Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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über alle hielt, das KZ in Sach­sen­hau­sen im­mer grö­ßer wur­de und das Fall­beil in der Plöt­ze3 alle Tage Ar­beit hat­te. Er, Quan­gel, brauch­te kein Ra­dio, aber Anna war ge­gen das Fort­schaf­fen ge­we­sen. Sie mein­te, das alte Sprich­wort gel­te noch: Ein rei­nes Ge­wis­sen ist ein gu­tes Ru­he­kis­sen. Wo so was al­les doch schon längst nicht mehr galt, wenn es je ge­stimmt hat­te.

      Mit sol­chen Ge­dan­ken ging also Quan­gel ei­li­ger die Trep­pen hin­ab und über den Hof auf die Stra­ße.

      Die Per­sickes ha­ben sich auch wie die auf dem Bil­de ge­freut und ge­lacht, der Bal­dur aber, der Hel­le, hat ge­fragt: »Na, seht ihr denn nichts Be­son­de­res auf dem Bil­de?«

      Sie star­ren ihn ab­war­tend an, so völ­lig sind sie von der geis­ti­gen Über­le­gen­heit die­ses Sech­zehn­jäh­ri­gen über­zeugt, dass kei­ner auch nur eine Ver­mu­tung laut wer­den lässt.

      »Na!«, sagt der Bal­dur. »Über­legt doch mal! Das Bild ist doch von ’nem Pres­se­fo­to­gra­fen ge­macht wor­den. Hat der wohl gleich da­bei­ge­stan­den, wie die Nach­richt von der Ka­pi­tu­la­ti­on ge­kom­men ist? Sie muss doch auch durchs Te­le­fon oder durch ’nen Ku­ri­er oder viel­leicht gar durch einen fran­zö­si­schen Ge­ne­ral ge­kom­men sein, und von al­le­dem sieht man auf dem Bil­de gar nichts. Die bei­den ste­hen hier ganz al­lein im Gar­ten und freu­en sich …«

      Bal­durs El­tern und Ge­schwis­ter sit­zen noch im­mer stumm da und star­ren ihn an. Ihre Ge­sich­ter sind vom ge­spann­ten Auf­mer­ken fast dumm. Der alte Per­si­cke wür­de sich am liebs­ten schon wie­der einen neu­en Schnaps ge­neh­mi­gen, aber das wagt er nicht, so­lan­ge der Bal­dur spricht. Er weiß aus Er­fah­rung, der Bal­dur kann sehr un­an­ge­nehm wer­den, wenn man sei­nen po­li­ti­schen Vor­trä­gen nicht die ge­nü­gen­de Auf­merk­sam­keit schenkt.

      Der Sohn fährt un­ter­des fort: »Also, das Bild ist ge­stellt, es ist gar nicht beim Ein­tref­fen der Nach­richt von der Ka­pi­tu­la­ti­on ge­macht wor­den, son­dern ein paar Stun­den spä­ter oder viel­leicht erst am fol­gen­den Tage. Und nun seht euch an, wie sich der Füh­rer freut, er klatscht sich ja so­gar auf die Schen­kel vor Freu­de! Glaubt ihr denn, dass ein großer Mann wie der Füh­rer sich noch am nächs­ten Tage so sehr über sol­che Nach­richt freut? Der denkt doch jetzt schon längst an Eng­land und wie wir die Tom­mys dran­krie­gen. Nee, das gan­ze Bild ist eine Schau­spie­le­rei, von der Auf­nah­me an­ge­fan­gen bis zum Hän­de­klat­schen. Das heißt, den Dum­men Sand in die Au­gen ge­streut!«

      Jetzt star­ren den Bal­dur die Sei­nen so an, als sei­en sie die Dum­men, de­nen Sand in die Au­gen ge­streut wird. Wenn’s nicht der Bal­dur ge­we­sen wäre, je­den Frem­den hät­ten sie für so ’ne Be­mer­kung bei der Ge­sta­po an­ge­zeigt.

      Der Bal­dur aber fährt so fort: »Seht ihr, und das ist das Gro­ße an un­serm Füh­rer: er lässt kei­nen in sei­ne Plä­ne rein­gu­cken. Die den­ken jetzt alle, er freut sich über sei­nen Sieg in Frank­reich, und da­bei sam­melt er viel­leicht schon die Schif­fe für eine In­va­si­on in Eng­land. Seht ihr, das müs­sen wir von un­serm Füh­rer ler­nen: wir sol­len nicht je­dem auf die Sem­mel schmie­ren, wer wir sind und was wir vor­ha­ben!« Die an­de­ren ni­cken eif­rig mit den Köp­fen; end­lich glau­ben sie er­fasst zu ha­ben, wor­auf der Bal­dur hin­aus­will. »Ja, ihr nickt«, sagt der Bal­dur är­ger­lich, »aber ihr macht’s ganz an­ders! Kei­ne hal­be Stun­de ist es her, da habe ich Va­tern erst vor der Brief­trä­ge­rin sa­gen hö­ren, die olle Ro­sen­thal oben soll uns Kaf­fee und Ku­chen spen­die­ren …«

      »Och, die olle Ju­densau!«, sagt Va­ter Per­si­cke, aber doch mit ei­nem ent­schul­di­gen­den Ton in der Stim­me.

