Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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Das gehe ihn nichts an, antwortete Studer mürrisch. – Ob dem Dr. Laduner etwas passiert sei? – Nein, er sei ein wenig sturm, sonst nichts.

      Der Mann atmete auf, wie erlöst. Aber als Studer ihn fassen wollte, um ihn weiter auszufragen, war der Mann in einem dunklen Seitengang verschwunden, und auch er mußte Finken tragen, denn seine Schritte waren unhörbar…

      Studer wusch Dr. Laduners Wunde aus, verband sie mit seinem sauberen Taschentuch. Dann führte er ihn vorsichtig über den Hof, die Treppen hinauf…

      Es war günstig, daß der Nachtwächter schon seine Runde gemacht hatte.

      Im Türmchen der Anstalt schlug der Hammer vier Schläge und dann, kaum süßer, noch drei Schläge. Der letzte hallte scheppernd nach.

      »Aber Ernscht!« sagte Frau Laduner vorwurfsvoll. Sie trug ihren roten Schlafrock. Studer half ihr, Dr. Laduner ins Bett zu legen. Dann empfahl er sich und wünschte gute Nacht. Es freute ihn, daß Frau Laduner ihm dankbar nachblickte…

      In seinem Zimmer angekommen, mußte er plötzlich an die Szene in der Erziehungsanstalt des Herrn Eichhorn in Oberhollabrunn denken.

      Es schien manchmal doch mit Gefahren verbunden zu sein, Proteste ablaufen zu lassen, dachte er. Und ganz verschwommen sah er zum erstenmal etwas, das, übertragen, einem Fadenende glich; jenes Ende des Fadens, das man braucht, um ein Gewirr aufzudröseln… Aber er konnte es noch nicht fassen… er sah seine Farbe, weiter nichts… Vielleicht war auch sein schlafsturmer Kopf an diesem Versagen schuld…

      Sonntägliches Schattenspiel

       Inhaltsverzeichnis

      Es war günstig, daß Dr. Laduner an diesem Sonntag keinen Dienst hatte. So konnte er im Bett bleiben und seinem schmerzenden Kopf Ruhe gönnen. Zwar auch Studers Kopf brummte, aber die Spannung, das Interesse an der Anstalt Randlingen war stärker als die Migräne, die ihn plagte… Donnerstag, Freitag, Samstag – drei Tage… Man mußte zu einem Ende kommen. Sonst – sonst kam man auch unter die Herrschaft Mattos.

      Studer dachte an den Traum der letzten Nacht, als er gegen zehn Uhr früh über die Abteilungen spazierte. Die Visite war schon vorüber, wie er erfuhr. Die baltische Dame hatte im Laufschritt die Abteilungen passiert. Studer hatte ihre Rückkehr gesehen, als sie allein, in weißwehendem Mantel, über den Hof in den Mittelbau galoppiert war…

      Nun stand er im K, in der Abteilung, in der jene lagen, die nicht nur am Geiste, sondern auch am Körper krank waren. Und Studer suchte nach dem Pfleger Knuchel, dem Dirigenten der Randlinger Blasmusik, der ja auf dem K Dienst tun mußte. Er wußte nicht, warum er ihn suchte, warum er ihn zu sehen begehrte, aber es war ihm, als müsse er mit dem Mann sprechen, um mit ihm die Schuld zu teilen, die er sich zumaß am Tode des kleinen rothaarigen Gilgen…

      Die Patienten, die in den Betten lagen, waren meist sehr still. Sie blickten mit großen, leeren Augen zur Decke, nur in einer Ecke lag einer, der mit zahnlosem Munde immer die gleichen Worte plapperte: »Zweihunderttausend Rinder, zweihunderttausend Schafe, zweihunderttausend Pferde, zweihunderttausend Franken…«

      Die Zahl zweihunderttausend…

      ›Zweihunderttausend Männer und Frauen…‹ hörte Studer, und es war ihm ungemütlich zumute.

      Gerade als der Wachtmeister auf den Pfleger Knuchel zutreten wollte (er erinnerte sich jetzt, daß er ihn schon auf der großen Visite gesehen hatte, es war jener gewesen, den Dr. Laduner abgekanzelt hatte), entstand Geräusch und Füßescharren draußen im Gang. Räuspern. Dann stimmten Frauenstimmen einen Choral an.

