Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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Zu den selt­sams­ten Mün­zen wur­de das Ding aus­ge­prägt und in Um­lauf ge­setzt. In den Ge­richts­stu­ben und in den Wo­chen­stu­ben, auf dem Mark­te und in den Gas­sen, in der Wirts­stu­be und in dem lan­gen Trau­er­zu­ge, wel­cher dem so­eben ver­stor­be­nen, uns je­doch sonst wei­ter nicht in­ter­es­sie­ren­den Nip­pen­bur­ger das Ge­leit zum Kirch­hof gab, wur­de von dem Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de ge­spro­chen. Un­se­re Auf­ga­be aber ist es, vor al­len Din­gen Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher selbst zu hö­ren und dann erst der Welt das Wort zu ge­ben und den be­hag­li­chen oder un­be­hag­li­chen Ein­druck ih­rer Mei­nung auf den heim­ge­kehr­ten Aben­teu­rer in Be­tracht zu zie­hen.

      Also sprach Leon­hard Ha­ge­bu­cher zu sei­nen El­tern und sei­ner Schwes­ter und »tat be­deu­tend den Mund auf«, wie es in Her­mann und Do­ro­thea ge­schrie­ben steht, wo­bei je­doch noch zu be­mer­ken ist, dass die Er­zäh­lung nicht un­un­ter­bro­chen fort­lief, son­dern, durch al­les, was na­tur­ge­mäß einen sol­chen Be­richt ver­zö­gern und von der gra­den Stra­ße ab­drän­gen muss, auf­ge­hal­ten, nach al­tem Recht des Zu­hö­rers und des Er­zäh­lers selbst im hüp­fen­den Zick­zack vor­schritt und sich durch Tage und Wo­chen rin­gelnd hin­schlepp­te.

