Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

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Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel

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ich als Privatgelehrter und Schriftsteller Einsamkeit und unverfälschte Natur ringsum brauche. Ich bin ein Neffe des Grafen Lippstedt auf Schloß Szentowo, unverheiratet und halte mir nur eine bereits bejahrte Wirtschafterin. Mir ist nun vor zwei Wochen aus einem in die Wand meines Arbeitszimmers eingemauerten Stahlschränkchen ein Umschlag mit Familienpapieren verschwunden. Diese Papiere sind für mich sehr wertvoll –« Er ließ sich nun des längeren über diesen Diebstahl aus und schloß dann mit den Worten: »Ich nehme an, Sie werden infolge der Wette und Ihrer ersten Aufgabe sehr bald nach Szentowo reisen. Dürfte ich erfahren, wann und ob Sie eine Verkleidung benutzen werden? – Ich möchte eben rechtzeitig heimkehren, damit ich Ihnen alles an Ort und Stelle nochmals erklären könnte.«

      »Morgen abend fahre ich, Herr von Blenkner. Eine Verkleidung halte ich für überflüssig. Ich bin auch gern bereit, mich mit Ihrer Angelegenheit zu beschäftigen. Haben Sie schon anderweit Hilfe in Anspruch genommen?«

      »Nein – nein, – ich habe sogar die ganze Sache bisher verschwiegen, weil ich – weil ich selbst versuchen wollte, den Dieb zu entdecken.«

      »Wo wohnen Sie hier? – Vielleicht reise ich doch erst einige Tage später. Ich möchte Sie dann benachrichtigen.«

      »Ich bin seit einer Woche in Berlin und im Fremdenheim Menkwitz am Schiffbauerdamm abgestiegen.«

      »Ah – und dort haben Sie wohl beim Morgenkaffee den Bericht in der Zeitung gefunden und werden sicherlich den Kopf über die etwas ungewöhnliche Wette geschüttelt haben,« lächelte Harst liebenswürdig.

      »Ganz – ganz recht. Beim Morgenkaffee – Hm – Ihre Wette ist nicht ganz ungefährlich, Herr Harst. Mir ist ebenfalls zu Ohren gekommen, daß zwei Herren, die in Szentowo –« »Oh, das steht ja alles hier in der Zeitung, Herr von Blenkner – Können Sie mir sonst etwas angeben, was diese Lichterscheinungen anbetrifft und was dieser Artikel nicht enthält?« – »Bedauere. Ich habe mich gehütet, mich mit der Sache näher zu befassen. Ich will gern noch ein paar Jahre leben.« Er erhob sich und verabschiedete sich kurz. Als er gegangen war, meinte Harst zu dem ehemaligen Komiker:

      »Bitte, nehmen Sie Papier für einen Rohrpostbrief und schreiben Sie. – Anschrift: An Herrn von Blenkner, Schiffbauerdamm, und so weiter. – Sehr geehrter Herr! Da Herr Harst keine Zeit unnötig verlieren möchte, hat er sich entschlossen, doch schon heute abend abzureisen. Sobald seine Arbeit in Szentowo erledigt ist, wird er sich bei Ihnen in Malchin einfinden. Mit vorzüglichster Hochachtung – im Auftrage des Herrn Harst –« – Hier machte Harst eine Pause, sagte dann: »Sie müssen nun doch umgetauft werden, Schraut. Denn diesen Ihren wirklichen Namen dürfen Sie als mein Privatsekretär nicht mehr führen. Hier bei uns im Hause war das ungefährlich. Meine Mutter und unsere alte Köchin, die ich nun beide in Ihre Verhältnisse eingeweiht habe, sind ebenso verschwiegen wie unser kleiner Bundesgenosse Karl Malke, der für seine fünfzehn Jahre überhaupt ein fast zu frühreifer Charakter – dies nur in gutem Sinne gemeint – ist. – Wie wär’s, wenn wir Sie in Max Schüler umtauften? Meine Mutter ist eine geborene Schüler, und ihr jüngster auf See verschollener Bruder, von dem wir noch verschiedene Legitimationspapiere besitzen, hieß mit Vornamen wie Sie – Max. – Also gut: – Max Schüler fortan! Sie sind ja schließlich auch mein Schüler, wollen sich in die Geheimnisse der praktischen Kriminalwissenschaften einweihen lassen. Unterzeichnen Sie den Brief an Blenkner also: Schüler, Privatsekretär. – Nun – wie hat Ihnen dieser Privatgelehrte gefallen? – Ganz sympathische Erscheinung. – Sie schütteln den Kopf? – Ganz richtig – ein wenig hochmütig und selbstbewußt. Aber auch – nicht ganz wahrheitsliebend, scheint mir!«

      »Woraus entnehmen Sie letzteres, Herr Harst?« fragte der neu erstandene Max Schüler erstaunt. »Und – weshalb sollte er Sie wohl zu belügen versucht haben?!«

