Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

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Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel

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die ich gefunden habe, frei in der Luft. Aber ich halte sie bereits an dem einen Ende, und vielleicht kann ich sie sehr bald zu einem festen Gespinst vereinen, in dem dann eine mordgierige Wespe sich zu Tode zappeln wird. –

      Die Wagenfahrt tat ihm wohl. Seine Gedanken eilten jetzt voraus zu seinen Schwiegereltern. Es würde nicht ganz einfach sein, von diesen unauffällig die Auskünfte zu erlangen, die er haben mußte. Er wollte Mildens noch nicht in seine Absichten einweihen, obwohl er kaum mehr mit einem Fehlschlag rechnete.

      Er fand dann nur die Präsidentin vor. Doch das war ihm lieb. Er begann vom Wetter zu sprechen, erzählte dann, er hätte soeben einen Bekannten getroffen, der leider im Leben gestrauchelt sei. – »Es ist doch recht schmerzlich, wenn man sieht, wie ein Mensch, der einmal zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, immer tiefer von Stufe zu Stufe sinkt,« meinte er und redete all das zu einem bestimmten Zweck. »Ich kann solchen Leuten gegenüber nie hart sein, wenn sie mich anbetteln. Ein anderer hätte diese fragwürdige Bekanntschaft verleugnet und wäre weitergegangen. Ich bringe so etwas nicht fertig. Ich glaube, Marga glich mir auch in dieser Art von Mitgefühl, liebe Mama.«

      Er wartete gespannt auf die Wirkung dieses letzten Satzes. – Da, – die Präsidentin neigte ein wenig den Kopf, seufzte leise und meinte: »Marga ging in dieser Beziehung sogar etwas zu weit, lieber Harald. Wenn Du als Mann mit einer solchen fragwürdigen Erscheinung zusammengesehen wirst, macht das nicht viel aus. Aber ein junges Mädchen, das aus guter Familie stammt, hat mehr Rücksichten zu nehmen.«

      »Das klingt ja fast, als hätte Marga Euch gelegentlich durch ihr allzu weiches Herz kompromittiert, Mama –«

      »So ist es auch gewesen, Harald. Eine Pensionsfreundin von ihr ist später auf Abwege geraten – durch Genußsucht, Leichtsinn, Arbeitsscheu. Marga hatte gerade dieses Mädchen fast schwärmerisch während des Pensionsjahres in Gotha geliebt. Jene Claire Ruckser war Waise. Ihr Vermögen hat sie auf Reisen mit einem Abenteurer durchgebracht. Dann tauchte sie hier in Berlin auf, drängte sich an Marga heran, bettelte sie an. Marga ist einmal mit dieser auffällig gekleideten Person auf der Straße von Exzellenz von Winterstein gesehen worden. Oh – das gab dann eine böse Szene hier. Mein Mann war empört.«

      »Das liegt wohl längere Zeit zurück, liebe Mama?«

      »Nur drei Wochen, Harald.«

      Harst erinnerte sich jetzt, daß Marga ihm einst in ihrem Photographiealbum das Bild einer ihrer Pensionsschwestern gezeigt und dabei geäußert hatte: »Ein armes, unglückliches Geschöpf!« – Er hatte damals jedoch weiter kein Interesse für jenes Bild und jenes Mädchen gehabt.

      Er lenkte jetzt das Gespräch auf andere Dinge. Nachher ging er in Margas Zimmer hinüber und suchte sich aus den vielen Bildern des Albums dasjenige heraus, auf dem auf der Rückseite stand: »In ewiger, innigster Liebe – Deine Claire. Gotha, Weihnachten 19…« – Er steckte es zu sich und fuhr nach Hause.

      Frau Auguste wunderte sich, daß er beim Abendbrot so schweigsam war.

      »Hast du eine Enttäuschung bei Deinen Nachforschungen erlebt, mein Junge?« fragte sie nach einer Weile.

      Da glitt ein kurzes Aufleuchten über sein Gesicht. »Im Gegenteil, Mutter, – im Gegenteil! – Frage jetzt aber nicht nach Einzelheiten. – Ich bin nur nachdenklich, weil ich mich scheue, jene Lokale zu besuchen, in denen die Berliner Lebewelt dritter und vierter Güte sich trifft. Und doch werde ich’s tun müssen. Es geht nicht anders. Auch Karl wird wieder helfen müssen. Für mich allein ist die Arbeit zu umfangreich.«

      Sofort regte sich in dem treuen Mutterherzen die Angst um das Leben ihres Einzigen. »Harald, Harald,« warnte sie ernst, »laß Dich nur um Himmels willen nicht auf gefährliche Abenteuer ein! Ich weiß ja nicht, was Du eigentlich vorhast, aber – sei vorsichtig, ich bitte Dich!«

      Harst streichelte ihre Hand. »Keine Sorge! Das, was mich in jene Lokale führt, ist ganz gefahrlos.«

      Nach dem Abendessen bestellte er den Jungen zu sich und hatte eine lange Unterredung mit ihm, bei der er ihm das Bild Claire Rucksers zeigte und ihn auf die etwas starke Stupsnase, die großen Augen und die auffallend kurze Oberlippe aufmerksam machte.

