Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Wozu ein langes Verzeichnis dieser Sprachsünden hieher setzen, da ja das Buch, über welches wir sprechen, der »Mann im Monde«, ein lebendiges Verzeichnis, ein vollständiger Katalog seiner Worte, Wendungen, Farben und Bilder ist? Es ist die Sauce, womit er seine widerlichen Frikasseen anfeuchtet, und je mehr er ihr jenen echten Wildbretgeschmack zu geben weiß, der schon auf einer Art von Fäulnis und Moder beruht, desto mehr sagt sie dem verwöhnten Gaumen seines Publikums zu.
Noch ist endlich ein Zutätchen und Ingredienzchen anzuführen, das er aber selten anwendet, vielleicht weil er weiß, wie lächerlich er sich dabei ausnimmt; ich meine jene rührenden erbaulichen Redensarten, die als auf ein frommes Gemüt, auf christlichen Trost und Hoffnung gebaut, erscheinen sollen. Als uns der Fastnachtsball und das erbauliche Ende der Dame Magdalis unter die Augen kam, da gedachten wir jenes Sprichworts, »Junge H … n, alte Betschwestern«, wir glaubten, der gute Mann habe sich in der braunen Stube selbst bekehrt, sehe seine Sünden mit Zerknirschung ein, und werde mit Pater Willibald selig entschlafen. Das Tornister-Lieschen, Vielliebchen und dergleichen, überzeugten uns freilich eines andern, und wir sahen, daß er nur per anachronismum den Aschermittwoch vor der Fastnacht gefeiert hatte. Wie aber im Munde des Unheiligen selbst das Gebet zur Sünde wird, so geht es auch hier; er schändet die Religion nicht weniger als er sonst die Sittlichkeit schändet, und diese heiligen, rührenden Szenen sind nichts anders, als ein wohlüberlegter Kunstgriff, durch Rührung zu wirken; etwa wie jene Bettelweiber in den Straßen von London, die alle Vierteljahre kleine Kinder kaufen oder stehlen, und mit den unglücklichen Zwillingen seit zehn Jahren weinend an der Ecke sitzen.
Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich euch noch eine kleine Geschichte erzählen. Es kam einst ein fremder Mensch in eine Stadt, der sich Zutritt in die gute Gesellschaft zu verschaffen wußte. Dieser Mensch betrug sich von Anfang etwas linkisch, doch so, daß man manche seiner Manieren übersehen und zurechtlegen konnte. Er hielt sich gewöhnlich zu den Frauen und Mädchen, weil ihm das Gespräch der Männer zu ernst war, und jene lauschten gerne auf seine Rede, weil er ihnen Angenehmes sagte. Nach und nach aber fand es sich, daß dieser Mensch seiner gemeineren Natur in dieser Gesellschaft wohl nur Zwang angetan hatte; er sprach freier, er schwatzte den Ohren unschuldiger Mädchen Dinge vor, worüber selbst die älteren hätten erröten müssen. Wie es aber zu gehen pflegt: das Lüsterne reizt bei weitem mehr, als das Ernste, Sittliche; zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber offenem Ohr lauschten sie auf seine Rede, und selbst manche Zote, die für eine Bierschenke derb genug gewesen wäre, bewahrten sie in feinem Herzen. Der fremde Mann wurde der Liebling dieses Zirkels. Es fiel aber den Männern nach und nach auf, daß ihre Frauen über manche Verhältnisse freier dachten als zuvor, daß selbst ihre Mädchen über Dinge sprachen, die sonst einem unbescholtenen Kind von 15–16 Jahren fremd sein müssen.
