Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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ant­wor­tet der Bal­dur nur. »So!«

      Eine Wei­le ste­hen sie schwei­gend. Der Bark­hau­sen über­legt, ob er jetzt ge­hen darf, aber ei­gent­lich hat er noch nicht den Be­fehl zum Ab­tre­ten be­kom­men. So war­tet er stumm, mit wie­der ge­senk­tem Blick, wei­ter.

      »Geh da mal rein!«, sagt Per­si­cke plötz­lich mit sehr müh­sa­mer Zun­ge. Er zeigt mit aus­ge­streck­tem Fin­ger auf die of­fe­ne Fl­ur­tür der Per­sickes. »Vi­el­leicht habe ich dir noch was zu sa­gen. Mal se­hen!«

      Bark­hau­sen mar­schiert, wie vom wei­sen­den Zei­ge­fin­ger be­foh­len, schwei­gend in die Woh­nung der Per­sickes. Bal­dur Per­si­cke folgt ein we­nig schwan­kend, aber in sol­da­ti­scher Hal­tung. Die Tür schlägt hin­ter bei­den zu.

      Oben löst sich Frau Anna Quan­gel vom Trep­pen­ge­län­der und schleicht in die ei­ge­ne Woh­nung zu­rück, de­ren Tür sie sach­te ins Schloss glei­ten lässt. Wa­rum sie die bei­den ei­gent­lich bei ih­rem Ge­spräch, erst oben vor der Woh­nung der Frau Ro­sen­thal, dann un­ten vor Per­sickes Tür, be­lauscht hat, sie weiß es nicht. Sie folgt sonst ganz der Ge­wohn­heit ih­res Man­nes: die Mit­be­woh­ner kön­nen tun und las­sen, was sie wol­len. Frau An­nas Ge­sicht ist noch im­mer krank­haft weiß, und in ih­ren Au­gen­li­dern ist ein ir­ri­tier­tes Zu­cken. Ein paar­mal schon hät­te sie sich ger­ne hin­ge­setzt und ge­weint, aber sie kann es nicht. Ihr ge­hen Re­dens­ar­ten durch den Kopf wie: »Es drückt mir das Herz ab«, oder: »Es hat mich vor den Kopf ge­schla­gen«, oder: »Es steht mir vor dem Ma­gen«. Von all dem emp­fin­det sie et­was, aber auch noch dies: »Die sol­len mir nicht un­ge­straft mei­nen Jun­gen um­ge­bracht ha­ben. Ich kann auch an­ders sein …«

      Wie­der weiß sie nicht, was sie mit dem An­ders­s­ein meint, aber dies Lau­schen eben war viel­leicht schon ein An­fang da­von. Otto wird nicht mehr al­les al­lein be­stim­men kön­nen, denkt sie auch noch. Ich will auch mal tun kön­nen, was ich will, auch wenn es ihm nicht passt.

      Sie macht sich eif­rig an die Fer­tig­stel­lung des Es­sens. Die meis­ten Le­bens­mit­tel, die sie bei­de auf Kar­ten zu­ge­teilt er­hal­ten, be­kommt er. Er ist nicht mehr jung und muss stän­dig über sei­ne Kraft ar­bei­ten; sie kann viel sit­zen und Näh­ar­beit tun, also ver­steht sich sol­che Tei­lung von selbst.

      Wäh­rend sie noch mit ih­ren Kochtöp­fen han­tiert, ver­lässt Bark­hau­sen wie­der die Woh­nung der Per­sickes. So­bald er die Trep­pe hin­un­ter­steigt, ver­liert sei­ne Hal­tung all das Krie­che­ri­sche, das sie vor de­nen hat­te. Er geht auf­recht über den Hof, sein Ma­gen ist an­ge­nehm von zwei Schnäp­sen er­wärmt, und in der Ta­sche hat er zwei Zehn­mark­schei­ne, ei­ner von ih­nen wird Ot­tis üble Lau­ne be­sänf­ti­gen.

      Aber als er die Stu­be im Sou­ter­rain be­tritt, ist Otti kei­ner üb­len Lau­ne. Auf dem Tisch liegt eine wei­ße De­cke, und Otti sitzt mit ei­nem Bark­hau­sen nicht be­kann­ten Man­ne auf dem Sofa. Der Frem­de, der gar nicht schlecht an­ge­zo­gen ist, zieht has­tig sei­nen Arm, der um Ot­tis Schul­ter lag, zu­rück. Aber das hät­te er gar nicht zu tun brau­chen, in so was war Bark­hau­sen nie hei­kel.

      Er denkt: Kiek mal, das alte Aas, sol­che fängt sie sich auch ein! Der ist min­des­tens Ban­kan­ge­stell­ter oder Leh­rer …

      In der Kü­che heu­len und jau­len die Kin­der. Bark­hau­sen bringt je­dem eine di­cke Schei­be von dem Brot, das auf dem Tisch steht. Dann fängt er sel­ber zu früh­stücken an, es ist so­wohl Brot wie Wurst wie Schnaps da. Für was so ein Frei­er al­les gut ist! Er streift den Mann auf dem Sofa mit ei­nem zu­frie­de­nen Blick. Der Mann scheint sich nicht so wohl wie Bark­hau­sen zu füh­len.

