Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
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»Leonhard, Leonhard, du musst schnell heimkommen, die Tante Schnödler ist da!«
Der Afrikaner sprach einige, vielleicht nicht sehr freundliche Worte in der Sprache von Dar-Fur; doch er befand sich noch zu kurze Zeit wieder in der Heimat, um nicht allen ihren Rufen Folge zu leisten. Auch Fräulein Nikola von Einstein sprang lachend in die Höhe.
»So geht es mir doch immer – jedes Mal, wenn ich im besten Zuge bin, mein Herz auszuschütten! Nun wissen Sie doch noch nicht das allergeringste von mir, mein Herr, und es steht dahin, ob Sie in aller Ewigkeit mehr erfahren werden. Die gute Stunde ist vorübergegangen, und die Tante Schnödler ist angekommen, und der große Familienrat über Herrn Leonhard Hagebucher beginnt – gehen wir heim und unterwerfen wir uns den Dingen, Verhältnissen und Verhängnissen, da wir doch nicht um unsern Willen gefragt werden.«
Leonhard wollte ihr die Hand bieten, um sie den etwas steilen Abhang hinunterzuführen; sie aber wies seine Hilfe lachend von sich.
»Nein, nein! Bei besserer Überlegung werde ich doch lieber bleiben, wo ich bin, und meinen Kranz vollenden. Ich ziehe den Wald allen Familienräten vor; denn ich habe auch unter den letzteren gelitten und weiß davon zu singen und zu sagen.«
Fünftes Kapitel
Das helle Lachen des Hoffräuleins verklang hinter der Waldecke, und mit gesenktem Kopfe schritt Leonhard Hagebucher auf dem Pfade, welcher die Wiese entlang dem nahen Dorfe zuführte, weitbeinig fort. Das Schwesterchen hatte sich an seinen Arm gehängt und trippelte atemlos an seiner Seite und blickte von Zeit zu Zeit stumm, aber liebevoll-ängstlich zu dem ernsten, fast finstern Gesichte des Bruders in die Höhe.
Es waren am heutigen Tage grade drei Wochen seit dem Wiederkommen des afrikanischen Gefangenen verflossen, und wie kein Kind im Dorfe Bumsdorf den geheimnisvollen, staunenden Schrecken vor dem großen, braunen Mann, der mit den Menschenfressern aus einer Schüssel gegessen hatte, vollständig überwunden hatte, so war auch für Fräulein Lina Hagebucher dieser Bruder immer noch ein hohes, unsägliches Wunder und Mysterium und konnte für noch längere Zeit nicht in seiner ganzen Fülle und Bedeutung ausgedacht werden. Was Nippenburg und Bumsdorf aber im ganzen und großen anbetraf, so nahmen sie, obgleich ein Mann, der aus dem unbekannten innersten Afrika heimgekehrt, jedenfalls etwas Ungewöhnlicheres war als der abenteuerlichste Amerikafahrer, das Ding bereits viel kühler und gelassener, und die liebe weitere Verwandtschaft, die sich heute im Hause des Steuerinspektors versammeln sollte, nahm es sogar sehr kühl und sehr gelassen. Dem Manne aus dem Tumurkielande wuchsen mit den Haaren auf dem à la Tumurkie geschorenen Schädel auch die unangenehmeren europäischen Gefühle wieder, und wir müssen ihm die volle Berechtigung zugestehen, auf manchem Wege und auch auf diesem durch das Dorf Bumsdorf den Kopf hängen zu lassen.
Er hatte viel geduldet bis zu seiner Befreiung durch den Herrn Kornelius van der Mook; dann war er in dem Hause seiner Eltern erwacht und hatte jene seltene Minute des vollen, sicheren Glückes gekostet. Aber schnell wie immer war dieser Augenblick vorübergegangen – ein Morgenschlummer, ein sonniger Tag in der Geißblattlaube, am Abend ein Gang durch die Wiesen und Kornfelder nach dem Walde! Schon das nächste Erwachen brachte wieder das erste leise Anspülen bitterer Fluten, und nach acht Tagen war Leonhard Hagebucher vollständig daheim, das heißt, er wusste Bescheid, und Bescheid zu wissen gehört und stimmt gewöhnlich nicht im geringsten zu und mit dem Glück. Wohl saß er noch in der Geißblattlaube an der Landstraße und freute sich der Sonne des Vaterlandes, der Stimmen und Schritte der alten Eltern, des lieblichen Lachens der kleinen hübschen Schwester, wohl suchte und fand er in Stadt und Dorf hundert und aber hundert freundliche Jugenderinnerungen; man kam ihm immer noch an den meisten Orten mit Gruß und Handschlag herzlich entgegen, und es gab immer noch viele Leute, welche seiner Odyssee mit Herzklopfen lauschten und dankbar für alles waren, was er in dieser Hinsicht zu bieten hatte; aber – aber dem Unbehagen wuchsen doch täglich mehr züngelnde, saugende Polypenarme, mit welchen es die Seele des müden Wanderers fester und immer fester umschlang. Nun wusste die Welt bereits, dass der Sohn des Steuerinspektors Hagebucher als ein armer Mann aus der Fremde heimgekehrt sei, und die wundervollen Illusionen, welche sich Nippenburg gemacht hatte, waren schnell in ihr Gegenteil umgeschlagen, und man teilte einander unter bedächtigem Kopfschütteln mit, dass ein Vagabond in alle Ewigkeit ein Vagabond bleiben werde und dass es vielleicht um vieles besser gewesen wäre, wenn die Mohren dahinten am Äquator den unnützen Menschen bei sich behalten hätten. In der Kiste, welche dem armen Leonhard auf einem Schubkarren gen Bumsdorf nachgefahren worden war, befanden sich keine Säcke voll Diamanten und Perlen, keine Schachteln voll Goldstaub, sondern höchstens einige afrikanische Merkwürdigkeiten zum Andenken für die näheren Freunde und Verwandten. Herr Leonhard Hagebucher konnte aus dem Inhalt dieses Reisekastens keine Villa bauen und nicht nunmehr im Schatten seines Parkes, an seinem eigenen Herde und in der Gesellschaft eines liebenden Weibes aus den bessern Ständen seine Tage verbringen. Keine Nippenburger Mutter hätte einem solchen in der Luft stehenden Individuum ihre Tochter zur Ehe gegeben, und das war noch das allerwenigste: Leonhard Hagebucher hatte während seiner Gefangenschaft im Tumurkielande so ziemlich alles vergessen, was dem Menschen in unsern zivilisierten Zuständen zu seinem Fortkommen verhilft, ja ihn nur notdürftig auf der Stelle aufrecht erhält. Jede Wissenschaft, jede Kunst, jede Technik war über ihn hinausgeschritten; wo sonst die hohen Wasser sich umgetrieben hatten, da war jetzt öder Sand oder fruchtbares Ackerland, und wo vordem Sand und Wiesen gewesen waren, da jagten sich jetzt die Wellen. In Abu Telfan im Tumurkielande hatte den armen Gefangenen nichts gestört als die physische rohe Gewalt und die Sehnsucht nach der Freiheit, das Heimweh nach dem Vaterlande; jetzt in der Heimat fing alles an, ihn zu stören und zu beunruhigen; er war fremd geworden in der Zivilisation, in Europa, in Deutschland, in Nippenburg und Bumsdorf; eine unendliche und in jeder Weise begründete Angst vor den Dingen und vor sich selber musste sich seiner bemächtigen – ein Schritt weiter, und er konnte sich nach dem Tumurkielande leise zurücksehnen: die Würde und Freiheit, die Bildung und Sitte des europäischen Menschen