Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Wilhelm Raabe страница 27
In Sicht auf der Landstraße war der Onkel, Kaufmann und Stadtverordnete von Nippenburg, der Herr Stadtrat Hagebucher, ein Mann von körperlichem und geistigem Gewicht, der drei Töchter in seinem Ehestande erzeugt hatte und im Gänsemarsch mit denselben gen Bumsdorf zog: heiterer als im vorigen Jahre, wo noch seine Selige stets den Zug anführte und er ihn nur beschloss. Es kamen zwei jüngere Vettern, welche jedoch auch bereits Haare auf ihrer Beamtenlaufbahn gelassen hatten und welche, obgleich der Staat ihnen ihren Gehalt quartaliter mit einem gewissen Hohn, mit zweifelloser Ironie auszahlte, sich den idealsten wie den materiellsten Mächten, den Schwärmern für die Republik Deutschland wie der reichsten Bankiers- oder Fabrikantentochter gewachsen glaubten. Eine solche wohlhabende Fabrikantentochter und Cousine, Fräulein Leonore Sackermann, langte aus entgegengesetzter Weltgegend unter den Fittichen ihrer einen sehr guten Kartoffelspiritus produzierenden Eltern vor dem Hause des Steuerinspektors an. Hoch zu Ross kam der Wegebauinspektor Wassertreter, ein dreiundsechzig Jahre alter, verächtlicher Junggesell, welcher sich von Amts und Wetters wegen dem Trunke ergeben hatte und es besser hätte haben können, wie die Base, Fräulein Klementine Mauser, die ebenfalls allein, aber zu Fuße anlangte, zur unbehaglichen Zeit der Äquinoktialstürme ihrem jungfräulichen Kopfkissen ärgerlich anvertraute.
Wer kam noch? Schließen wir die Liste, nachdem wir sie kaum begonnen haben! Es versammelte sich so ziemlich der ganze Vetter Michel, und Herr Leonhard Hagebucher trat in den geweihten Kreis und bot ihm, wenn nicht den bekannten deutschen »guten Abend«, so doch das arabische Selam aleikum, das Heil sei mit euch, worauf die Tante Schnödler erwiderte:
»Wir danken dir, Herr Neffe, und freuen uns, dich anständig und christlich in Rock, Hose und Weste wieder unter uns zu haben. Du bist einst zwar ohne Abschied weggegangen, aber hier sind wir, wie es sich geziemen will, und heißen dich in verwandtschaftlicher Kompanie willkommen in Nippenburg und sind uns vermuten, dass du nun wohl endlich genug von der Vagabondage und Unreellität und sonstigen Fantasterei haben wirst. Sag ’n Wort, Schnödler.«
»So ist es, Minette«, sprach der Onkel Schnödler, und mehr wurde nicht von ihm verlangt, würde im Gegenteil sehr übel aufgenommen worden sein; Leonhard aber fühlte sich lebhaft an jene Audienzen erinnert, welche ihm vor kurzem noch Madam Kulla Gulla, die Schwiegermutter seines Besitzers im Tumurkielande, so häufig erteilte und welche stets damit endigten, dass ihm fünfundzwanzig auf die Fußsohlen zudiktiert wurden.
Es war ein großer Tag! Wenn auch die jungen Cousinen, gleich den Kindern von Bumsdorf, noch immer mit einer aus Schrecken und Mitleiden gemischten Verwunderung auf den Vetter blickten, so hatte doch die ältere Verwandtschaft jegliche mysteriöse Scheu gründlich abgeworfen und zog ihren autochthonen Lebensanschauungen und Gefühlen alle Schleusen. Das germanische Spießbürgertum fühlte sich dieser fabelhaften, zerfahrenen, aus Rand und Band gekommenen, dieser entgleisten, entwurzelten, quer über den Weg geworfenen Existenz gegenüber in seiner ganzen Staats- und Kommunalsteuer zahlenden, Kirchstuhl gemietet habenden, von der Polizei bewachten und von sämtlichen fürstlichen Behörden überwachten, gloriosen Sicherheit und sprach sich demgemäß aus, und der Papa Hagebucher wäre der letzte gewesen, welcher für seinen Afrikaner das Wort ergriffen hätte.