      Studer trat auf den Gang. Es waren drei alte Fräulein, die vierte war jünger und trug eine Gitarre, auf der sie eine einfache Begleitung spielte…

      Sie sangen mit schleppernden Stimmen vom Himmelreich und seinem Glanz und von der Sünder Seligkeit. Der Pfleger Knuchel mit dem breiten Kinn und den Wulstlippen stand in der Türe zum Krankensaal und hatte ein einfältiges Lächeln um den Mund… Vielleicht war das Lächeln auch fromm. Das jüngere Fräulein stimmte die Gitarre, präludierte. Eine frischfröhliche Weise, die sich gar sonderbar ausnahm, gesungen von den verwelkten Lippen:

      »Die Sach' ist dein, Herr Jesus Christ…«

      Und dann wandte sich eines der alten Fräulein an Studer:

      »Die armen Kranken«, sagte sie, »man muß den armen Kranken auch eine Freude bereiten. Sie haben sonst gar keine Abwechslung!…«

      In seiner Ecke hinten zählte der Kranke immer noch seine Rinder-, Pferde- und Schafherden… Er hatte dem Gesang nicht zugehört… Und die andern starrten zur Decke und sabberten auf ihre Leintücher. Die Fräulein verfügten sich eine Abteilung weiter, um andere Seelen zu erquicken…

      »Das ischt werktätiges Christentum«, sagte der Pfleger Knuchel dessen Hemdkragen von einem kupfernen Klappknopf zusammengehalten wurde… »Die Ärzte mit ihrer Wissenschaft!« sagte er verächtlich. »Nichts für die Seele, nichts für den Geischt… Arbeitstherapie!… Ich habe einmal versucht, am Abend regelmäßige Bibelstunden einzuführen, aber da hat mich Dr. Laduner bös angefahren… Er habe nichts gegen die Religion, hat er gesagt, aber was hier in der Anstalt von Wichtigkeit sei, das sei, daß die Patienten lernten, der Wirklichkeit furchtlos ins Auge zu schauen…«

      Der Pfleger Knuchel sprach wie ein Sektenprediger. Studer hatte einmal solch eine ›Stunde‹ besucht, aus beruflichen Gründen, ein kleiner Hochstapler hatte sich bei den Leuten angebiedert, und fünf Kantone suchten ihn wegen Diebstahls und Betrugs… Studer kannte die Worte des Liedes, er kannte seine Melodie… Harmlose Leute, die in diesen ›Stunden‹ verkehrten, stolz auf das, was sie ihr Christentum nannten – und es erlaubte ihnen, auf andere Leute selbstgerecht herabzublicken…

      »Aber«, sagte Studer, »mit dem Gilgen habt ihr euch nicht gerade anständig benommen… Nicht einmal christlich…«

      Ein starrer Zug trat in Knuchels Gesicht. Er erwiderte: »Das weltliche Tun muß ausgerottet werden… Ich bin nicht kommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert…« zitierte er. Und Studer fragte sich, ob man den Klatsch wirklich ein Schwert nennen könne…

      Wieder veränderte sich Knuchels Gesichtsausdruck, er wurde süßlich, ein gütig sein sollendes Lächeln entstand um seinen Mund: »Wer nicht hören will, muß fühlen…« sagte er. »Nur an der Religion kann unsere Welt genesen, und ich predige den guten Geist, aber wenn sie meinen Heiland verspotten«, sagte er und runzelte die Brauen, »dann muß man sie züchtigen mit eisernen Ruten…«

      Armer, kleiner Gilgen mit seiner kranken Frau und seinen Schulden und seinem ganzen traurigen Leben! Ein Mensch immerhin, der an etwas geglaubt hatte, der den Patienten Trost spendete und einem Erregten im Bade Geschichten erzählte, die der Kranke nicht verstand, aber die beruhigend wirkten…

      Nicht sentimental werden! Aber es war nicht zu verhindern, daß man von Anfang an den kleinen Gilgen, der mit Fünfzig vom Schaufelaß schob, gern gemocht hatte, und daß man mitschuldig war an seinem Tod. Übrigens, warum hatte er sich zum Fenster hinausgestürzt? Wegen des Diebstahls? Chabis! Es war gar nicht erwiesen, daß der kleine Gilgen einen Diebstahl in der Verwaltung begangen hatte… Es steckte anderes dahinter… Warum hatte man den undeutlichen Eindruck, Gilgen habe jemanden decken wollen, er habe Angst gehabt, jemanden zu verraten, und sei deshalb zum Fenster hinausgesprungen?… Dieser Selbstmord wirkte wie eine heroische Geste… Furcht

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