      Harst stand auf, zog seinen eleganten Hausrock aus und erwiderte: »Er sagte, er wäre – »sofort, ohne Zögern –« hierher geeilt. Er betonte also, wie er auf der Stelle ohne sich lange zu bedenken, sich auf den Weg gemacht hätte. Er ist ein gebildeter Mann, Schriftsteller, von dem man annehmen muß, daß diese Häufung von Ausdrücken – »sofort, ohne Zögern« – kein sprachliches Ungeschick gewesen, sondern bewußt geschehen ist. – Wir haben jetzt genau zehn Uhr. Wissen Sie, was vor zweieinhalb Stunden sich ganz unvermutet ereignete?«

      »Ah – Sie meinen die eine Wolke, die uns einen kurzen, aber heftigen Regenguß brachte, Herr Harst, – nicht wahr?«

      Harald Harst nickte. »Den Regen meine ich, ganz recht. – Haben Sie nun bemerkt, daß Blenkners Lackstiefel recht beschmutzt waren?«

      »Allerdings nicht. Ich gab darauf nicht acht –«

      »Sie hätten es tun sollen. Die Stiefel deuteten ja gerade darauf hin, daß er ein wenig mit diesem »sofort ohne Zögern« geschwindelt hat.«

      »Jetzt verstehe ich, Herr Harst. Die Regenfeuchtigkeit hätte auf den Straßen durch die Sonne längst beseitigt gewesen sein müssen, wenn er – er traf hier gegen halb zehn ein – wirklich erst sagen wir um neun das Pensionat verlassen haben würde, um zu uns zu kommen.«

      »Sie entwickeln sich, lieber Schüler. – Ich behaupte nun sogar, Blenkner ist von dem Regen hier ganz in der Nähe überrascht worden, hat dann, da er ohne Schirm war, im Laufschritt einen Unterschlupf gesucht und sich nachher in unserer Nachbarschaft noch etwa zwei Stunden herumgedrückt, ehe er sich entschloß, mich aufzusuchen.«

      Max Schraut-Schüler machte ein verdutztes Gesicht. Harst lächelte unmerklich, ging ins Schlafzimmer und kam fertig zum Ausgehen zurück.

      »Ich habe Arbeit für Sie,« meinte er und füllte beide Fächer seiner Zigarrentasche. »Sie könnten mal sofort im Fremdenheim Menkwitz kurze Freundschaft mit einem der weiblichen dienenden Geister unter Zuhilfenahme eines Zehnmarkscheins schließen und feststellen, wann Blenkner heute ausgegangen ist. Er interessiert mich nämlich mehr als Sie ahnen, lieber Schüler. Er glaubte, er hätte es hier mit – Dummen zu tun. Wir wollen ihm das Gegenteil beweisen. Wer mich in zwei Punkten faustdick belügt, führt irgend was im Schilde und ist alles andere nur kein Ratsuchender. – Ich sage: in zwei Punkten. Nummer eins ist das »sofort, ohne Zögern«. Nummer zwei aber die Geschichte von den gestohlenen wertvollen Familienpapieren. – Ist Ihnen hierbei nichts aufgefallen? – Nein?! – Aber ich bitte Sie! Wenn Ihnen etwas Wichtiges gestohlen wird, werden Sie dann vierzehn Tage untätig bleiben, bis Ihnen zufällig der Name eines bisher ganz unbekannten Liebhaberdetektivs aufstößt?! Gibt es nicht hier in Berlin Privatdetektive von Weltruf? Wird da ein vernünftiger Mensch ausgerechnet auf Harald Harst und den Zeitungsbericht über die Millionenwette warten? – Guten Morgen, auf Wiedersehen.«

      Harst ließ den sehr nachdenklich gewordenen ehemaligen Komiker allein und verließ das Haus, ging dann nach rechts die Blücherstraße, diesen noch wenig bebauten Straßenzug des Vorortes Schmargendorf, hinunter und betrat bald durch die Tür des Bauzaunes ein halbfertiges Gebäude, sprach hier mit einigen Ziegelträgern und schenkte jedem zwei Zigarren. Dann benutzte er das nächste freie Auto zur Fahrt nach dem Zeitungspalast des verbreitetsten Blattes der Reichshauptstadt.

      2. Kapitel

       Schraut wird noch klüger

       Inhaltsverzeichnis

      Halb zwölf abends. – Den Wartesaal 3. Klasse des Stettiner Bahnhofs in Berlin betrat ein recht bescheiden gekleideter buckliger Mann, der außer einem großen Pappkarton noch einen Violinenkasten trug. Er setzte sich in eine Ecke, bestellte ein Glas Bier und sog an seiner Zigarre, die längst ausgegangen war. Dabei überlegte er so allerlei. – Daß Harst erst später ihm nach Szentowo folgen wollte

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