Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Читать онлайн книгу Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans Fallada страница 6
Er muss sich das alles noch einmal ganz genau überlegen, nur der Barkhausen lässt ihn nicht dazu kommen. Jetzt sagt dieser Mann doch plötzlich: »Sie sollen ja auch einen Feldpostbrief bekommen haben, und er soll nicht von Ihrem Otto geschrieben worden sein?«
Quangel richtet den Blick seiner scharfen, dunklen Augen auf den anderen und murmelt: »Schwätzer!« Weil er aber mit niemandem Streit bekommen will, selbst nicht mit solch einem Garnichts wie dem Rumsteher Barkhausen, setzt er halb widerwillig hinzu: »Die Leute schwatzen alle viel zu viel!«
Der Emil Barkhausen ist nicht beleidigt, den Barkhausen kann man so leicht nicht beleidigen, er stimmt eifrig zu: »Sie sagen’s, wie’s ist, Quangel! Warum kann die Kluge, die Briefschleiche, nicht das Maulwerk halten? Aber nein, gleich muss sie allen erzählen: Die Quangels haben einen Brief aus dem Felde mit Schreibmaschinenschrift bekommen! Ist doch genug, wenn sie erzählen kann, dass Frankreich kapituliert hat!« Er macht eine kleine Pause, und dann fragt er mit einer ganz ungewohnten halblauten, teilnehmenden Stimme: »Verwundet oder vermisst oder …?«
Er schweigt. Quangel aber – nach einer längeren Pause – antwortet nur indirekt auf die Frage des anderen: »Also Frankreich hat kapituliert? Na, das hätten die gut auch einen Tag früher machen können, dann lebte mein Otto noch …«
Barkhausen antwortet ungewöhnlich lebhaft: »Aber weil soundso viel Tausende den Heldentod gestorben sind, darum hat Frankreich sich doch so rasch ergeben. Darum bleiben so viele Millionen nun am Leben. Auf so ’n Opfer muss man stolz sein als Vater!«
Quangel fragt: »Ihre sind alle noch zu klein, um ins Feld zu gehen, Nachbar?«
Fast gekränkt meint Barkhausen: »Das wissen Sie doch, Quangel! Aber wenn sie alle auf einmal stürben, durch ’ne Bombe oder so was, da wäre ich nur stolz drauf. Glauben Sie mir das nicht, Quangel?«
Aber der Werkmeister beantwortet diese Frage nicht, sondern denkt: Wenn ich schon kein rechter Vater bin und den Otto nie so lieb gehabt habe, wie ich musste – dir sind deine Gören einfach eine Last. Das glaube ich, dass du froh wärst, die durch eine Bombe alle auf einmal loszuwerden, unbesehen glaube ich dir das!
Aber er sagt nichts derart, und der Barkhausen, der schon des Wartens auf eine Antwort überdrüssig geworden ist, hat nun so gesprochen: »Denken Sie doch mal nach, Quangel, erst das Sudetenland und die Tschechoslowakei und Österreich und nu Polen und Frankreich und der halbe Balkan – wir werden doch das reichste Volk von der Welt! Was zählen da ein paar hunderttausend Tote? Reich werden wir alle!«
Ungewohnt rasch antwortet Quangel: »Und was werden wir mit dem Reichtum anfangen? Kann ich ihn essen? Schlaf ich besser, wenn ich reich bin? Werd ich als reicher Mann nicht mehr in die Fabrik gehen, und was tu ich dann den ganzen Tag? Nee, Barkhausen, ich will nie reich werden und so schon bestimmt nicht. So ein Reichtum ist nicht einen Toten wert!«
Plötzlich hat ihn Barkhausen beim Arm gepackt, seine Augen flackern, er schüttelt den Quangel, während er eilig flüstert: »Wie kannst du so reden, Quangel? Du weißt doch, dass ich dich für so ’ne Meckerei ins KZ bringen kann? Du hast ja unserm Führer direkt gegen’s Gesicht gesprochen! Wenn ich nun so einer wäre und meldete das …?«
