstehend.

      ›Die liegt ermordet auf meinem Schreibtisch‹, sagte die Lachende, ›und soll morgen durch die Druckerei zum ewigen Leben eingehen. –‹

      Was brauche ich noch dazuzusetzen? meine Herren und Damen! ich war der Narr im Spiel und jene Frau war die rühmlichst bekannte, interessante Th. v. H. Die Erzählung ›Pauline Dupuis‹ ist noch heute zu lesen; ob die geniale Frau ihre ›Elise‹, die sie am Morgen jenes Tages nach dem Kaffee vollendet hatte, herausgegeben, weiß ich nicht. Ich mußte aus S. entfliehen, um nicht zum Gespötte der Stadt zu werden. Vorher aber schickte mir der Polizeidirektor noch eine große Diätenrechnung über Zeitversäumnis, weil ich durch jene lustige Mordgeschichte den Durstigen von seinem gewöhnlichen Abendbesuch in einem Klub abgehalten hatte.« –

      Der Ewige Jude hatte mit einer verbindlichen Wendung an Frau von Wollau geendet; allgemeiner Beifall ward ihm zuteil, und ein gnädiges Lächeln der Hausfrau sagte ihm, wie glücklich er sich gerechtfertigt hatte; und, wie die finstern Blicke dieser Dame vorher die Männer aus seiner unglücklichen Nähe entfernt hatten, ebenso schnell nahten sie sich ihm wieder, als ihn die Gnadensonne wieder beschien. Man zog ihn öfter ins Gespräch, man befragte ihn über seine Reisen, namentlich über jene in Süddeutschland; denn wie Schottland und seine Bewohner für London und Alt-England überhaupt, so ist Schwaben für die Berliner, welche nie an den Rebenhügeln des Neckars, und an den fröhlich grünenden Gestaden der obern Donau eines jener sinnigen herzlichen Lieder aus dem Munde eines »luschtiga Büebles« oder eines rüstigen hochaufgeschürzten »Mädles« belauschten, ein Gegenstand hoher Neugierde.

      Welch sonderbare Meinungen über jenes Land, selbst in gebildeten Zirkeln, wie dieser elegante Tee, im Umlauf seien, hörte ich diesen Abend zu meinem großen Erstaunen. In einem Zaubergarten, von sanften Hügeln, von klaren blauen Strömen, von blühenden, duftenden Obstwäldern, von prangenden Weingärten durchschnitten, wohne, meinten sie, ein Völkchen, das noch so ziemlich auf der ersten Stufe der Kultur stehe; immense Gelehrte, die sich nicht auszudrücken verstünden, phantasiereiche Schriftsteller, die kein Wort gutes Deutsch sprechen. Ihre Mädchen haben keine Bildung, ihre Frauen keinen Anstand; ihre Männer werden vor dem vierzigsten Jahre nicht klug, und im ganzen Land werden alle Tage viele Tausende jener Torheiten begangen, die allgemein unter dem Namen »Schwabenstreiche« bekannt seien.

      Mir kam dieses Urteil lächerlich vor; ich war manches Jahr in Schwaben gewesen, und hatte mich unter den guten Leutchen ganz wohl befunden; hätte ich nicht befürchten müssen, aus der Rolle eines Zöglings zu fallen, ich hätte sogleich darauf geantwortet, wie ich es wußte; so aber ersparte mir mein Mentor die Mühe, welcher, unglücklich genug, die gute Meinung, die er auf einige Augenblicke gewonnen hatte, nur zu schnell wieder verlieren sollte!

      »Ob die Berliner«, sagte er, »mehr innere Bildung, mehr Eleganz der äußern Formen besitzen, als die Schwaben, ob man hier im Brandenburgischen mit mehr Feinheit ausgerüstet auf die Erde, oder vielmehr auf Sand kommt, als in Schwaben, wage ich nicht zu untersuchen, aber so viel habe ich mit eigenen Augen gesehen, daß man dort im Durchschnitt unter den Mädchen eine weit größere Menge hübscher, sogar schöner Gesichter findet, als selbst in Sachsen, welches doch wegen dieses Artikels berühmt ist.«

      »Quelle Sottise«, hörte ich Frau von Wollau schnauben, »welche abgeschmackte Behauptungen dieser gemeine Mensch –«

      Umsonst winkte ich dem Ewigen mit den Augen, umsonst gab ihm der Dichter einen freundschaftlichen Rippenstoß, ihn zu erinnern, daß er sich unter Damen befinde, die auch auf Schönheit Anspruch machten, ruhig, als ob er den erzürnten Schönen das größte Kompliment gesagt hätte, fuhr er fort:

      »Sie können gar nicht glauben, wie reizend dieser verschriene Dialekt von schönen Lippen tönt; wie alles so naiv, so lieblich klingt; wie unendlich hübsch sind diese blühenden Gesichtchen, wenn man ihnen sagt, daß sie schön seien, daß man sie liebe; wie schelmisch schlagen sie die Augen nieder, wie unschuldig erröten sie, welcher Zauber liegt dann in ihrem Trotz, wenn sie sich verschämt wegwenden und flüstern: ›Ach ganget Se mer weg, moinet Se denn, i glaub’s?‹ Hier in Norddeutschland gibt es meist nur Teegesichter, die einen Trost darin finden, ästhetisch oder ätherisch auszusehen; sie müssen den Atem erst lange anhalten, wenn sie es je der Mühe wert halten, über dergleichen zu erröten.«

      O Jude, welchen Bock hattest du geschossen. Kaum hast du das zornblickende Auge einer Dame versöhnt, so begehst du den großen Fehler, vor zwölf Damen die schönen Gesichtchen zweier Länder zu loben, und nicht nur sie nicht mit aufzuzählen, sondern sogar ihren ätherischen Teint, ihre interessante Mondscheinblässe für Teegesichter zu verschreien!

      Die jungen Damen sahen erstaunt, als trauten sie ihren Ohren nicht, die ältern an; diese warfen schreckliche Blicke auf den Frevler und auf die übrigen Herren, die, ebenso erstaunt, noch keine Worte zu einer Replik finden konnten. Die Teetassen, die goldenen Löffelchen klirrten laut in den vor Wut zitternden Händen der Mütter, die seit zehn Jahren mit vieler Mühe es dahin gebracht hatten, daß ihre Töchter nobel und edel aussehen möchten – wozu

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