Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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Viertes Kapitel
Wald, Wiesen, Ackerfelder, Kirchturmspitzen und Hausdächer, blaue Höhenzüge bis in die weiteste Ferne – alles in schönster Ordnung und in anmutigster Beleuchtung; alles so hübsch und reinlich, so bunt und fein, so freundlich und friedlich wie nur möglich, aber alles dessenungeachtet nicht imstande, den an die Dekoration Gewöhnten in eine ungewöhnliche Ekstase zu versetzen.
Es war aber nicht jeder daran gewöhnt.
Der Wald warf seinen Schatten auf den Rand der Wiese, und im weichen Grase unter den ersten Bäumen lag Leonhard Hagebucher und blickte, zwischen den Fingern durch, hinaus in den Sonnenschein. Er für sein Teil hatte noch das Recht, am Himmel und auf Erden mehr zu sehen als ganz Bumsdorf und Nippenburg zusammen, und er machte in ungestörter träumerischer Behaglichkeit von seinem Rechte Gebrauch. Wie ein großes Kind lag er in der Wiege der Heimat und ließ sich schaukeln und von der Lerche, dem Finken und dem Wind im Buchengezweig das Lied von der ewigen Jugend und Schönheit der Welt vorsingen.
Auf der Wiese vor dem Walde glänzten die leichten Frühlingskleider der Mädchen, und jede Bewegung der jungen Geschöpfe musste in solcher Umgebung, in solchem Lichte zierlich und grazienhaft erscheinen. Ihr Rufen und Lachen und selbst ihr helles Gekreisch, als sie sich im Spiel durch die Blumen und das Gras und um die vereinzelten Büsche jagten, war vollkommen melodisch und in Harmonie mit allen übrigen Klängen und Lauten. Sogar die beiden guten Kinder vom Gutshofe, Sophie und Minchen von Bumsdorf, welche in einem nahrhaften und sorgenlosen Dasein und unter dem Einfluss der Milch- und Molkenwirtschaft sich zu recht wohltuend rundlichen Jungfräulein entfaltet hatten, trugen hier mehr vom Reh und der Gazelle zur Schau als in der Küche oder auf dem wohlgestampften, mauerumschlossenen, vom schwerwandelnden Rindvieh belebten Boden des väterlichen Hofes. Lina Hagebucher schwebte wie eine kleine blonde Fee, und Fräulein Nikola von Einstein erschien wie Titania selber. Das war ein Gegensatz in Temperatur, Färbung, Beleuchtung und Gestaltung gegen Abu Telfan, und der Mann vom Mondgebirge empfand und fühlte ihn bis in die feinsten Abtönungen und Schwingungen. Wie in ein Zauberreich sah Leonhard Hagebucher aus dem Schatten seiner Bäume in die goldgrüne Landschaft, und ein Zauber war’s, als Fräulein Nikola die drei anderen Mädchen ihre Spiele allein fortsetzen ließ, langsam gegen den Waldrand heranschritt und sich, ihren Schoß voll Wiesenblumen, neben dem aus den libyschen und äthiopischen Hexenbanden Erlösten niederließ.
»Der Himmel möge Ihre Beschaulichkeit segnen, Herr Afrikaner. Darf man wissen, was der gute Tag Ihnen Angenehmes zu sagen hat?«
»Er sagt nur: Halte den Mund, liege still und rühre dich nicht!« antwortete Leonhard, und das Hoffräulein meinte lachend:
»So wird es sein. Wir riefen Sie vorhin, den wilden Rosenstock dort für uns niederzuziehen, da die feinsten Knospen gewöhnlich in der Höhe wachsen. Sie ließen uns rufen, mein Herr, brummten höchstens, dass Sie sogleich kommen würden, und blieben liegen, so lang Sie sind. Das war, allem geheimnisvollen Naturverkehr zum Trotz, nicht höflich.«
»Es ist so schwer, sich wieder in der Zivilisation zurechtzufinden, Fräulein«, sprach Leonhard mit einem tiefen Seufzer. »Es ist eine so schwere und traurige Arbeit, zum zweiten Mal mit dem Abc des Lebens beginnen zu müssen.«
»Weshalb geben Sie sich die Mühe?« fragte Nikola von Einstein, schnell und hell von ihren Blumen aufblickend. »Ich würde es nicht tun; ich würde bleiben, wie ich wäre; gewiss, gewiss, ich würde eine solche mir vom Schicksal angewiesene magische Ausnahmestellung sicherlich nicht wieder austauschen gegen diese erbärmliche, langweilige Routine des europäischen Alltagslebens.«
»Das klingt, als hätten Sie über den Zustand meiner armen Seele ziemlich tief nachgedacht, junge Dame.«
»Natürlich! Sind Sie doch etwas ganz Neues im Kreise meiner Erfahrung! Die Historie Ihrer Abenteuer hat mich nicht wenig aufgeregt; ich danke den freundlichen Göttern, welche Sie während meines hiesigen Aufenthaltes nach Bumsdorf zurückführten. Sie sind ein Problem, Herr Hagebucher, und ein solches lässt das Wesen, welches Sie einen gebildeten Menschen nennen werden, in unsern Tagen so leicht nicht fahren, ohne es nach den verschiedensten Seiten hin gedreht und gewendet zu haben.«
»Fräulein von Einstein, wie alt sind Sie?« fragte Leonhard, sich halb aufrichtend, und das Ehrenfräulein lachte von neuem hellauf und antwortete mit einem vergnügten Seitenblick:
»Unausdenkbar alt! Weit, weit, weit hinaus über jegliches Abc. Länger als siebenundzwanzig sehr lange Jahre hat die Welt sich meiner Gegenwart zu erfreuen, und mein Taufschein soll Ihnen zur Einsicht bereit sein, wenn Sie mich demnächst einmal in der Residenz besuchen wollen, Herr Afrikaner.«
»Siebenundzwanzig Jahre? Siebenundzwanzig Jahre! ’s ist freilich ein schönes Alter für ein junges Mädchen«, sprach Herr Leonhard Hagebucher nachdenklich.
»Und umso schöner, als mir die Ketten des Tumurkielandes noch um Hand- und Fußgelenke klirren.«
»Maschallah!« rief Leonhard mit einem Blick auf den zierlichen Knöchel, welcher sich unter dem Saume des Kleides hervorgestohlen hatte. »Das wäre eine Geschichte, welche mich freilich um manchen Schritt auf meinem Wege in den europäischen Tag hinein fördern könnte. Erzählen Sie mir ein weniges von Ihren Ketten, Fräulein Nikola, Sie finden auf der ganzen Erde keinen Menschen, der weniger Missbrauch von Ihrem Vertrauen machen könnte und der mehr zu lernen hätte.«
Nikola fügte eine neue Blume ihrem Kranze ein und summte:
»Debout, ihr Kavaliere!
Ihr Pagen und Hartschiere,
Werft auf die Flügeltür!
Vor einem Fächerschlage
Wird itzt die Nacht zum Tage,
Klymene tritt herfür.«
Dann