Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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die Frau aus der Welt ih­res Schmer­zes in die­ses Le­ben zu­rück­ge­ru­fen. Sie schluckt ein paar­mal, sie öff­net so­gar die Au­gen, die sonst sehr blau sind und jetzt wie aus­ge­blasst aus­se­hen. »Mit Ot­to­chen?«, flüs­tert sie fast. »Was soll denn mit ihm sein? Nichts ist mit ihm, es gibt kein Ot­to­chen mehr, das ist es!«

      Der Mann sagt nur ein »Oh!«, ein tie­fes »Oh!« aus dem In­ners­ten sei­nes Her­zens her­aus. Ohne es zu wis­sen, hat er den Kopf sei­ner Frau los­ge­las­sen und greift nach dem Brief. Sei­ne Au­gen star­ren auf die Zei­len, ohne sie noch le­sen zu kön­nen.

      Da reißt ihm die Frau den Brief aus der Hand. Ihre Stim­mung ist um­ge­schla­gen, zor­nig reißt sie das Brief­blatt in Fet­zen, in Fetz­chen, in Schnit­zel­chen, und da­bei spricht sie ihm über­stürzt ins Ge­sicht: »Was willst du den Dreck auch noch le­sen, die­se ge­mei­nen Lü­gen, die sie al­len schrei­ben? Dass er den Hel­den­tod ge­stor­ben ist für sei­nen Füh­rer und für sein Volk? Dass er ein Mus­ter von ’nem Sol­da­ten und Ka­me­ra­den ab­gab? Das willst du dir von de­nen er­zäh­len las­sen, wo wir doch bei­de wis­sen, dass Ot­to­chen am liebs­ten an sei­nen Ra­di­os rum­ge­bas­telt hat, und wei­nen tat er, als er zu den Sol­da­ten muss­te! Wie oft hat er mir in sei­ner Re­kru­ten­zeit ge­sagt, wie ge­mein sie dort sind, und dass er lie­ber sei­ne gan­ze rech­te Hand her­gä­be, bloß um von de­nen los­zu­kom­men! Und jetzt ein Mus­ter von Sol­dat und Hel­den­tod! Lü­gen, al­les Lü­gen! Aber das habt ihr an­ge­rich­tet, mit eu­erm Scheiß­krieg, du und dein Füh­rer!«

      Jetzt steht sie vor ihm, die Frau, klei­ner als er, aber ihre Au­gen sprü­hen Blit­ze vor Zorn.

      Er sagt das al­les in sei­ner um­ständ­li­chen, lang­sa­men Art, nicht ein­mal so sehr, um sich zu ver­tei­di­gen, als um die Tat­sa­chen klar­zu­stel­len. Er ver­steht noch nicht, wie die Frau plötz­lich zu die­sem An­griff ge­gen ihn kommt. Sie wa­ren doch ei­gent­lich im­mer ei­nes Sin­nes ge­we­sen …

      Aber sie sagt hit­zig: »Wozu bist du denn der Mann im Haus und be­stimmst al­les, und al­les muss nach dei­nem Kopf ge­hen, und wenn ich nur einen Ver­schlag für die Win­ter­kar­tof­feln im Kel­ler ha­ben will: er muss sein, wie du willst, nicht wie ich will. Und in ei­ner so wich­ti­gen Sa­che be­stimmst du falsch? Aber du bist ein Lei­se­tre­ter, nur dei­ne Ruhe willst du im­mer ha­ben und bloß nicht auf­fal­len. Du tust, was sie alle tun, und wenn sie schrei­en: ›Füh­rer be­fiehl, wir fol­gen!‹, so rennst du wie ein Ham­mel hin­ter­her. Und wir ha­ben wie­der hin­ter dir her­lau­fen müs­sen! Aber nun ist mein Ot­to­chen tot, und kein Füh­rer der Welt und auch du nicht brin­gen ihn mir wie­der!«

      Er hör­te sich das al­les ohne ein Wi­der­wort an. Er war nie der Mann ge­we­sen, sich zu strei­ten, und er fühl­te es zu­dem, dass nur der Schmerz aus ihr sprach. Er war bei­na­he froh dar­über, dass sie ihm zürn­te, dass sie ih­rer Trau­er noch kei­nen frei­en Lauf ließ. Er sag­te nur zur Ant­wort auf die­se An­kla­gen: »Ei­ner wird’s der Tru­del sa­gen müs­sen.«

