Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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Wie der deutsche Mond höher stieg, fing das Wasser, welches mit dem schon beschriebenen Gegurgel den Graben durchschlich, an, hie und da lieblich zu schimmern, und der leider schon vom ehrlichen Wandsbecker Boten lyrisch verwendete weiße Nebel machte sich ebenfalls auf den Wiesen bemerkbar. Der Mond schien dem Mann aus dem Tumurkielande auf den Kopf, der Nebel stieg ihm in die Nase, und er – Hagebucher – ließ die Schienbeine fahren, schnellte empor, stand hoch aufgerichtet in der holden Nacht, rieb die Hände und hub an – leise vor sich hinzulachen. Er lachte, der Barbar, er wagte sogar, laut zu lachen, der verwilderte Unmensch; und dann schüttelte er sich, er wagte es, sich zu schütteln; und ohne auf die Gefühle der Tante Schnödler Rücksicht zu nehmen, gratulierte er sich selber zu der soeben zum Durchbruch gekommenen wohltätigen Krisis, und leider hatte er allen zarteren Regungen des Menschenherzens zum Trotz recht. In diesem Lachen hatte er für seine künftige Existenz tausendmal mehr gewonnen, als ihm ganze Säcke voll Seufzer und ein Dutzend von ihm selber wohlgefüllte Tränenkrüge einbringen konnten. Er hatte jetzt wenigstens in einer Beziehung die Überzeugung errungen, dass er während seines Siebenschläferschlafes im Mondgebirge nicht viel daheim versäumt habe und dass somit alles gebrochene, mutlose Fortdämmern und melancholische Hinbrüten über solchen imaginären Verlust recht überflüssig und töricht sei. Was seine jetzige Umgebung während seiner Abwesenheit gewonnen hatte, das konnte er in jedem Augenblicke auch noch haben, und wenn er mehr wollte, so gehörte vielleicht nur eine türkische Ruhe dazu, um jenseits jedes unnützen Schwebezustandes in einer nützlichen Tätigkeit wieder sicher Fuß zu fassen. Er prüfte seine Gelenke und Muskeln und tat den Sprung, das heißt, fürs erste sprang er über den Graben, welcher die nebelige Wiese von dem väterlichen Gütchen schied, und schritt bedächtig mit übereinandergeschlagenen Armen erst durch das feuchte Gras und sodann auf dem engen Fußwege an den Gärten des Dorfes hin.
Es war auch die letzte Fest- und Jubelnacht der Maikäfer, deren es in diesem gesegneten Jahre eine erkleckliche Anzahl gegeben hatte. Sie schienen zu wissen, dass ihre Zeit nunmehr um sei, hatten sich zum letztenmal im Tau und Duft der Nacht berauscht und schwärmten in nicht unberechtigtem Leichtsinn in die Unsterblichkeit hinüber. Sie summten durch die Luft und umtanzten Busch und Baum; in ihrer Trunkenheit gaben sie nicht im geringsten acht auf ihre Wege und flogen dem schier ebenso berauschten Leonhard gegen die Nase oder hingen sich ihm in Haar und Bart.
»Hallo, Gesindel«, rief er, »seid ihr auch da? Recht so, hussa, tummelt euch, nehmt die Stunde, wie sie euch gegeben wird – lustig, lustig, surr, surr, so ist’s recht, und morgen ist’s doch vorbei. Beim Berge Kaf, vivat der Vetter Wassertreter!«
Er lachte abermals hellauf, brach aber schnell horchend ab. Seine wilde Lustigkeit hatte ein melodischeres Echo hinter den Büschen gefunden; ein lockiges Haupt erhob sich über die Hecke – der Genius dieser Mondscheinnacht des letzten Mais hätte sich nicht neckischer und vorteilhafter verkörpern können:
Fräulein Nikola von Einstein – siebenundzwanzig Jahre alt – Hofdame Ihrer Hoheit der Prinzeß Marianne – unverheiratet – – – ach! –
»Er ist es, Lina«, sagte das Fräulein, »nun weine nicht länger, Närrchen; er sieht keineswegs aus, als ob er mit Selbstmordgedanken umgehe; tröste dich, Herz, einer geknickten Lilie gleicht er noch lange nicht; guten Abend, unsträflicher Herr Äthiopier.«
Sie reichte dem Afrikaner die Hand über das Gezweig und rief:
»O Gott, wie indiskret! Aber auch welch ein Abend für alle Indiskretionen! Es freut mich in der Tat, Sie so heiter zu sehen, Herr Hagebucher; hier hab ich mit dem Schwesterchen in großer Sorge um Sie gesessen. Ist es zu indiskret, wenn ich Sie frage, was für einen Grund Ihnen die Welt für Ihre Heiterkeit seit Mondenaufgang gab?«
»Hören Sie, junge Dame«, sagte Leonhard, »man kann aus der Gefangenschaft bei den Heiden recht schwache Nerven heimbringen. Bedenken Sie, dass ich an solches allerliebste Auffahren aus Hagedorn und Heckenrosen durchaus nicht gewöhnt bin. Fühlen Sie meinen Puls.«
»Nein, nein, ich danke und glaube Ihnen auf Ihr Wort!« lachte Nikola. »Aber dies ist die Grenze von meines Onkels Reich, und das Recht, hier herüberzugucken, lasse ich mir nicht nehmen.«
»Ich auch nicht«, sprach der Afrikaner, sich vorbeugend. »Lina, wo steckst du denn?«
»Hier!« klang weinerlich die Stimme des Schwesterchens, das auf der Bank saß, auf welcher das Hoffräulein stand. »Ach Leonhard, ich bin so betrübt um dich, und ich habe mich so geärgert. O Gott, o Gott, lass mich mit dir wieder in die weite Welt laufen; wir wollen zusammenhalten, Leonhard, und die Mutter, weiß ich, wird auch zu uns stehen, und der Vater meint’s gewiss nicht so bös, und was geht uns die Tante Schnödler und das übrige alberne Volk an! O Gott, o Gott, wie habe ich mich geärgert –«
»Jaja, Herr Leonhard Hagebucher, und da ist sie hergelaufen und hat sich mir in die Arme gestürzt, grad als ich mit dem Haarbesen auf die Fledermausjagd gehen wollte. Nun weiß ich alles, was das Konzil gebrütet hat, und rate Ihnen recht sehr, doch ja Ihr Bestes zu bedenken und so schnell als möglich Ratsschreiber zu Nippenburg zu werden. Warten Sie, ich kenne zehn Schritte weiter abwärts ein Loch in der Hecke – komm, Lina.«
Das schöne Haupt der Sprecherin tauchte unter, zwei Sprünge brachten den Afrikaner zu dem besagten Loch; es rauschte im Gebüsch, ein schlaftrunkenes Vogelpärchen flatterte, aus dem schönsten Traum der Sommernacht geweckt, auf; mit dem Schwesterchen wand sich Fräulein Nikola von Einstein durch das Gezweig. Die drei standen auf dem schmalen Pfade nebeneinander,