      Da­rum geht Bark­hau­sen auch schnell, so­bald er ein biss­chen ge­ges­sen hat. Er will den Frei­er um Got­tes wil­len nicht ver­grau­len! Das Gute ist, dass er nun die gan­zen zwan­zig Mark für sich be­hal­ten kann. Bark­hau­sen rich­tet sei­ne Schrit­te nach der Rol­ler­stra­ße; er hat von ei­ner Knei­pe dort ge­hört, wo die Leu­te be­son­ders leicht­sin­nig re­den sol­len. Vi­el­leicht lässt sich da was ma­chen. Man kann jetzt in Ber­lin über­all Fi­sche fan­gen. Und wenn nicht bei Tage, dann bei Nacht.

      Wenn Bark­hau­sen an die Nacht denkt, zuckt es im­mer wie La­chen hin­ter sei­nem lose her­ab­hän­gen­den Schnurr­bart. Die­ser Bal­dur Per­si­cke, alle die­se Per­sickes, was für ’ne Ban­de! Aber ihn sol­len sie nicht für dumm ver­kau­fen, ihn nicht! Sie sol­len bloß nicht glau­ben, bei ihm ist es mit zwan­zig Mark und zwei Schnäp­sen ge­tan. Vi­el­leicht kommt noch mal die Zeit, wo er alle die­se Per­sickes in die Ta­sche steckt. Er muss nur jetzt de­mü­tig und schlau sein.

      Da­bei fällt Bark­hau­sen ein, dass er noch vor der Nacht einen ge­wis­sen Enno fin­den muss, Enno ist viel­leicht der rich­ti­ge Mann für so was. Aber kei­ne Angst, den Enno fin­det er schon. Der macht täg­lich sei­ne Run­de durch nur drei oder vier Lo­ka­le, wo die klei­nen Renn­wet­ter ver­keh­ren. Wie die­ser Enno wirk­lich heißt, das weiß Bark­hau­sen nicht. Er kennt ihn nur aus den paar Lo­ka­len, wo ihn alle Enno ru­fen. Er wird ihn schon fin­den, und er wird viel­leicht so­gar der rich­ti­ge Mann sein.

      1 Win­ter­hilfs­werk des Deut­schen Vol­kes; or­ga­ni­sier­te Sam­me­lak­tio­nen zur Un­ter­stüt­zung Be­dürf­ti­ger <<<

      2 Die Hit­ler­ju­gend oder Hit­ler-Ju­gend war die Ju­gend- und Nach­wuchs­or­ga­ni­sa­ti­on der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Ar­bei­ter­par­tei. <<<

      4. Trudel Baumann verrät ein Geheimnis

      So leicht Otto Quan­gel auch in die Fa­brik ge­kom­men war, so schwer war es zu er­rei­chen, dass die Tru­del Bau­mann zu ihm her­aus­ge­ru­fen wur­de. Sie ar­bei­te­ten hier näm­lich – üb­ri­gens ge­nau wie in Quan­gels Fa­brik – nicht nur im Ak­kord, son­dern jede Ar­beits­stu­be muss­te auch ein be­stimm­tes Pen­sum schaf­fen, da kam es oft auf jede Mi­nu­te an.

      Aber schließ­lich er­reicht Quan­gel doch sein Ziel, schließ­lich ist der an­de­re ge­nau­so ein Werk­meis­ter wie er selbst. Man kann ei­nem Kol­le­gen so was schlecht ab­schla­gen, be­son­ders wenn gra­de der Sohn ge­fal­len ist. Das hat Quan­gel nun doch sa­gen müs­sen, bloß um die Tru­del zu se­hen zu krie­gen. Daraus folgt, dass er’s ihr auch sel­ber sa­gen muss, ge­gen die Bit­te der Frau, sonst wür­de es ihr der Werk­meis­ter er­zäh­len. Hof­fent­lich gib­t’s kein Ge­schrei und vor al­lem kei­ne Um­fal­le­rei. Ei­gent­lich ein Wun­der, wie die Anna sich ge­hal­ten hat – nun, die Tru­del steht auch auf fes­ten Bei­nen.

      Da kommt sie end­lich, und Quan­gel, der nie ein an­de­res Ver­hält­nis als das zu sei­ner Frau ge­habt hat, muss sich ge­ste­hen, dass sie rei­zend aus­sieht mit ih­rem Wu­schel­kopf dunk­ler, plust­ri­ger Haa­re, dem run­den Ge­sicht, dem kei­ne Fa­brik­ar­beit die fri­schen Far­ben hat neh­men kön­nen, mit den la­chen­den Au­gen und der ho­hen Brust. Selbst jetzt, wo sie we­gen der Ar­beit lan­ge blaue Ho­sen trägt und einen al­ten, viel­fach ge­stopf­ten Jum­per, der voll von Garn­res­ten hängt, selbst jetzt sieht sie rei­zend

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