Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe Gesammelte Werke bei Null Papier

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Moh­ren wer­den sich in uns schi­cken müs­sen, wenn sie mit uns hau­sen wol­len. Rats­schrei­ber zu Nip­pen­burg – hun­dert­und­fünf­und­sech­zig Ta­ler jähr­lich bar, acht­zig Ta­ler Spor­teln und zwei Klaf­ter Holz – und solch ein Ge­sicht! Sind wir viel­leicht ein re­gie­ren­der Kö­nig im Moh­ren­lan­de ge­we­sen? Wenn das ist, so ha­ben wir frei­lich nichts mehr zu sa­gen, und es han­delt sich frei­lich nur um ein Re­tour­bil­lett auf dem Post­wa­gen und der Ei­sen­bahn nach Afri­ka, und ich emp­feh­le mich dem Herrn Po­ten­ta­ten ganz ge­hor­samst und sage nichts mehr.«

      Die süße Hei­mat fing an, einen selt­sa­men in­dia­ni­schen Krie­ge­stanz um den ar­men Leon­hard auf­zu­füh­ren. Die Mut­ter hielt das Ta­schen­tuch vor die Au­gen; der Va­ter sog mür­risch an der er­lo­sche­nen Pfei­fe; Lina drück­te sich im­mer fes­ter an den Bru­der; die bei­den jün­gern Vet­tern, wel­che noch mit dem Afri­ka­ner die Uni­ver­si­tät be­sucht hat­ten, lach­ten; die Fa­mi­lie Sacker­mann blick­te glä­sern im Krei­se um­her; die Tan­te Kle­men­ti­ne nahm ver­stoh­len eine Pri­se, und der un­be­nann­te Ver­wand­ten­cho­rus be­schäf­tig­te sich un­ter lei­sem Ge­mur­mel mit den Kaf­fee­tas­sen und dem fest­li­chen Ge­bäck des großen Ta­ges; der On­kel Was­ser­tre­ter wür­de das Wort er­grif­fen ha­ben, wenn Leon­hard es nicht vor­her ge­nom­men hät­te.

      Er – der Mann aus Tu­mur­kie – er, wel­cher so vie­len Ge­fah­ren zu Was­ser und zu Lan­de kalt­blü­tig ge­trotzt hat­te, er, wel­cher das Le­ben ei­nes El­fen­bein­händ­lers auf dem Wei­ßen Nil mit al­len sei­nen Schreck­nis­sen ken­nen­ge­lernt hat­te, er, wel­cher den großen Si­gnor Luca Mol­lo, ge­nannt Se­mi­bec­co, im Glück und Un­glück und zu­letzt auf dem Pfah­le der Bag­ga­ra­ne­ger be­ob­ach­ten, stu­die­ren durf­te: er fühl­te sich der jet­zi­gen Stun­de nicht ge­wach­sen. Es schwamm ihm vor den Au­gen, im Krei­se dreh­te sich die Ver­wandt­schaft, die Tan­te Schnöd­ler wuchs be­denk­lich über Ma­dam Kul­la Gul­la hin­aus, und ihre röt­lich an­ge­hauch­te Na­sen­spit­ze er­schi­en nicht we­ni­ger be­droh­lich als die mit Hen­na rot­ge­färb­ten scharf­nä­ge­li­gen Kral­len der Tu­mur­kie­rin: die At­mo­sphä­re des Va­ter­hau­ses wur­de be­ängs­ti­gen­der als die hei­ße Luft der Lehm­hüt­ten zu Abu Tel­fan.

      Mit Stot­tern sprach Leon­hard Ha­ge­bu­cher gleich ei­nem, wel­cher sich müh­sam in ei­ner frem­den, un­ge­wohn­ten Spra­che aus­zu­drücken hat:

      »Ach, teu­re Ver­wand­te und An­ge­hö­ri­ge, könn­tet ihr doch in mei­ner See­le le­sen! Je­der Bluts­trop­fen, den ich heim­ge­bracht habe, ge­hört dem Va­ter­lan­de. Ib­lis möge es neh­men! Aber be­den­ket, welch ein großes Kind euch wie­der auf die Arme ge­fal­len ist. O könn­te doch je­der von euch eine Vier­tel­stun­de in mei­ner Haut zu­brin­gen, es wür­de ihm dann ge­wiss be­greif­li­cher er­schei­nen, dass man nicht heu­te Rats­schrei­ber zu Nip­pen­burg sein kann, wenn man ges­tern aus der Ge­fan­gen­schaft im in­ners­ten Afri­ka zu­rück­kam. Wenn ich nicht sehr irre, so habe ich so­gar das Schrei­ben ver­lernt, und was ich da­für in der Frem­de viel­leicht ge­lernt habe, näm­lich al­ler­lei An­fech­tun­gen mit Ge­duld zu tra­gen, das ho­no­riert sich sel­ber, wird aber von kei­nem Ge­mein­we­sen mit ei­nem Jah­res­ge­halt von hun­dert­und­fünf­und­sech­zig Ta­lern und zwei Klaf­tern Brenn­holz be­zahlt. Ver­ehr­te An­ge­hö­ri­ge, wer län­ger als zehn Jah­re mit den Fin­gern in die Schüs­sel grei­fen muss­te, der wird sich nur all­mäh­lich wie­der an den Ge­brauch von Mes­ser und Ga­bel ge­wöh­nen, und wenn man ihm dazu nicht Zeit las­sen kann, so wird ihm der bes­te Bis­sen im Hal­se ste­cken­blei­ben, und er muss jäm­mer­lich dar­an er­wür­gen. Wenn ich wüss­te, was noch aus mir wer­den kann, so wür­de ich es auf der Stel­le sa­gen; aber ich weiß es nicht –«

