Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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wollte nicht in der Gaststube sitzen. Er fragte den Wirt, der in der Haustüre stand, ob nicht ein Nebenzimmer da sei. Der Wirt nickte.

      Der Raum lag neben der Gaststube, die Verbindungstüre stand offen. Drüben war es ziemlich laut, ein Summen von vielen Stimmen, darüber wogten Melodiefetzen, die der Lautsprecher spuckte (Gut, ist er eingeschaltet, dachte Studer); dann sagte eine Stimme: »Fünfzig vom Trumpfaß mit Stöck und Dreiblatt vom Nell…« Bewundernde Ausrufe wurden laut. Dann sagte die gleiche Stimme: »Und Matsch…«

      Der Tonfall dieser Stimme erinnerte Studer an irgend etwas. Er kam aber erst darauf, als der Ansager sich im Radio meldete: »Sie hören nun zum Schluß unseres Unterhaltungskonzertes…« Ja, der Ansager sprach hochdeutsch, aber sein Tonfall, seine Art zu sprechen, glich der Stimme, die den unerhörten ›Wiis‹ proklamiert hatte…

      Die Wirtin brachte den Grog, sie setzte sich zu Studer, fragte, wie es gehe, ob die Untersuchung Fortschritte mache, nach ihrer Meinung sei natürlich der Schlumpf der Verbrecher. …Aber da seien eben noch andere daran schuld, daß solche Verbrechen in einem stillen Dorf, wie Gerzenstein passieren könnten…

      Es war gespenstisch. Die Wirtin redete und Studer hatte den Eindruck, das Gritli Wenger jodeln zu hören. Und als der Wirt auch noch dazu kam (viel jünger schien er als seine Frau, er hatte O-Beine und war, wie sich später herausstellte, Dragonerwachtmeister), ja, als der Wirt zu sprechen begann, hatte er wahr und wahrhaftig die Stimme des Konditorkomikers Hegetschweiler.

      Wo hatten die Leute ihre Stimmen gelassen? Waren sie vom Radio vergiftet worden? Hatten die Gerzensteiner Lautsprecher eine neue Epidemie verursacht? Stimmenwechsel?

      Da, da war es wieder…

      Draußen beklagte sich einer, er habe nichts mehr zu trinken, und er sprach diese einfachen Worte in so singendem Tonfall, daß Studer meinte, den Schlager zu hören: ›Ich hab' kein Auto, ich hab' kein Rittergut…‹

      Der Wachtmeister trat vorsichtig an die Verbindungstür, er hielt sich ein wenig hinter dem Pfosten versteckt und übersah den Raum.

      Am Tisch, an dem er zu Mittag gegessen hatte, saßen vier Männer. Am auffälligsten war einer, der sich in die Ecke gedrückt hatte. Es war ein schwerer, dicker Mann. Ein grauer Katerschnurrbart starrte stachelig über seiner Oberlippe, das Gesicht war rot und lief nach oben spitz zu, das Kinn war in Fettfalten eingebettet. Der Kopf glühte, in die Stirne fiel eine einsame, braune Locke.

      Wer der Mann dort sei, fragte Studer leise die Wirtin.

      Der mit dem spitzen Gring? Das sei der Aeschbacher, der Gemeindepräsident. Studer lächelte, er mußte an den alten Ellenberger denken und an seine kurze, aber treffende Charakterisierung: eine Sau, die den Rotlauf hat… Es stimmte aber doch nicht ganz, dachte Studer bei sich. Der Aeschbacher hatte merkwürdige Augen, sehr, sehr merkwürdige Augen. Verschlagen, gescheit… Nein, ein zweitägiges Kalb war der nicht!

      Der Gemeindepräsident hatte als Spielpartner einen Mann, der statt eines Kopfes einen hellgelben, riesigen Badeschwamm zu tragen schien. Studer sah den Mann nur von hinten, jetzt hörte er aber auch dessen Stimme,

      »Ich muß leider, leider schieben…«

      Es war die Stimme, die sich vorher beklagt hatte, es sei nichts mehr zum Trinken da, die Stimme, die wie die eines Coupletsängers klang.

      »Und wer spielt mit dem Gemeindepräsidenten?« fragte Studer.

      »Das ist der Lehrer Schwomm.«

      »Der hat seinen Namen verdient«, dachte Studer. Das blonde Haar war gekräuselt. Der Mann trug einen hohen steifen Kragen, sein dunkler Rock war sicher nach Maß gearbeitet… Studer sah noch die Hände. Die Härchen darauf schimmerten im Lampenlicht.