      Karl war begeistert. »Herr Assessor, Sie sollen sehen: Ich bring’s heraus! Ich bin doch helle!«

      »Vermeide jedoch jedes unnötige Aufsehen, Junge. Und vergiß nicht: sobald Du den langen Hageren irgendwo bemerkst, sei besonders vorsichtig.« –

      In den Ballsälen des Nordens in der Chausseestraße wurde gerade ein moderner Wackeltanz von der Hauskapelle gespielt, als Karl den strahlend hell erleuchteten Saal betrat. Oben zwischen dem Kristallkronleuchter schwamm der Tabakrauch in dichten Wolken. Die Luft war erfüllt von Bier- und Weindünsten und einem Gemisch aller möglichen Wohlgerüche. Einige sechzig Paare schoben sich bald nach dem Takte der Musik über das gewachste Parkett hin.

      Der Junge in seinem vielfach geflickten Anzug mit dem umgehängten Korb voller Rosen sah ganz wie einer jener Blumenverkäufer aus, die unter dem Deckmantel eines armseligen Gewerbes doch nur Bettelei betreiben und gerade an diesen Stätten der Genußsucht und falscher Eleganz die besten Geschäfte machen. Nirgend fliegt das Geld ja leichter von Hand zu Hand als gerade hier.

      Karl schlich mit demütigem Gesicht von Tisch zu Tisch, bot seine Rosen an und wußte die geschminkte Weiblichkeit durch starke Schmeicheleien stets für sich einzunehmen. An jedem Tisch fand er mindestens eine Gönnerin, an die er sich dann stets leise mit derselben Frage wandte: »Kennen Sie vielleicht die Claire Ruckser? – Ein feiner Kavalier will sie gleich im Cafee Steuer sprechen.« – Dieses Verslein hatte er nun schon unzählige Male hergeleiert, und immer hatte dann die Gönnerin den anderen am Tisch Sitzenden zugerufen: »Wer von euch kennt eine Claire Ruckser?« – Bereits das fünfte Nachtlokal klapperte Karl nun schon auf diese Weise ab. Bisher ohne Erfolg. Harst hatte die heute Nacht zu besuchenden Tanzstätten und größeren Bars zwischen sich und dem Jungen verteilt und je einen Treffpunkt für 12 Uhr nachts und für 2 Uhr morgens mit ihm vereinbart.

      Er selbst hatte sich gegen zehn Uhr abends zunächst in ein Konzertcafee der oberen Friedrichstraße begeben. Hier forschte er sehr geschickt die Kellner aus, denen ja die Stammgäste in dieser Art von Lokalen zumeist mit Namen bekannt sind. Das Geld tat auch hier Wunder. Die Kellner erkundigten sich an verschiedenen Tischen, so daß Harst es nicht nötig hatte, selbst diese unangenehme Aufgabe zu übernehmen. – Zwei Cafees hatte er nun umsonst besucht. Das dritte, unweit der Ballsäle des Nordens gelegene, betrat er etwa um halb zwölf. Abermals spendete er den Kellnern je ein Zehnmarkstück und wartete nun, bei Eislimonade in einer Ecke allein sitzend, den Erfolg ab. Der Treppenaufgang zu den Billardsälen lag gerade vor ihm. Mit wachsamen Augen verfolgte er das Leben und Treiben in dem nur mäßig gefüllten, großen Raume. Auf der Treppe vor ihm erschien jetzt ein Kellner, dessen Gesicht ihm schon vorhin aufgefallen war. Er hatte diesen blassen, schielenden Menschen fraglos bereits irgendwo und –wann im Gerichtssaal gesehen. Als Angeklagten kaum, denn dann hätte er ihn sofort wiedererkannt. Also wohl als Zeugen. Der Schielende schlenderte der Drehtür des Ausganges zu. Harsts kritische Blicke stellten in den Bewegungen dieses krankhaft bleichen Menschen etwas gemacht Nachlässiges und Harmloses fest. Er hatte den Eindruck, als wollte der Kellner so recht zum Ausdruck bringen, daß er ganz von ungefähr und ganz ohne bestimmte Absicht der Tür zuschritt, hinter deren Radwindfang er nun verschwand. Harst stand auf, trat an das nahe Fenster und spähte an der Seite durch einen Vorhangspalt hindurch, sah den Schieläugigen mit fliegenden Frackschößen über die Straße laufen und war kaum zwei Minuten später hinter dem Manne drein, der seiner Überzeugung nach irgend etwas Besonderes im Schilde führte. Er besann sich jetzt auch, daß jener, als er ihm genau wie den anderen Kellnern zehn Mark heimlich zugesteckt und ihn gefragt hatte, ob ihm eine Claire Ruckser bekannt wäre, leicht zusammengefahren war, dann

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