Auch Quangel ist erschrocken über seine eigenen Worte. Diese Sache mit Otto und Anna muss ihn viel mehr aus dem Gleise geworfen haben, als er bisher gedacht hat, sonst hätte ihn seine angeborene, stets wachsame Vorsicht nicht so verlassen. Aber der andere bekommt von seinem Erschrecken nichts zu merken. Quangel befreit seinen Arm mit den starken Arbeitshänden von dem laschen Griff des anderen und sagt dabei langsam und gleichgültig: »Was regen Sie sich denn so auf, Barkhausen? Was habe ich denn gesagt, das Sie melden können? Gar nichts habe ich gesagt. Ich bin traurig, weil mein Sohn Otto gefallen ist und weil meine Frau nun vielen Kummer hat. Das können Sie melden, wenn Sie’s wollen, und wenn Sie’s wollen, dann tun Sie’s! Ich geh gleich mit und unterschreibe, dass ich das gesagt hab!«
Während Quangel aber so ungewohnt wortreich daherredet, denkt er innerlich: Ich will ’nen Besen fressen, wenn dieser Barkhausen nicht ein Spitzel ist! Wieder einer, vor dem man sich in Acht nehmen muss! Vor wem muss man sich eigentlich nicht in Acht nehmen? Wie’s mit der Anna werden wird, weiß ich auch nicht …
Unterdes sind sie aber am Fabriktor angekommen. Wieder streckt Quangel dem Barkhausen nicht die Hand hin. Er sagt einfach: »Na denn!«, und will hineingehen.
Aber Barkhausen hält ihn an der Joppe fest und flüstert eifrig: »Nachbar, was gewesen ist, darüber wollen wir nicht mehr sprechen. Ich bin kein Spitzel und will keinen ins Unglück bringen. Aber nun tu mir auch einen Gefallen: Ich muss der Frau ein bisschen Geld für Lebensmittel geben und habe keinen Pfennig in der Tasche. Die Kinder haben heut noch nischt gegessen. Leih mir zehn Mark – am nächsten Freitag bekommst du sie bestimmt wieder – heilig wahr!«
Der Quangel macht sich wieder wie vorhin von dem Griff des anderen frei. Er denkt: Also so einer bist du, so verdienst du dein Geld! Und: Ich werde ihm nicht eine Mark geben, sonst denkt er, ich habe Angst vor ihm, und lässt mich nie wieder aus der Zange. Laut sagt er: »Ich bringe nur dreißig Mark die Woche nach Haus, und ich brauche jede Mark davon alleine. Ich kann dir kein Geld geben.«
Damit geht er ohne ein weiteres Wort oder einen Blick in den Torhof der Fabrik hinein. Der Pförtner dort kennt ihn und lässt ihn ohne weitere Fragen durch.
Der Barkhausen aber steht auf der Straße, starrt ihm nach und überlegt, was er nun tun soll. Am liebsten ginge er zur Gestapo und machte Meldung gegen den Quangel, ein paar Zigaretten fielen dabei schon ab. Aber besser, er tut’s nicht. Er ist heute früh zu vorschnell gewesen, er hätte den Quangel sich frei ausquatschen lassen sollen; nach dem Tode des Sohnes war der Mann in der Verfassung dazu.
Aber er hat den Quangel falsch eingeschätzt, der lässt sich nicht bluffen. Die meisten Menschen haben heute Angst, eigentlich alle, weil sie alle irgendwo irgendwas Verbotenes tun und immer fürchten, jemand weiß davon. Man muss sie nur im richtigen Augenblick überrumpeln, dann hat man sie, und sie zahlen. Aber der Quangel ist nicht so, ein Mann mit so ’nem scharfen Raubvogelgesicht. Der hat wahrscheinlich vor nichts Angst, und überrumpeln lässt der sich schon gar nicht. Nein, er wird den Mann aufgeben, vielleicht