Sie staunten, sie forschten nach dem Ursprung dieser schlechten Sitten, und siehe, die Frauen gestanden ihnen unumwunden, »Es ist der liebenswürdige angenehme Herr, der uns dieses gesagt hat.« Viele der Männer versuchten es mit Ernst und Warnung, ihn zum Schweigen zu bringen; umsonst, er schüttelte die Pfeile ab und plauderte fort. Die Männer wußten nicht, was sie tun sollten, denn es ist ja gegen die Sitte der guten Gesellschaft, selbst einen verworfenen Menschen die Treppe hinabzuwerfen. Da versuchte einer einen anderen Weg. Er setzte sich unter die Frauen und lauschte mit ihnen auf die Rede des Mannes, und merkte sich alle seine Worte, Wendungen, selbst seine Stimme. Und eines Abends kam er, angetan wie jener Verderber, setzte sich an seine Seite, ließ ihn nicht zum Worte kommen, sondern erzählte den Frauen nach derselben Manier, mit nachgeahmter Stimme, wie es jener Mann zu tun pflegte. Da fanden die vernünftigeren wenigstens, wie lächerlich und unsittlich dies alles sei. Sie schämten sich, und als jener Mensch dennoch in seinem alten Ton fortfahren wollte, wandten sie sich von ihm ab, er aber stand beinahe allein, und zog beschämt von dannen.
»Wo Ernst nicht hilft, da nimm den Spott zur Hilfe« dachte jener, und wohl ihm, wenn es ihm gelang, den Wolf im Schafskleide zu verjagen.
Meine Freunde! dasselbe, was in dieser Geschichte erzählt ist, dasselbe wollte auch » Der Mann im Monde«, und das war ja unsere erste Frage, er wollte den Erfinder der Mimili-Manier zu Nutz und Frommen der Literatur und des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte, lächerlich machen.
Wie er diesen Zweck verfolgte? ob es ihm gelingen konnte? ist der Gegenstand der folgenden Fragen.
II
Haben wir bisher nachgewiesen und darüber gesprochen, welchen Zweck »Der Mann im Monde« zu verfolgen hatte, indem wir den Gegenstand, gegen welchen er gerichtet war, nach allen Teilen auseinandersetzten, so kommt es uns zu, andächtig miteinander zu betrachten, wie er diesen Zweck verfolgte.
Es gibt verschiedene Wege, wie schon in der Parabel vom angenehmen Mann angedeutet ist, verschiedene Wege, um ein Laster, eine böse Gewohnheit oder unsittliche Ansichten aus der sittlichen Gesellschaft zu verbannen. Das erste und natürlichste bleibt immer, einen solchen Gegenstand mit Ernst, mit Gründen anzugreifen, seine Anhänger von ihrem Irrtum zu überführen, seine Blöße offen vor das Auge zu bringen. Diesen Weg hat man auch mit dem Claurenschen Unfug zu wiederholten Malen eingeschlagen. Ihr alle, meine Zuhörer, kennet hinlänglich jene öffentlichen Gerichte der Literatur, wo die Richter zwar, wie bei der heiligen Feme, verhüllt und ohne Namen zu Gericht sitzen, aber unverhüllt und unumwunden Recht sprechen; ich meine die Journale, die sich mit der Literatur beschäftigen. Wie es in aller Welt bestechliche Richter gibt, so auch hier. Es gab einige, freilich an Obskurantismus laborierende Blätter, welche jedes Jahr eine Fanfare bliesen, zu Gunsten und Ehren Claurens und seines Neugeborenen. Dem Vater wie dem Kindlein wurde gebührendes Lob gespendet, und das Publikum eingeladen, einige Taler als Patengeschenk zu spendieren. Doch zur Ehre der deutschen Literatur sei es gesagt, es waren und sind dies nur einige Winkelblätter, die nur mit Modeartikeln zu tun haben.
Bessere Blätter, bessere Männer als jene, die um Geld lobten, scheuten sich nicht, sooft Claurens Muse in die Wochen kam, das Produkt nach allen Seiten zu untersuchen, und der Welt zu sagen, was davon zu halten sei. Sie steigerten ihre Stimme, sie erhöhten ihren Tadel, je mehr die Lust an jenen Produkten unter euch überhandnahm, sie bewiesen mit triftigen Gründen, wie schändlich eine solche Lektüre, wie entwürdigend ein solcher Geschmack sei, wie entnervend er schon zu wirken anfange. Manch herrliches Wort wurde da über die Würde der Literatur, über wahren Adel der Poesie und über euch gesprochen, die ihr nicht errötet, ihm zu huldigen, die ihr so verstockt