      An einem anderen Tisch saßen vier junge Burschen – Armin Witschi war dabei und der Coiffeurgehilfe Gerber, die beiden andern waren erst halberwachsen, sie hatten noch Flaum auf den Wangen und ihre Hosen waren zu kurz. Jetzt, da sie saßen, endeten sie in der Mitte der Waden –, auch sie spielten. Eben hatte der Lautsprecher verkündet:

      Sie haben soeben als Schluß unseres Abendkonzertes gehört…

      Niemand blickte auf. Die Stimme fuhr fort: »Bevor wir Ihnen nun die Wettervoraussage mitteilen, haben wir Ihnen noch eine Bekanntmachung der kantonalen Polizeidirektion zu übermitteln: Es handelt sich um den heute mittag als vermißt gemeldeten Jean Cottereau, Obergärtner in den Baumschulen Ellenberger…« Studer kannte die Mitteilung, in Bern hatten sie sich beeilt, sie durchzugeben. Nun war er neugierig, wie sie wirken würde.

      »Der Mann ist zurückgekehrt. Er hat weder über seine Angreifer noch über die Ursache seiner Entführung genauere Mitteilungen machen können, jedoch ist Wachtmeister Studer, der mit den Ermittlungen über den schon gemeldeten Mordfall in Gerzenstein betraut ist, der Meinung, daß besagter Mordfall in engem Zusammenhang mit der Entführung des Obergärtners Cottereau und der Verletzung des Herrn Ellenberger steht. Personen, die Näheres über diesen Fall wissen, werden gebeten, sich auf dem Landjägerposten Gerzenstein zu melden oder der kantonalen Polizeidirektion telephonische Mitteilung über ihre Wahrnehmungen zu machen.«

      Pause.

      Studer war unter die Tür getreten und beobachtete die Wirkung der Worte.

      Die vier jungen Burschen schienen erstarrt. Auf dem Jaßdeckli lag der letzte Stich, fast in der Mitte, vier Karten übereinander, aber keine Hand regte sich, um den Stich zu kehren. Die Kartenfächer hielten sie gegen die Brust gepreßt.

      Am Tisch des Gemeindepräsidenten schien niemand weiter erschüttert. Das Spiel war eben frisch gegeben worden. Aeschbacher hielt sein Kartenpäckli in der Hand, die andere Hand stützte den riesigen roten Kopf. Der Mund war leicht verzogen, der Schnurrbart sträubte sich. Der Lautsprecher fuhr fort:

      »Wahrscheinlich wird die zuständige Staatsanwaltschaft eine Be…«

      Aeschbacher winkte und sagte mit der Stimme, die große Ähnlichkeit mit der des Ansagers hatte:

      »Ich habe genug von dem Geschnörr, abstellen!«

      Nur auf diesen Befehl schien die Saaltochter gewartet zu haben. Ein Knacken. Stille.

      Die Holztische schimmerten hell, frisch gescheuert, die Spieldecken zeichneten schwarze Rechtecke darauf. Auf den Literkaraffen spiegelte sich der gelbe Schein der zwei Deckenlampen. Deutlich hörte Studer das Anstreichen eines Zündholzes an der gerillten Fläche des porzellanenen Aschenbechers. Gemeindepräsident Aeschbacher zündete seinen erloschenen Stumpen an, dann sagte er laut in die Stille:

      »Bringet den Burschen dort einen Liter Roten auf meine Rechnung…«

      Murmeln am Tisch Armin Witschis:

      »Merci, Herr Gemeindepräsident, dank au…«

      Dann begann sich die Gruppe wieder zu bewegen. Auch das war ein wenig gespenstisch. Es sah aus, als werde bei Automaten ein Schalter gedreht. Sie begannen plötzlich die gewohnten Bewegungen, die Kartenfächer hoben sich vor die Augen, die Karten fielen auf den Tisch.

      Aufgereckt an seinem Platz saß Aeschbacher. Immer noch hielt er das Kartenpäckli in der Hand. Sein Blick war starr auf die Gruppe der spielenden Burschen gerichtet, so, als ob er sie zwingen wolle, in seine Richtung zu blicken.

      Aber die Burschen waren ins Spiel vertieft. Die Saaltochter trat zu ihnen, sie drückte

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