      »Und da­mit ist al­les ge­sagt, mein Jun­ge«, rief der Vet­ter Was­ser­tre­ter, »und jetzt lass mich ans Wort. Be­trach­te dir mei­ne Nase und be­hal­te dei­ne Mei­nung dar­über für dich; denn ich wer­de das Nö­ti­ge dar­über sel­ber von mir ge­ben, so­bald das ver­wandt­schaft­li­che Ge­sum­se und die Auf­re­gung der Base Schnöd­ler sich ge­legt ha­ben wer­den.«

      Das Fa­mi­li­en­kon­kla­ve summ­te und er­hob sich frei­lich, und die Tan­te Schnöd­ler war in der Tat auf­ge­regt und such­te hin­ter ih­rem Ta­schen­tu­che die ge­wohn­te Fas­sung; aber der Vet­ter Was­ser­tre­ter leg­te den Zei­ge­fin­ger an das Glied, auf wel­ches er den Afri­ka­ner auf­merk­sam ge­macht hat­te, und war­te­te mit schlau­em, schänd­li­chem Lä­cheln auf die Wie­der­her­stel­lung der Ruhe, um so­dann in sei­ner Rede fort­zu­fah­ren:

      »Ach­te auf die­se Nase, mein Sohn, sie bringt dich aus dem Sump­fe – in hoc si­gno vin­ces, wie die La­tei­ner sa­gen; un­ter die­sem Pa­nier wirst du den Sieg ge­win­nen. Un­serei­ner, wel­cher den gan­zen Tag auf der Land­stra­ße her­um­zu­lie­gen hat, denn der We­ge­bau hat sei­ne Mu­cken gra­de­so­gut wie das Wet­ter, ein sol­cher, sage ich, der hat Zeit und Ge­le­gen­heit, den Lauf der Welt zu stu­die­ren, und kann bei pas­sen­den Um­stän­den sei­ne Mei­nung kom­mu­ni­zie­ren, wenn man ihn noch so schief und ver­däch­tig an­sieht. Es pas­siert al­ler­lei über her­zog­li­che Chaus­see, und das Ge­trän­ke ist auch nicht un­ter al­len Schen­ken­zei­chen das­sel­be, und dann zot­telt man auf sei­nem al­ten Gau­le in die Kreuz und Que­re, und es kom­men ei­nem Phi­lo­so­phien, von de­nen sich an­de­re Leu­te nichts träu­men las­sen, und von der Cou­si­ne Mau­ser, dem Vet­ter Sacker­mann oder dem Vet­ter Stadt­rat ge­rät man auf den Kai­ser Louis Na­po­le­on, und von der Tan­te Schnöd­ler kommt man auf den Hei­li­gen Va­ter, das Pa­tri­mo­ni­um Pe­tri oder die Hohe Pfor­te, und von den Stein­klop­fern am Gra­ben, wel­che die Kap­pen her­un­ter­zie­hen und ›Gu­ten Mor­gen, Herr In­spek­tor‹ sa­gen, auf sich sel­ber. Da steht ei­nem der Ver­stand still, was der Mensch er­lebt, wenn er Ach­tung auf sich gibt; da lernt man sei­nen Schöp­fer ken­nen, o du grund­gü­ti­ger Him­mel! Sie­he, mein Söhn­chen, als sie mich im Jah­re acht­zehn­hun­dert­ein­und­zwan­zig mit ei­nem Tritt in Gna­den von der Wart­burg hin­un­ter­schick­ten, da kam ich grad­so heim wie du aus dem hin­ters­ten Afri­ka, und die Karls­ba­der Be­schlüs­se hat­ten ihr Werk grad­so­gut an mir ver­rich­tet, wie die Peit­sche im Tu­mur­kie­lan­de es an dir tat. Wir wa­ren Anno sie­ben­zehn am acht­zehn­ten Ok­to­ber als fri­sche und wa­cke­re Bur­sche hin­auf­ge­zo­gen; aber was hat die hün­di­sche Nie­der­träch­tig­keit, was ha­ben die fei­gen Ha­lun­ken, die über uns zu Ge­richt sa­ßen, uns aus un­serm blau­en Him­mel, aus un­serm deut­schen Herr­gott, aus al­lem, was in uns und über uns war, ge­macht! Zu Hau­se schlu­gen uns die Al­ten na­tür­lich auch die Tür vor der Nase zu oder setz­ten uns we­nigs­tens an den Kat­zen­tisch; wir hat­ten es ja nicht bes­ser ha­ben ge­wollt, und was von mei­ner Ju­rispru­denz noch üb­rig war, das konn­te ich dreist dem Herrn von Kamptz mit in die Ra­pu­se ge­ben, ohne viel dar­an zu ver­lie­ren. Da lag ich auf dem Bau­che und ließ mir die Son­ne auf den Rücken schei­nen, und ganz Nip­pen­burg ver­zog das Maul über den Lum­pen. Die Tan­te Schnöd­ler dort war der­ma­len ein recht sau­ber Mä­del, aber um die Es­sig- und Vi­tri­ol­fa­bri­ka­ti­on hat sie auch Anno To­bak schon recht leid­lich Be­scheid ge­wusst. Der Vet­ter Stadt­rat war im­mer zu was Großem ge­bo­ren und wuss­te es ei­nem gut zu ge­ben; ich sage dir, Leon­hard, es ist nichts Neu­es un­ter der Son­nen, dass die an­ge­neh­me Ver­wandt­schaft ein Kon­zil über einen aus dem Ge­leis ge­ra­te­nen ar­men Tropf aus­schreibt und

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