Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Читать онлайн книгу Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans Fallada страница 3
Der Mann sagt nur ein »Oh!«, ein tiefes »Oh!« aus dem Innersten seines Herzens heraus. Ohne es zu wissen, hat er den Kopf seiner Frau losgelassen und greift nach dem Brief. Seine Augen starren auf die Zeilen, ohne sie noch lesen zu können.
Da reißt ihm die Frau den Brief aus der Hand. Ihre Stimmung ist umgeschlagen, zornig reißt sie das Briefblatt in Fetzen, in Fetzchen, in Schnitzelchen, und dabei spricht sie ihm überstürzt ins Gesicht: »Was willst du den Dreck auch noch lesen, diese gemeinen Lügen, die sie allen schreiben? Dass er den Heldentod gestorben ist für seinen Führer und für sein Volk? Dass er ein Muster von ’nem Soldaten und Kameraden abgab? Das willst du dir von denen erzählen lassen, wo wir doch beide wissen, dass Ottochen am liebsten an seinen Radios rumgebastelt hat, und weinen tat er, als er zu den Soldaten musste! Wie oft hat er mir in seiner Rekrutenzeit gesagt, wie gemein sie dort sind, und dass er lieber seine ganze rechte Hand hergäbe, bloß um von denen loszukommen! Und jetzt ein Muster von Soldat und Heldentod! Lügen, alles Lügen! Aber das habt ihr angerichtet, mit euerm Scheißkrieg, du und dein Führer!«
Jetzt steht sie vor ihm, die Frau, kleiner als er, aber ihre Augen sprühen Blitze vor Zorn.
»Ich und mein Führer?«, murmelt er, ganz überwältigt von diesem Angriff. »Wieso ist er denn plötzlich mein Führer? Ich bin doch gar nicht in der Partei, bloß in der Arbeitsfront, und da müssen alle rein. Und gewählt haben wir ihn immer alle beide, und einen Posten in der Frauenschaft3 hast du auch.«
Er sagt das alles in seiner umständlichen, langsamen Art, nicht einmal so sehr, um sich zu verteidigen, als um die Tatsachen klarzustellen. Er versteht noch nicht, wie die Frau plötzlich zu diesem Angriff gegen ihn kommt. Sie waren doch eigentlich immer eines Sinnes gewesen …
Aber sie sagt hitzig: »Wozu bist du denn der Mann im Haus und bestimmst alles, und alles muss nach deinem Kopf gehen, und wenn ich nur einen Verschlag für die Winterkartoffeln im Keller haben will: er muss sein, wie du willst, nicht wie ich will. Und in einer so wichtigen Sache bestimmst du falsch? Aber du bist ein Leisetreter, nur deine Ruhe willst du immer haben und bloß nicht auffallen. Du tust, was sie alle tun, und wenn sie schreien: ›Führer befiehl, wir folgen!‹, so rennst du wie ein Hammel hinterher. Und wir haben wieder hinter dir herlaufen müssen! Aber nun ist mein Ottochen tot, und kein Führer der Welt und auch du nicht bringen ihn mir wieder!«
Er hörte sich das alles ohne ein Widerwort an. Er war nie der Mann gewesen, sich zu streiten, und er fühlte es zudem, dass nur der Schmerz aus ihr sprach. Er war beinahe froh darüber, dass sie ihm zürnte, dass sie ihrer Trauer noch keinen freien Lauf ließ. Er sagte nur zur Antwort auf diese Anklagen: »Einer wird’s der Trudel sagen müssen.«
Die Trudel war Ottochens Mädchen gewesen, fast schon seine Verlobte; zu seinen Eltern hatte die Trudel Muttchen und Vater gesagt. Sie kam abends oft zu ihnen, auch jetzt, da Ottochen fort war, und schwatzte mit ihnen. Am Tage arbeitete sie in einer Uniformfabrik.
Die Erwähnung der Trudel brachte Anna Quangel sofort auf andere Gedanken. Sie warf einen Blick auf den blitzenden Regulator an der Wand und fragte: »Wirst du’s noch bis zu deiner Schicht schaffen?«
»Ich habe heute die Schicht von eins bis elf«, antwortete er. »Ich werd’s schaffen.«
»Gut«, sagte sie. »Dann geh, aber bestell sie nur hierher und sag ihr noch nichts von Ottochen. Ich will’s ihr selber sagen. Dein Essen ist um zwölfe fertig.«
»Dann geh ich und sag ihr, sie soll heute Abend vorbeikommen«, sagte er, ging aber noch nicht, sondern sah ihr ins gelblich weiße, kranke Gesicht. Sie sah ihn wieder an, und eine Weile betrachteten sie sich so schweigend, diese beiden Menschen, die an die dreißig Jahre miteinander verbracht hatten, immer einträchtig, er schweigsam und still, sie ein bisschen Leben in die Wohnung bringend.
Aber sosehr sie sich jetzt auch anschauten, sie hatten einander kein Wort zu sagen. So nickte er schließlich mit dem Kopf und ging.
Sie hörte die Flurtür klappen. Und kaum wusste sie ihn wirklich fort, drehte sie sich wieder nach der Nähmaschine und strich die Schnitzelchen des verhängnisvollen Feldpostbriefes zusammen. Sie versuchte, sie aneinanderzupassen, aber sie sah schnell, dass das jetzt zu lange dauern würde, sie musste vor allen Dingen sein Essen fertigmachen. So tat sie denn das Zerrissene sorgfältig in den Briefumschlag, den sie in ihr Gesangbuch legte. Am Nachmittag, wenn Otto wirklich fort war, würde sie die Zeit haben, die Schnitzel zu ordnen und aufzukleben. Wenn es auch alles dumme Lügen, gemeine Lügen waren, es war doch das Letzte von Ottochen! Sie würde es trotzdem aufbewahren und der Trudel zeigen. Vielleicht würde sie dann weinen können, jetzt stand es noch wie Flammen in ihrem Herzen. Es würde gut sein, weinen zu können!
Sie schüttelte zornig den Kopf und ging an die Kochmaschine.
1 Der Völkische Beobachter war von Dezember 1920 bis zum 30. April 1945 das publizistische Parteiorgan der NSDAP. <<<
2 Die Deutsche Arbeitsfront war in der Zeit des Nationalsozialismus der Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit Sitz in Berlin. <<<
3 Die NS-Frauenschaft war die dem Kreisleiter unterstellte Frauenorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. <<<
2. Was Baldur Persicke zu sagen hatte
Als Otto Quangel an Persickes Wohnung vorüberging, scholl grade beifälliges Geheul daraus, untermischt mit Siegheil-Geschrei. Eiliger ging Quangel weiter, bloß um keinen von der Gesellschaft treffen zu müssen. Sie wohnten schon zehn Jahre im gleichen Haus, aber Quangel hatte von jeher alles Zusammentreffen mit den Persickes ganz besonders zu vermeiden gesucht, schon damals, als der noch ein kleiner, ziemlich verkrachter Budiker1 gewesen war. Jetzt waren die Persickes große Leute geworden, der Alte hatte alle möglichen Ämter bei der Partei, und die beiden ältesten Söhne waren