Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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los­ge­habt, die Meis­ter ha­ben sich doch alle um ihn ge­ris­sen.

      »Tag, Tru­del«, sagt er und gibt ihr sei­ne Hand, in die rasch und kräf­tig ihre war­me, mol­li­ge schlüpft.

      »Tag, Va­ter«, ant­wor­tet sie. »Nun, was ist los bei euch zu Haus? Hat Mutt­chen mal wie­der Sehn­sucht nach mir, oder hat Otto ge­schrie­ben? Ich will se­hen, dass ich mög­lichst bald mal bei euch rein­schaue.«

      »Es muss schon heu­te Abend sein, Tru­del«, sag­te Otto Quan­gel. »Die Sa­che ist näm­lich die …«

      Aber er spricht sei­nen Satz nicht zu Ende. Tru­del ist in ih­rer ra­schen Art schon in die Ta­sche der blau­en Hose ge­fah­ren und hat einen Ta­schen­ka­len­der her­vor­ge­holt, in dem sie jetzt blät­tert. Sie hört nur mit hal­b­em Ohr zu, nicht der rich­ti­ge Au­gen­blick, um ihr so was zu sa­gen. So war­tet denn Quan­gel ge­dul­dig, bis sie ge­fun­den hat, was sie sucht.

      Die­se Zu­sam­men­kunft der bei­den fin­det in ei­nem lan­gen, zu­gi­gen Gan­ge statt, des­sen ge­tünch­te Wän­de ganz voll­ge­pflas­tert mit Pla­ka­ten sind. Un­will­kür­lich fällt Quan­gels Blick auf ein Pla­kat, das schräg hin­ter Tru­del hängt. Er liest ein paar Wor­te, die fett­ge­druck­te Über­schrift: »Im Na­men des deut­schen Vol­kes«, dann drei Na­men und: »wur­den we­gen Lan­des- und Hoch­ver­ra­tes zum Tode durch den Strang ver­ur­teilt. Die Hin­rich­tung wur­de heu­te Mor­gen in der Straf­an­stalt Plöt­zen­see voll­zo­gen.«

      Ganz un­will­kür­lich hat er mit bei­den Hän­den die Tru­del ge­fasst und sie so weit zur Sei­te ge­zo­gen, dass sie nicht mehr vor dem Pla­kat steht. »Wie­so?«, hat sie erst über­rascht ge­fragt, dann sind ihre Au­gen dem Blick der sei­nen ge­folgt, und sie liest auch das Pla­kat. Sie gibt einen Laut von sich, der al­les be­deu­ten kann: Pro­test ge­gen das Ge­le­se­ne, Ab­leh­nung von Quan­gels Tun, Gleich­gül­tig­keit, aber je­den­falls kehrt sie nicht an den al­ten Platz zu­rück. Sie sagt und steckt den Ka­len­der wie­der in die Ta­sche: »Heu­te Abend geht’s un­mög­lich, Va­ter, aber mor­gen wer­de ich ge­gen acht bei euch sein.«

      »Es muss aber heu­te Abend ge­hen, Tru­del!«, wi­der­spricht Otto Quan­gel. »Es ist näm­lich Nach­richt ge­kom­men über Otto.« Sein Blick ist noch schär­fer ge­wor­den, er sieht, wie das La­chen aus ih­rem Blick schwin­det. »Der Otto ist näm­lich ge­fal­len, Tru­del.«

      Es ist selt­sam, der­sel­be Laut, den Otto Quan­gel bei die­ser Nach­richt von sich ge­ge­ben hat, kommt jetzt aus Tru­dels Brust, ein tie­fes »Oh …!«. Ei­nen Au­gen­blick sieht sie den Mann mit schwim­men­den Au­gen an, ihre Lip­pen zit­tern; dann wen­det sie das Ge­sicht zur Wand, sie lehnt ihre Stirn ge­gen sie. Sie weint, aber sie weint laut­los. Quan­gel sieht wohl ihre Schul­tern be­ben, aber er hört kei­nen Laut.

      Er hält inne, er­schro­cken über das, was er da eben ge­dacht hat. Verän­dert er sich nun auch schon? Das war ja eben bei­na­he so et­was wie An­nas ›Du und dein Hit­ler!‹.

