Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

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Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel

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wollten dort gemeinsam einige Besorgungen erledigen. Er hatte also noch genügend Zeit, ein Stück zu Fuß durch den Tiergarten zu gehen. Inmitten der frischgrünen Lenzespracht schüttelte er gewaltsam alle Gedanken an dienstliche Angelegenheiten von sich ab, zwang sich, nur mit dem geliebten Wesen sich zu beschäftigen, das nun in kurzem sein Weib werden sollte.

      Marga Milden war das einzige Kind des Senatspräsidenten Robert Milden und seiner Frau, einer geborenen Gräfin Blinkfeld. Trotz ihrer erst zwanzig Jahre war sie ein völlig ausgereifter Charakter mit ernsten Lebensanschauungen. Jedenfalls hatten sich, als sie den Assessor Harst vor einem Vierteljahr kennen und sehr bald lieben lernte, nicht gerade die Gegensätze wie so oft angezogen, denn Marga und Harald waren in der Hauptsache verwandte Naturen. Als Brautpaar wußten sie in Gegenwart anderer stets zu verbergen, wie leidenschaftlich sie sich zugetan waren. Nur im trauten Alleinsein enthüllten sie ohne Scheu ihre heißen Herzen und schwärmten in schlecht verhehlter Sehnsucht von der köstlichen Zukunft, wo sie sich dann restlos angehören durften. –

      Auf der Tauentzienstraße vor dem riesigen Sandsteinbau des Kaufhauses des Westens wogte wie immer um die Mittagstunde ein doppelter Menschenstrom auf der Lasterseite auf und ab. Harst schlenderte vor den großen Schaufenstern hin und her und machte seine Studien an den Menschen, die gleich ihm die Auslagen bewunderten. Er verstand sich darauf, aus winzigen Kleinigkeiten treffsichere Schlüsse zu ziehen, und es war eine fast krankhafte Angewohnheit von ihm, selbst im Straßentreiben der Millionenstadt auf alles zu achten, was ihn vielleicht auf die Spur irgend einer entweder schon vollendeten oder erst geplanten Gesetzesübertretung führen konnte. Daher wurde er auch Taschendieben besonders gefährlich. Er durfte sich rühmen, bereits mehr als ein Dutzend dieser Gauner hinter Schloß und Riegel gebracht zu haben.

      Jetzt stutzte er plötzlich. War das nicht der Komiker-Maxe, Max Schraut, der doch letztens wieder wegen Handtaschen-Abkneifens ein Jahr Gefängnis bekommen hatte? – Ohne Zweifel: dieser frühere Schauspieler, der schnell zum Taschendieb auf der schiefen Bahn des Lasters herabgesunken war, mußte aus der Strafanstalt entwichen sein! Er trug jetzt eine gar nicht schlechte Verkleidung, spielte den alten, ehrwürdigen Herrn. Für Harsts Augen hatte der falsche Bart aber doch eine zu stumpfe Farbe.

      Harst trat hinter den Komiker-Maxe, der es auf eine junge Dame abgesehen zu haben schien, und flüsterte ihm zu: »Gehen Sie langsam voraus in die Nebenstraße, Max Schraut. Aber – keine Dummheiten –!«

      Der Taschendieb gehorchte. Er mußte große Geistesgegenwart besitzen. Er war nicht einmal zusammengezuckt bei dem unerwarteten, verhängnisvollen Befehl.

      Nun aber begann er den Assessor flehentlich zu bitten, ihn laufen zu lassen. »Ja, ich bin ausgebrochen. Nur deshalb, weil meine alleinstehende Mutter todkrank ist – nur deshalb! Jetzt ist sie gestorben – gestern abend. Ich möchte ihr doch wenigstens das letzte Geleit geben. Dann – mein Wort darauf! – stelle ich mich freiwillig.«

      »Und soeben wollten Sie wieder Ihren alten Trick versuchen, Schraut. Sie hatte die kleine Beißzange ja schon in der Hand.«

      Der Dieb stöhnte auf. »Die – die Beerdigungskosten,« flüsterte er, und ein paar Tränen rannen ihm in den falschen Bart.

      Harst schaute ihn prüfend an, gab ihm dann einen Hundertmarkschein und sagte: »Nach der Beerdigung melden Sie sich bei mir. Ich wohne Schmargendorf, Blücherstraße 10.«

      Dann schritt er davon. –

      * * *

      Es wurde eins. Marga erschien nicht. Und sie war doch die Pünktlichkeit selbst. Um halb zwei läutete Harst bei Mildens in der Bismarckstraße in Charlottenburg vom nächsten Zigarrengeschäft an. Seine Schwiegermutter gab ihm den Bescheid, Marga wäre bereits um zehn Uhr von Hause weggegangen.