      »Na ja«, gibt der Sohn zu, »viel Auf­he­bens wird von der nicht ge­macht, wenn ihr mal was pas­siert. Aber wozu den Leu­ten so was erst er­zäh­len? Si­cher ist si­cher. Kuck dir mal ’nen Men­schen an wie den über uns, den Quan­gel. Kein Wort kriegst du aus dem Man­ne her­aus, und doch bin ich ganz si­cher, der sieht und hört al­les und wird auch sei­ne Stel­le ha­ben, wo er’s hin­mel­det. Wenn der mal mel­det, die Per­sickes kön­nen die Schnau­ze nicht hal­ten, die sind nicht zu­ver­läs­sig, de­nen kann man nichts an­ver­trau­en, dann sind wir ge­lie­fert. Du we­nigs­tens be­stimmt, Va­ter, und ich wer­de kei­nen Fin­ger rüh­ren, um dich wie­der raus­zu­ho­len, aus dem KZ oder aus Moa­bit oder aus der Plöt­ze oder wo du gra­de sitzt.«

      Alle schwei­gen, und selbst ein so ein­ge­bil­de­ter Mensch wie der Bal­dur spürt, dass die­ses Schwei­gen nicht bei al­len Zu­stim­mung be­deu­tet. So sagt er denn noch rasch, um we­nigs­tens die Ge­schwis­ter auf sei­ne Sei­te zu brin­gen: »Wir wol­len alle ein biss­chen mehr wer­den als Va­ter, und wo­durch kön­nen wir es zu was brin­gen? Doch nur durch die Par­tei! Und dar­um müs­sen wir’s so ma­chen wie der Füh­rer: den Leu­ten Sand in die Au­gen streu­en, so tun, als wä­ren wir freund­lich, und dann hin­ten­rum, wenn kei­ner was ahnt: er­le­digt und weg. Es soll auf der Par­tei hei­ßen: Mit den Per­sickes kann man al­les ma­chen, ein­fach al­les!«

      Er sieht noch ein­mal das Bild mit dem la­chen­den Hit­ler und Gö­ring an, nickt kurz und gießt dann Schnaps ein, zum Zei­chen, dass sein po­li­ti­scher Vor­trag be­en­det ist. Er sagt la­chend: »Zieh bloß kei­nen Flunsch, Va­ter, weil ich dir mal die Mei­nung ge­geigt habe!«

      »Du bist erst sech­zehn und mein Sohn«, fängt der Alte, noch im­mer ge­kränkt, an.

      »Un du bist mein Ol­ler, den ich ein biss­chen zu ville be­sof­fen ge­se­hen habe, als dass du mir noch groß im­po­nierst«, sagt Bal­dur Per­si­cke rasch und bringt da­mit die La­cher, so­gar die stän­dig ver­ängs­tig­te Mut­ter, auf sei­ne Sei­te. »Nee, lass man, Va­ter, ei­nes Ta­ges wer­den wir noch alle im ei­ge­nen Auto fah­ren, und du sollst alle Tage Sekt zu sau­fen krie­gen, bis du voll bist!«

      Der Va­ter will wie­der et­was sa­gen, aber die­ses Mal nur ge­gen den Sekt, den er nicht so schätzt wie sei­nen Korn­schnaps. Aber Bal­dur fährt rasch und lei­ser fort: »Ide­en hast du gar nicht so schlech­te, Va­ter, bloß, du soll­test mit kei­nem dar­über re­den als mit uns. Mit der Ro­sen­thal ist viel­leicht wirk­lich was zu ma­chen, aber mehr als Kaf­fee und Ku­chen. Lasst mich nur dar­über nach­den­ken, das muss vor­sich­tig an­ge­fasst wer­den. Vi­el­leicht rie­chen an­de­re den Bra­ten auch, und viel­leicht sind an­de­re bes­ser an­ge­schrie­ben als wir.«

      Sei­ne Stim­me hat sich ge­senkt und ist ge­gen den Schluss hin fast un­hör­bar ge­wor­den. Bal­dur Per­si­cke hat es wie­der fer­tig­ge­bracht, er hat alle auf sei­ne Sei­te ge­zo­gen, selbst den Va­ter, der erst ein­ge­schnappt war.

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