Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
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»Sehr krank, Herr Assessor. Ich bin erst heute früh aus dem Krankenhaus entlassen worden, wo ich mit falschen Papieren wegen Lungenentzündung Aufnahme gefunden hatte. Ich habe deshalb auch der Beerdigung meiner Mutter nicht beiwohnen können. – Aber auch Sie sehen schlecht aus, Herr Assessor, – ganz verändert, ganz grau im Gesicht.«
Harst überlegte kurz. Dann forderte er den Taschendieb auf, mit in seine Wohnung zu kommen. Hier sagte er zu ihm: »Ich müßte Sie nun eigentlich der Polizeibehörde übergeben. Für die Gefängnisluft sind Sie jedoch noch zu elend. Sie sollten sich erst bei mir erholen, wo niemand Sie verraten wird. Ich stelle aber eine Bedingung. Meine Braut ist ermordet worden. Sie scheinen von diesem Verbrechen im Krankenhaus nichts gehört zu haben. Ich beabsichtigte, da der Täter bisher nicht entdeckt ist, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Sie und noch jemand, ein Knabe, sollen mir dabei helfen. – Wollen Sie’s tun?«
Komiker-Maxe begann vor Rührung zu weinen. »Ob ich will! Natürlich! – Herr Assessor, Sie sollen an mir einen treuen Gehilfen haben. Ich bin noch nicht so tief gesunken, um einem Manne wie Ihnen gegenüber undankbar zu sein.«
Max Schraut bezog eins der unbenutzten Erdgeschoßzimmer. Bereits nach einer Stunde fand dort zwischen ihm, Harst und Karl Malke eine längere Besprechung statt. Und noch an demselben Abend übernahm eine Berufspflegerin, die Harst bezahlte, die Wartung der kränklichen Witwe des früheren Kutschers.
3. Kapitel
Das zweite Verbrechen
Frau Auguste Harst konnte an diesem Abend sich gar nicht genug über die plötzliche Veränderung wundern, die mit ihrem geliebten großen Jungen vor sich gegangen war. Dann erfuhr sie nach dem Abendessen den Grund. Harald erzählte ihr alles, was der heutige Nachmittag ihm gebracht hatte und was er nun weiter plante.
Sie drückte seine Hände. »Recht so, mein Junge, recht so! Nun wirst du wieder aufleben – Gott sei Dank!«
Ja – Harst lebte sehr schnell wieder auf. Am folgenden Vormittag erschien er bei Mildens. Sein Benehmen freilich ließ nicht erkennen, daß er mit fieberhaftem Eifer eine schwache Fährte weiterzuverfolgen sich bemühte. Er schien abermals nur in Margas Zimmer eine Weile seinen schmerzlichen Gedanken nachhängen zu wollen. Er schloß sich ein und begann dann sofort nochmals den zweifenstrigen Raum zu durchsuchen. Damals hatte Kommissar Stolten ja auch jenes buntgeränderte Tüchlein in der Hand gehabt und es als wertlos wieder unter das Sitzkissen an dieselbe Stelle geschoben. Hatte er das Taschentuch auf diese Weise unbeachtet gelassen, konnte ein gleiches leicht auch mit anderen Dingen geschehen sein.
Harst suchte geduldig und mit jener kühlen, klaren Überlegung, die ihm vor Margas Verlust stets zu eigen gewesen. Den kleinen, modernen Damenschreibtisch nahm er zuletzt vor. In der Schublade unter der Platte lagen seine Briefe, die er an Marga geschrieben, obwohl sie sich fast täglich gesehen hatten. Daneben stand eine elegante Stahlkassette, in der der Schlüssel noch von der ersten Durchsuchung steckte. Darin befand sich unter anderem Margas Sparkassenbuch. Harst besichtigte es. Auch Stolten hatte dies getan und es wieder weggelegt. Harst prüfte die Abhebungen jetzt wie alles hier mit kritischem Geist. Dann steckte er das Buch zu sich. Sonst aber fand auch er nichts weiter, das ihm beachtenswert erschienen wäre. Er ging nun zu seiner Schwiegermutter hinüber, brachte das Gespräch unauffällig auf Margas bescheidene Geldbedürfnisse und fragte, ob sie in letzter Zeit wohl größere Ausgaben gehabt hätte. Die Präsidentin verneinte. »Im Gegenteil – eigentlich war sie seit ihrer Verlobung noch sparsamer. Sie wollte, wie sie sagte, doch wenigstens ein paar Pfennige Mitgift Dir mit einbringen, lieber Harald, da wir ja nur die Aussteuer geben konnten.«