      Die Tru­del war Ot­to­chens Mäd­chen ge­we­sen, fast schon sei­ne Ver­lob­te; zu sei­nen El­tern hat­te die Tru­del Mutt­chen und Va­ter ge­sagt. Sie kam abends oft zu ih­nen, auch jetzt, da Ot­to­chen fort war, und schwatz­te mit ih­nen. Am Tage ar­bei­te­te sie in ei­ner Uni­form­fa­brik.

      Die Er­wäh­nung der Tru­del brach­te Anna Quan­gel so­fort auf an­de­re Ge­dan­ken. Sie warf einen Blick auf den blit­zen­den Re­gu­la­tor an der Wand und frag­te: »Wirst du’s noch bis zu dei­ner Schicht schaf­fen?«

      »Ich habe heu­te die Schicht von eins bis elf«, ant­wor­te­te er. »Ich werd’s schaf­fen.«

      »Gut«, sag­te sie. »Dann geh, aber be­stell sie nur hier­her und sag ihr noch nichts von Ot­to­chen. Ich will’s ihr sel­ber sa­gen. Dein Es­sen ist um zwöl­fe fer­tig.«

      »Dann geh ich und sag ihr, sie soll heu­te Abend vor­bei­kom­men«, sag­te er, ging aber noch nicht, son­dern sah ihr ins gelb­lich wei­ße, kran­ke Ge­sicht. Sie sah ihn wie­der an, und eine Wei­le be­trach­te­ten sie sich so schwei­gend, die­se bei­den Men­schen, die an die drei­ßig Jah­re mit­ein­an­der ver­bracht hat­ten, im­mer ein­träch­tig, er schweig­sam und still, sie ein biss­chen Le­ben in die Woh­nung brin­gend.

      Aber so­sehr sie sich jetzt auch an­schau­ten, sie hat­ten ein­an­der kein Wort zu sa­gen. So nick­te er schließ­lich mit dem Kopf und ging.

      Sie hör­te die Fl­ur­tür klap­pen. Und kaum wuss­te sie ihn wirk­lich fort, dreh­te sie sich wie­der nach der Näh­ma­schi­ne und strich die Schnit­zel­chen des ver­häng­nis­vol­len Feld­post­brie­fes zu­sam­men. Sie ver­such­te, sie an­ein­an­der­zu­pas­sen, aber sie sah schnell, dass das jetzt zu lan­ge dau­ern wür­de, sie muss­te vor al­len Din­gen sein Es­sen fer­tig­ma­chen. So tat sie denn das Zer­ris­se­ne sorg­fäl­tig in den Brief­um­schlag, den sie in ihr Ge­sang­buch leg­te. Am Nach­mit­tag, wenn Otto wirk­lich fort war, wür­de sie die Zeit ha­ben, die Schnit­zel zu ord­nen und auf­zu­kle­ben. Wenn es auch al­les dum­me Lü­gen, ge­mei­ne Lü­gen wa­ren, es war doch das Letz­te von Ot­to­chen! Sie wür­de es trotz­dem auf­be­wah­ren und der Tru­del zei­gen. Vi­el­leicht wür­de sie dann wei­nen kön­nen, jetzt stand es noch wie Flam­men in ih­rem Her­zen. Es wür­de gut sein, wei­nen zu kön­nen!

      Sie schüt­tel­te zor­nig den Kopf und ging an die Koch­ma­schi­ne.

      1 Der Völ­ki­sche Beo­b­ach­ter war von De­zem­ber 1920 bis zum 30. April 1945 das pu­bli­zis­ti­sche Par­tei­or­gan der NSDAP. <<<

      2 Die Deut­sche Ar­beits­front war in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus der Ein­heits­ver­band der Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber mit Sitz in Ber­lin. <<<

      3 Die NS-Frau­en­schaft war die dem Kreis­lei­ter un­ter­stell­te Frau­en­or­ga­ni­sa­ti­on der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Ar­bei­ter­par­tei. <<<

      2. Was Baldur Persicke zu sagen hatte

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