      Dann sieht er, dass Tru­del mit der Stir­ne nun gra­de ge­gen je­nes Pla­kat lehnt, von dem er sie eben erst fort­ge­zo­gen hat. Über ih­rem Kopf steht in Fett­schrift zu le­sen: »Im Na­men des deut­schen Vol­kes«, ihre Stirn ver­deckt die Na­men der drei Ge­häng­ten …

      Und wie eine Vi­si­on steigt es vor ihm auf, dass ei­nes Ta­ges solch ein Pla­kat mit den Na­men von ihm und Anna und Tru­del an den Wän­den kle­ben könn­te. Er schüt­telt un­mu­tig den Kopf. Er ist ein ein­fa­cher Hand­ar­bei­ter, der nur sei­ne Ruhe ha­ben und nichts von Po­li­tik wis­sen will, Anna küm­mert sich nur um ih­ren Haus­halt, und solch ein bild­hüb­sches Mä­del wie die Tru­del dort wird bald einen neu­en Freund ge­fun­den ha­ben …

      Aber die Vi­si­on ist hart­nä­ckig, sie bleibt. Un­se­re Na­men an der Wand, denkt er, nun völ­lig ver­wirrt. Und warum ei­gent­lich nicht? Am Gal­gen hän­gen ist auch nicht schlim­mer, als von ei­ner Gra­na­te zer­ris­sen zu wer­den oder am Bauch­schuss kre­pie­ren! Das al­les ist nicht wich­tig. Was al­lein wich­tig ist, das ist: Ich muss raus­krie­gen, was das mit dem Hit­ler ist. Erst schi­en doch al­les gut zu sein, und nun plötz­lich ist al­les schlimm. Plötz­lich sehe ich nur Un­ter­drückung und Hass und Zwang und Leid, so viel Leid … Ein paar Tau­send, hat die­ser fei­ge Spit­zel, der Bark­hau­sen, ge­sagt. Als wenn es auf die Zahl an­käme! Wenn nur ein ein­zi­ger Mensch un­ge­recht lei­det, und ich kann es än­dern, und ich tue es nicht, bloß weil ich fei­ge bin und mei­ne Ruhe zu sehr lie­be, dann …

      Hier wagt er nicht wei­ter­zu­den­ken. Er hat Angst, rich­tig Angst da­vor, wo­hin ihn ein sol­cher zu Ende ge­dach­ter Ge­dan­ke füh­ren kann. Sein gan­zes Le­ben müss­te er dann viel­leicht än­dern!

      Statt­des­sen starrt er wie­der auf das Mäd­chen, über des­sen Kopf »Im Na­men des deut­schen Vol­kes« zu le­sen ist. Nicht gra­de ge­gen die­ses Pla­kat ge­lehnt, soll­te sie wei­nen. Er kann der Ver­su­chung nicht wi­der­ste­hen, er dreht ihre Schul­ter von der Wand fort und sagt, so sanft er kann: »Komm, Tru­del, nicht ge­gen die­ses Pla­kat …«

      Ei­nen Au­gen­blick starrt sie die ge­druck­ten Wor­te ver­ständ­nis­los an. Ihr Auge ist schon wie­der tro­cken, ihre Schul­tern be­ben nicht mehr. Dann kommt wie­der Le­ben in ih­ren Blick, nicht das alte, fro­he Leuch­ten, mit dem sie die­sen Gang be­tre­ten, son­dern et­was dun­kel Glü­hen­des. Sie legt ihre Hand fest und doch zärt­lich an die Stel­le, wo das Wort »ge­hängt« steht. »Ich werd nie ver­ges­sen, Va­ter«, sagt sie, »dass ich gra­de vor so ei­nem Pla­kat we­gen Otto ge­heult habe. Vi­el­leicht – ich möcht’s nicht –, aber viel­leicht wird auch mal mein Name auf so ei­nem Wisch ste­hen.«

      Sie starrt ihn an. Er hat das Ge­fühl, sie weiß nicht ge­nau, was sie spricht. »Mä­del!«, ruft er er­schro­cken. »Be­sinn dich! Wie sollst du und solch ein Pla­kat … Du bist jung, das gan­ze Le­ben liegt vor dir. Du wirst wie­der la­chen, du wirst Kin­der ha­ben …«

      Sie schüt­telt trot­zig den Kopf. »Ich krieg kei­ne Kin­der, so­lan­ge ich nicht be­stimmt weiß, sie wer­den mir nicht tot­ge­schos­sen. So­lan­ge ir­gend so ein Ge­ne­ral sa­gen kann: Mar­schier und kre­pier! Va­ter«, fährt sie fort und fasst jetzt sei­ne Hand fest in die ihre, »Va­ter, kannst du denn wirk­lich wie bis­her wei­ter­le­ben, jetzt, wo sie dir dei­nen Otto tot­ge­schos­sen ha­ben?«

      Sie sieht ihn ein­dring­lich an, und wie­der wehrt er sich ge­gen das Frem­de, das in ihn ein­dringt. »Die Fran­zo­sen«, mur­melt er.

      »Die Fran­zo­sen!«, ruft sie em­pört. »Re­dest du dich auf so was raus? Wer hat denn die Fran­zo­sen über­fal­len? Na wer, Va­ter? Sag doch!«

      »Aber was kön­nen wir denn tun?«, wehrt sich Otto Quan­gel ver­zwei­felt ge­gen die­ses Drän­gen. »Wir sind nur ein paar, und all die Mil­lio­nen sind für ihn, und jetzt nach die­sem Sie­ge ge­gen Frank­reich erst recht. Gar nichts kön­nen wir

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