Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Solche Männer kommen mir vor wie anständige Leute, die durch eine schmutzige Straße in gute Gesellschaft gehen sollen. Sie treten leise auf, sie wissen mit sicherem Fuße die breiten Steine herauszufinden, und treten reinlich in die Hausflur, während Menschen wie Clauren, wilden Jungen oder Schweinen gleich, durch dick und dünne laufen, und, nicht zufrieden, sich selbst beschmutzt zu haben, die Vorübergehenden besudeln und mit Kot bespritzen.
Noch gibt es, Gott sei es gedankt, solcher reinlichen Leute genug in unserer Literatur, gibt der Männer viele, die mit Wahrheit und Würde, jene Anmut, jene Laune verbinden, die euch in trüben Stunden freundlich zu Hilfe kommt. Oder solltet ihr vergessen haben, daß uns ein Goethe, Jean Paul, ein Tieck, ein Hoffmann, Erzählungen gaben, die sich mit jeder Dichtung des Auslandes messen können. Hat euch der »Vergißmeinnicht«-Mann so gänzlich gefesselt, daß ihr die schönen Blüten zahlreicher anderer Erzähler nicht einmal vom Hörensagen kennt? Freilich, diese Männer verschmähten es, ihre Blumen am Sumpf zu brechen, oder ihre Farben mit dem Wasser einer Pfütze zu mischen, sie fühlten, daß der Entwurf ihrer Gemälde anziehend und interessant, daß die Stellung der Gruppen nach natürlichen Gesetzen zu ordnen sei, daß selbst das Neue, Überraschende angenehm für das Auge sein müsse. Zeichnung der Landschaft, nicht der Spiegel und Sofas, Schilderung der Charaktere, nicht der Hüte und Gewänder, der Geist einer Jungfrau, nicht der üppige Bau ihrer Glieder war ihnen die Hauptsache; und darum können wir auch ihre Bilder, wie jedes gute Buch, alle Jahre mit erneuertem Vergnügen lesen, während uns der Berühmte schon nach der ersten Viertelstunde anekelt.
Man hat in neuerer Zeit in Frankreich und England angefangen, unsere Literatur hochzuschätzen. Die Engländer fanden einen Ernst, eine Tiefe, die ihnen bewunderungswürdig schien. Die Franzosen fanden eine Anmut, eine Natürlichkeit in gewissen Schilderungen und Gemälden, die sie selbst bei ihren ersten Geistern selten fanden. »Faust«, »Götz« und so manche herrliche Dichtung Goethes sind ins Englische übertragen worden, seine Memoiren entzücken die Pariser, Tiecks und Hoffmanns Novellen fanden hohe Achtung über dem Kanal, und Talma rüstet sich, Schillers tragische Helden seiner Nation vor das Auge zu führen. Wir Deutschen handelten bisher von jenen Ländern ein, ohne unsere Produkte dagegen ausführen zu können; mit Stolz dürfen wir sagen, daß die Zeit dieses einseitigen Handels vorüber ist.
Aber, müssen wir nicht erröten, wenn es endlich einem ihrer Übersetzer, aufmerksam gemacht durch den Ruhm des Mannes, einfällt, ein »Vergißmeinnichtchen«, oder ein Bändchen von »Scherz und Ernst« zu übertragen? Mit Recht könnt er in einer pompösen Anzeige sagen, »Das ist jetzt der Mann des Tages in Deutschland, er macht Furor, den müßt ihr lesen!« Meinet ihr etwa, man sei dort auch so nachsichtig gegen Lächerlichkeit und Gemeinheit, um diese Geschichtchen nur erträglich zu finden? Welchen Begriff werden gebildete Nationen von unserem soliden Geschmack bekommen, wenn sie den ganzen Apparat einer Tafel, oder ein Mädchen mit eigentümlichen Kunstausdrücken anatomisch beschrieben finden? Oder, wenn der Übersetzer in unserem Namen errötet, wenn er alle jene obszönen Beiworte, alle jene kleinlichen Schnörkel streicht, und nur die interessante Novelle gibt, wie Herr N. die Demoiselle NN. heiratet, was wird dann übrig sein?
Schneidet einmal dieser Puppe ihre kohlrabenschwarze Ringellöckchen ab, preßt ihr die funkelnden Liebessterne aus dem Kopfe, reißt ihr die Perlenzähne aus, schnallet den Schwanenhals nebst Marmorbusen ab, leget Shawls, Hüte, Federn, Unter-und Oberröckchen, Korsettchen, et cetera in den Kasten, so habt ihr dem lieben, herrlichen Kind die Seele genommen, und es bleibt euch nichts als ein hölzernes Kadaver: das Knochengerippe von Freund Heun!
Und wenn ihr euch nicht vor fremden Nationen schämet, wenn ihr über das deutsche Publikum nicht erröten könnet, so errötet vor euch selbst. Schämet euch, ihr Männer, wenn ihr eure Langweile nicht anders töten könnet, als mit Hülfe dieses Clauren, schämet euch ihr Frauen, wenn ihr Gefallen finden könnet an dieser niedrigsten Darstellung eures Geschlechtes, schämet euch ihr Jünglinge, wenn ihr wahre Liebe in diesem Handbuche der Sinnlichkeit wiederfinden wollet; errötet, wenn ihr es in seiner Schule nicht verlernt habt, errötet vor euch selbst, ihr Jungfrauen, eure Phantasie mit diesen lüsternen Bildern zu schmücken; es gibt eine moralische Keuschheit, eine holde, erhabene Jungfräulichkeit der Seele; man darf darauf rechnen, daß ein Mädchen sie verloren hat, wenn sie Claurens Erzählungen gelesen.
Überlasset seine Schilderung Dirnen, an welchen nichts mehr zu verlieren ist. Man wird es ihnen so wenig übelnehmen, wenn sie ihn lesen, als den Handwerksburschen, wenn sie auf der Straße unzüchtige Lieder singen.
Meine Zuhörer! ich habe also vor euch gesprochen, weil ich nicht anders konnte. Ich habe nicht auf Dank, nicht auf Lob gerechnet; die Menge ist vielleicht so tief gesunken, daß sie nicht mehr an solche Worte glaubt, meine Stimme verhallt vielleicht in dem tausendstimmigen Hurra, womit man in diesem Augenblick einen frischen Strauß »Vergißmeinnicht« empfängt.
Doch, wenn meine Worte auch nur auf einem Antlitz jene Röte der Scham aufjagten, die wie die Morgenröte der Bote eines schöneren Lichtes ist, wenn auch nur zwei, drei Herzen entrüstet sich von ihm abwenden, so habe ich für mein Bewußtsein genug getan! Weiß ich doch, daß es in diesen Landen noch Männer gibt, die mir im Geiste danken, die mir die Hand drücken und sagen: »Du hast gedacht wie wir!« Amen.
Wilhelm Hauff
Erzählungen
Die Bettlerin vom Pont des Arts