Harst verabschiedete sich bald und ging nach der Nebenstelle der Städtischen Sparkasse, nahm den betreffenden Beamten beiseite und fragte, ob diesem Fräulein Marga Milden vielleicht von Ansehen bekannt sei. Der Beamte nickte eifrig. »Sehr gut sogar. Die junge Dame brachte häufig kleinere Beträge. Wir alle hier von der Nebenstelle haben ihren Tod aufrichtig bedauert. Noch am Tage vor ihrer Ermordung hat sie fünfhundert Mark abgehoben.«
»Ja – und zehn Tage vorher vierhundert Mark. – Ich bin ihr Verlobter, Assessor Harst. –Ich danke Ihnen für die Auskunft.«
Harst fuhr weiter zum Polizeipräsidium. Stolten war nicht anwesend, aber Wachtmeister Salewski konnte ihm den Bescheid geben, daß bisher von den Marga geraubten Schmuckstücken nichts bei Händlern oder Hehlern aufgetaucht wäre. Als sie noch miteinander sprachen, trat Stolten ein. Er kam von einem »neuen Fall«. An der Jannowitzbrücke hatte man eine weibliche Leiche aufgefischt, die schon längere Zeit im Wasser gelegen haben mußte und deren Schädeldecke durch Hammerschläge zertrümmert worden war, während das Gesicht – fraglos von dem Mörder – durch Messerschnitte vollständig unkenntlich gemacht worden war. – »Abermals eine ziemlich aussichtslose Sache,« meinte Stolten mißgestimmt. »Nichts ist an der Leiche vorhanden, das eine Rekognoszierung erleichtert. Aus der Wäsche sind sogar die Monogramme herausgeschnitten worden.« Er faßte in die Brusttasche und holte ein in Zeitungspapier gehülltes flaches Päckchen heraus und warf es auf den Tisch. »Nur ein Taschentuch fand ich bei der Toten, die noch jung gewesen sein muß und deren Kleidung billigster Tand ist.«
Harst griff nach dem Päckchen mit einem »Sie gestatten doch«, wickelte das noch feuchte Tüchlein aus und sagte dann, nachdem er es berochen hatte: »Wie lange gerade Patschuli selbst im Wasser seine Duftkraft bewahrt!«
»Stimmt!« meinte Stolten. »Auch die Seidenbluse der Ermordeten hat den Geruch noch festgehalten.«
Harst hatte alle Mühe, seine Erregung zu verbergen.
»Die Tote bleibt doch noch einige Zeit im Schauhause?« fragte er nun. »Ich möchte sie mir ansehen. Seit dem Morde an meiner Braut interessieren mich alle Kapitalverbrechen.« Dann verließ er das Präsidium.
Stolten sagte kopfschüttelnd zu Salewski: »Merkwürdig! Bisher habe ich nichts davon bemerkt, daß Harst für Morde größeres Interesse hat. Nun – mag er! Für den armen Menschen wär’s ganz gut, wenn er sich bemühte, sein Unglück zu vergessen.« –
Harald Harst begab sich zu Doktor Heiker. Dieser begrüßte ihn sofort mit den Worten: »Ihre Vermutung trifft zu. Das Taschentuch muß von Tränen ganz durchweicht gewesen sein. Außerdem befindet sich darauf am Rande ein Fleck von roter Fettschminke.«
Harst dankte, zahlte vierzig Mark und kehrte, das von ihm leicht angefeuchtete Tüchlein in der äußeren Jackentasche, nach dem Präsidium zurück. Stolten war noch mit dem Bericht über den neuesten Fall beschäftigt. Das bei der Wasserleiche gefunden Tuch lag neben ihm auf dem Schreibtisch. Harst fragte, ob Stolten es für zweckdienlich hielte, nochmals eine große Anzeige unter Hervorhebung der Belohnung von 20 000 Mark in die Zeitungen einzurücken. Der Kommissar meinte, schaden könnte es nichts, obwohl er die Hoffnung schon beinahe aufgegeben hätte, daß der Mord an Marga Milden jemals aufgeklärt werden würde. Harst nahm das Tüchlein vom Tisch und besichtigte es, hielt es auch gegen das Licht und sagte so nebenbei:
»Die Ermordete scheint Schminke benutzt zu haben. Ich sehe hier einen rötlichen Schimmer in der einen Ecke.«
»Ganz recht, Herr Assessor. Es wird Schminke sein. Die Tote war ja auch wie eine Theaterprinzessin fünften Ranges gekleidet – alles Schein und Schund!«
Harst entschuldigte sich, abermals gestört zu haben, und fuhr mit der Ringbahn bis Schmargendorf. Er hätte »sein« Tüchlein, das dem andern ja völlig glich,