Es war ja der Tag des Papa Hagebucher. Er hatte diese Versammlung berufen, um sich von ihr in seinen innersten Anschauungen recht geben zu lassen. Er mochte den Verlust des Sohnes noch so sehr bedauert, ja betrauert haben: die plötzliche und so gänzlich anormale Rückkehr musste ihm naturgemäß doch noch fataler werden. Die frohe Überraschung ging allmählich in eine mürrische, grübelnde Verstimmung über; – berechnen ließ sich hier nichts mehr, denn sämtliche Ziffern waren ausgelöscht, nur ein Fazit stand zuletzt klar da: »Der Bursche lief fort, weil er einsah, dass man ihn hier nicht gebrauchen könne; man hat ihn auch dort nicht gebrauchen können, er ist heimgekommen, und ich habe ihn wieder auf dem Halse!«
Klar war die Rechnung, doch nicht tröstlich, und es war jedenfalls wünschenswert, dass die liebe Freundschaft und Verwandtschaft ihre Unterschriften oder drei Kreuze zu dem Wahrspruch hergebe. Man hatte sich denn doch zu rechtfertigen vor der Welt, und das konnte nicht besser bewerkstelligt werden, als wenn man sie von Anfang an mitverantwortlich machte. Es war auch keine Kleinigkeit, wenn man sich hinter der grünen Gardine des Ehebetts auf das Urteil der Tante Schnödler, die Meinung des Bruder Stadtrats oder des Vetter Sackermanns berufen konnte – man trug die Verantwortlichkeit jedenfalls nicht gern allein.
Es war ein sehr großer Tag, und Lina Hagebucher hielt zuletzt ganz ängstlich die Faust ihres Bruders, denn sie konnte viel schärfer als die Mutter für ihn fühlen und beobachtete mit Zittern, wie seine Stirn von Augenblick zu Augenblick dunkler wurde und es immer grimmiger aus seinen Augen wetterleuchtete. Jeder hatte seinen Rat zu geben und gab ihn gern und ausführlich. Es war gar nicht so schwer, sich anständig durchs Leben zu bringen, wenn nur der gute Wille dazu vorhanden war; verschiedene Wege führten noch aus der Nichtsnutzigkeit hinüber in die wünschenswerteste Respektabilität, und ein jeder stellte sich mit Vergnügen als Wegweiser auf den Kreuzweg, vorzüglich die Tante Schnödler, welche sich räusperte und sprach:
»Es ist nicht genug, dass der Mensch den Schneider kommen und sich ein neu Habit anmessen lasse; es gehört noch mehr dazu, um wieder ein anständiger großherzoglicher Staatsbürger und Untertan zu werden. Da könnte jeder Lumpazi kommen, der sein alt zerlumpt Wams am Grabenrand zum öffentlichen Ekel abgetan und das gestohlene neue angezogen hat! Der Mensch und wilde Indianer muss auch geistlich nach dem Balbierer schicken und keine Gesichter schneiden, wenn Leute zu ihm reden, die im Lande geblieben sind und sich in Gottesfurcht fünfundzwanzig Jahre redlich genährt haben, was ich übrigens nur beiläufig und zum Besten von der fernern guten Freundschaftlichkeit gesagt haben will. Was ich nun dem Leonhard raten will, das ist, er tut alles hochmütige und ausländische Wesen ab und fängt da wieder an, wo er aufgehört hat, das heißt, da es mit einem Pastor nunmehr wohl nimmermehr was werden wird, so geht er zum Vetter Stadtrat, lässt sich von neuem in die Schreiberei einschießen und kann’s mit der Zeit und der Nachhilfe von der Verwandtschaft wieder