      »Sel­ten mag wohl ei­nem Men­schen eine so güns­ti­ge Ge­le­gen­heit, über sei­ne Sün­den und Las­ter nach­zu­den­ken und sie zu be­reu­en, ge­ge­ben wer­den, wie sie mir, ganz und gar ge­gen mei­nen Wil­len, zu­teil ge­wor­den ist, und da ihr mich wie­der in eu­rer Mit­te auf­ge­nom­men habt, ohne die al­ten Zer­würf­nis­se von neu­em auf­zu­fri­schen, so will auch ich so we­nig als mög­lich Wor­te über das ver­lie­ren, was ihr bei­den Al­ten zur Ge­nü­ge kennt und was das Schwes­ter­lein gott­lob nicht wei­ter kränkt. Ein re­le­gier­ter Stu­dio­sus der Theo­lo­gie konn­te wahr­lich kein Mann für den lie­ben Papa sein, und auch ich habe heu­te nichts mehr dazu zu sa­gen und wer­de jetzt ge­wiss kei­ne Un­ter­su­chung mehr an­stel­len, ob je­nem Schlä­ger, wel­cher die­se Schmar­re hier über die Nase und je­nen Strich durch alle Hoff­nun­gen, Er­war­tun­gen, Voraus­set­zun­gen der Fa­mi­lie Ha­ge­bu­cher in be­treff mei­ner leicht­sin­ni­gen In­di­vi­dua­li­tät zog, in ir­gend­ei­ner an­stän­di­gen Wei­se aus­ge­wi­chen wer­den konn­te. Ich weiß nicht, wel­che Fee von der Mama nicht zu mei­ner Tau­fe ein­ge­la­den wur­de, aber das weiß ich, dass sie mich die­sen Ver­stoß ge­gen die Höf­lich­keit und den all­ge­mei­nen An­stand schwer hat bü­ßen las­sen. Ich bin in einen Schlaf ge­fal­len wie die Prin­zeß Dorn­rös­chen, aber es war ein Schlaf voll sehr un­an­ge­neh­mer, är­ger­li­cher Träu­me, und durch einen Kuss wur­de ich auch nicht ge­weckt. Es liegt ein Da­sein, wel­ches nicht zu be­schrei­ben ist, zwi­schen der heu­ti­gen Stun­de und dem Jah­re acht­zehn­hun­dert­fünf­und­vier­zig. Es ist et­was gleich der Wir­kung ei­nes Schla­ges vor die Stirn; oder noch bes­ser – die Brigg schei­ter­te, und zer­schun­den und zer­schla­gen rich­te ich mich am Stran­de auf mit ei­nem dump­fen Be­wusst­sein von der Bran­dung, ei­nem Um­her­grei­fen nach Mast­trüm­mern und Plan­ken, ei­nem Rit­te auf ei­ner lee­ren Was­ser­ton­ne und der­glei­chen halb un­will­kür­li­chem Kampf mit der Ge­walt und Macht des Ozeans. Ich habe eine un­kla­re Erin­ne­rung, dass ich mei­ne Fä­hig­kei­ten in Hin­sicht auf die ma­the­ma­ti­schen Wis­sen­schaf­ten und neu­ern Spra­chen in den Zei­tun­gen dem Pub­li­kum rühm­te, dass ich den Ver­such mach­te, als Leh­rer ei­ner Pri­va­ter­zie­hungs­an­stalt mein Schick­sal zu er­fül­len, dass ich als Poet mich in Ge­le­gen­heits­ge­dich­ten und Wich­se­an­non­cen ver­such­te, je­doch we­der durch das eine noch das an­de­re den Lor­beer we­der zu noch in der Sup­pe er­hielt. Aus Ita­li­en habe ich mehr­fach nach Bums­dorf ge­schrie­ben und Nach­richt über mei­ne Zu­stän­de ge­ge­ben. Ich war Kom­mis­sio­när ei­nes großen Ho­tels in Ve­ne­dig, ich war Kam­mer­die­ner ei­ner bel­gi­schen Emi­nenz in Rom, und in Nea­pel leb­te ich nach der Ge­le­gen­heit des Or­tes harm­los, be­hag­lich, frei, ein Laz­zaro­ne und ein Gent­le­man, und habe es dem Fa­tum kaum Dank zu wis­sen, als es mich die­ser pa­ra­die­si­schen Exis­tenz ent­riss und mich Hals über Kopf in die ver­fäng­li­che Welt­fra­ge der Durch­ste­chung der Landen­ge von Suez warf. Wenn ich, wie lei­der nicht ge­leug­net wer­den kann, ein ziem­lich un­re­pu­tier­li­cher, va­ga­bon­den­haf­ter Ge­sell ge­we­sen war, so gab mir nun­mehr der Zu­fall Ge­le­gen­heit, mei­nen lie­ben El­tern und dem, was un­serei­ner hier in Deutsch­land sein Va­ter­land nennt, alle Ehre zu ma­chen. Als Se­kre­tär des Se­kre­tärs des Mon­sieur Linant-Bey, Obe­r­in­ge­nieurs Sei­ner Ho­heit des Vi­ze­kö­nigs von Ägyp­ten, wel­cher da­mals, das heißt im Jah­re acht­zehn­hun­dert­sie­ben­und­vier­zig, im Kon­trakt­ver­hält­nis­se mit Sei­ner Ma­je­stät dem Kö­nig der Fran­zo­sen un­ter­su­chen ließ, ob in der Tat das Rote Meer drei­ßig Fuß hö­her lie­ge als das Mit­tel­län­di­sche, hat­te ich das Ver­gnü­gen, das In­ter­es­se mei­ner vier­zig Mil­lio­nen Lands­leu­te in die­ser Fra­ge wür­dig ver­tre­ten zu kön­nen. Die Eng­län­der und Fran­zo­sen schick­ten Fre­gat­ten, Di­plo­ma­ten und Ru­del von Ge­lehr­ten, der deut­sche Ge­ni­us sand­te mich, was je­den­falls in alle Ewig­keit ein glän­zen­der Ruhm für Nip­pen­burg und Bums­dorf blei­ben wird. ›Schwin­del!‹ grunz­te John Bull, wel­chem we­nig oder nichts an dem Gra­ben ge­le­gen ist. ›Wel­this­to­ri­sche Idee!‹ kreisch­te Ro­bert Ma­caire, dem be­kannt­lich die mer mé­di­ter­ranée von der Vor­se­hung zum Ei­gen­tum und Wasch­be­cken über­wie­sen wur­de; und die Ni­vel­le­ments­ex­pe­di­ti­on un­ter den Her­ren Linant-Bey und Bour­da­loue be­gab sich mit Ei­fer ans Werk, um die Eng­län­der ad ab­sur­dum zu füh­ren. Im In­ter­es­se der deut­schen Bun­des­stadt Triest, des ge­sun­den Men­schen­ver­stan­des und mei­ner ei­ge­nen Stel­lung schlug ich mich na­tür­lich auf die Sei­te Frank­reichs und des Ma­me­lu­cken­zi­vi­li­sa­teurs Me­he­med Ali. Recht ver­gnüg­lich rich­te­ten wir uns im San­de zwi­schen Pe­lu­si­um und Suez ein, trab­ten mit Mess­ket­ten und Stan­gen, mit Di­opter­li­ne­a­len, Qua­dran­ten, Sex­tan­ten und Bus­so­len hin und her, rech­ne­ten und ma­ßen, dass uns der Kopf schwitz­te, und wech­sel­ten eben­so häu­fig un­se­re Haut als un­ser Hemd un­ter dem Ein­flus­se die­ser wohl­mei­nen­den ägyp­ti­schen Son­ne. Da­zwi­schen re­di­gier­ten wir Zei­tungs­ar­ti­kel für alle mög­li­chen eu­ro­päi­schen und au­ßer­eu­ro­päi­schen Blät­ter, um nicht nur den Kanal, son­dern auch die öf­fent­li­che Mei­nung in das rech­te Bett zu lei­ten; und da es mir ge­ge­ben wur­de, dass ich in man­cher­lei Zun­gen mich ver­ständ­lich ma­chen kann, so stieg ich all­mäh­lich sehr in der Ach­tung mei­ner Ar­beits­ge­ber, was ich üb­ri­gens da­mals pflicht­ge­mäß nach Bums­dorf ge­mel­det habe. Aber ge­gen das Ende des Jah­res sie­ben­und­vier­zig wa­ren un­se­re Un­ter­su­chun­gen lei­der schon be­en­det, und Mon­sieur Pau­lin Tala­bot, der Prä­si­dent der So­ciété d’Étu­des du canal de Suez, wel­cher ru­hig und be­quem da­heim in Pa­ris ge­blie­ben war, pu­bli­zier­te das Re­sul­tat zum größ­ten Är­ger der Re­gie­rung Ih­rer Ma­je­stät der Kö­ni­gin Vik­to­ria. Die alte zim­per­li­che Exjung­fer Eu­ro­pa saß wie­der be­ru­higt in der Über­zeu­gung, dass eine Durch­gra­bung der viel­be­spro­che­nen Landen­ge ihr nicht jene von groß­bri­tan­ni­scher Sei­te an­ge­droh­te Über­schwem­mung be­deu­te; – John Bull fühl­te sich sehr auf den Mund ge­schla­gen, denn der In­di­sche Ozean drück­te mit höchs­tens zwei Fuß Über­ge­wicht auf das mit­tel­län­di­sche Ge­wäs­ser, ja zur Zeit der tiefs­ten Ebbe steht so­gar das Meer bei Ti­neh um an­dert­halb Pa­ri­ser Fuß hö­her als die Was­ser

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