      Er war ein geduldiger und ebenso verliebter Bräutigam. Er hatte sich so sehr auf das Wiedersehen gefreut, zumal er Marga gestern nachmittag daheim nicht angetroffen und abends hatte arbeiten müssen. Noch bis zwei Uhr wollte er warten. Dann mußte er nach Hause. Seine Mutter hatte ihm heute eins seiner Leibgerichte gekocht. – Er schlenderte wieder vor dem Warenpalast auf und ab, ohne viel Hoffnung, daß die Ersehnte jetzt noch erscheinen würde. Sie hatte sicherlich eine ganz dringende Abhaltung. Anders ließ sich diese verpaßte Verabredung nicht erklären.

      Um zwei Uhr rief er dann Mildens abermals an. Marga war noch nicht zurückgekehrt. Niemand wußte, ob sie etwas Besonderes vorgehabt hätte.

      Leicht beunruhigt machte Harst sich auf den Heimweg. Die Straßenbahn war ziemlich leer. Er stand bequem auf der hinteren Plattform und grübelte über die Gründe nach, die dieses Stelldichein für Marga vereitelt haben könnten. Je länger er alle Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten prüfte, desto besorgter wurde er. Seine Braut, sagte er sich nun mit Recht, hätte ihn niemals vergeblich warten lassen, wenn sie nicht durch Umstände ferngehalten worden wäre, die ihre freie Entschlußfähigkeit ausgeschaltet hätten. – Nur ein Unfall konnte hier vorliegen.

      Ihm wurde ganz heiß bei diesem Gedanken. Dann wieder suchte er seine Angst zu zerstreuen, tröstete sich mit der Annahme, es läge vielleicht ein sehr harmloser Grund vor. Doch nur Minuten währte diese Selbsttäuschung. Wieder kroch ihm die ungewisse Furcht zum Herzen, in dem nur für weniges Raum war: für Marga, für seine Mutter und für seinen Beruf.

      Von seiner Haltestelle der Straßenbahn hatte er noch einen kurzen Weg bis nach Hause. Frau Auguste Harst wohnte noch in demselben alten Gebäude, wo sie an der Seite des Tischlermeisters und späteren Holzhändlers Emil Harst 25 Jahre zufrieden und glücklich gelebt hatte und nun nach dessen plötzlichem Tode ganz in Liebe und Fürsorge für ihr einziges Kind aufging.

      Das Haus lag weit von der Straße zurück inmitten eines Gartens mit uralten Linden, der sich nach hinten zu bis an ein Laubengelände ausdehnte. Harald Harst bewohnte im Erdgeschoß die drei Zimmer rechts von dem großen, durchgehenden Flur. Die Räume links standen leer. Er eilte jetzt die breite, gewundene Treppe empor, fand seine Mutter in der Küche am Herde, küßte sie zärtlich und nickte auch der alten Malwine, die bei Harsts nun schon einige zwanzig Jahre diente, einen freundlichen Gruß zu. Dann begann er der kleinen, rundlichen Mutter, der das schwarze Häubchen stets schief auf dem falschen Zopf thronte, sofort von dem vereitelten Stelldichein zu berichten. Frau Auguste tätschelte ihm die Backen. »Harald – man soll nicht gleich das Schlimmste sich ausmalen,« meinte sie. Und doch fühlte auch sie eine gelinde Angst um die Schwiegertochter, die sie aufrichtig liebte, obwohl ihr Junge seit seiner Verlobung ihr nur noch halb gehörte.

      Harst lief jetzt in seine Wohnung hinab. Er, der jede hastige Bewegung vermied, war wie ausgewechselt. Seine drei Zimmer, mit erlesenem Geschmack eingerichtet, verrieten sofort, daß sein Vater ein Millionenvermögen hinterlassen hatte. Jedes Stück der Ausstattung besaß hohen Kunstwert.

      Im seinem Arbeitszimmer nahm Harst den Hörer von dem auf dem Schreibtisch stehenden Fernsprecher und ließ sich mit Mildens verbinden. Es war jetzt halb drei. Der Senatspräsident kam selbst an den Apparat. – »Lieber Harald, wir fangen an, uns zu ängstigen,« sagte er ehrlich.

      Harst erwiderte, er würde das Polizeipräsidium Berlin anrufen und bitten, bei den Unfallstationen und in den Krankenhäusern Nachfrage zu halten. Das ginge so am schnellsten. Er wäre auf dem Präsidium gut bekannt, und man täte ihm gern diesen Gefallen.

      Nachdem dies erledigt war, ging er wieder zu seiner Mutter nach oben. Das Mittagessen war schon aufgetragen. Er berührte es kaum, und es herrschte ein bedrücktes Schweigen während der Mahlzeit. Frau Auguste wußte nur zu gut, daß ihr Junge sich jetzt nicht mehr durch Redensarten würde beruhigen lassen.

      Nach Tisch wollte Harst sich zerstreuen, schritt im Gemüsegarten auf und ab und säuberte ein paar Rosenstöcke von Blattläusen. In dem Gärtnerhäuschen

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