Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Alle sind sie nun schon, die großen Verkannten des vorigen Jahrhunderts, in der Sicherheit ihres Ruhmes geborgen. Wie lange soll der Eine noch im Vorhof stehen, der die Seele seines Volkes am männlichsten und zartesten gesungen hat? Soll dieses heldische Leben nicht endlich in seinem ganzen Umfang unserem Deutschland zugute kommen? Ich habe getan, was meines Amtes war, indem ich die menschliche Persönlichkeit in dem »Leben meines Vaters«6 festhielt, das eigentlich Literarhistorische der Fachwissenschaft überlassend. Die beiden obengenannten Monografien von Heinz Kindermann haben dem Literaturforscher und dem Übersetzungskünstler Hermann Kurz zu seinem Recht verholfen. Eine Zusammenfassung der künstlerischen Gesamterscheinung als Dichter, Forscher, Verdeutscher steht noch aus. Wann wird der Berufene kommen und den noch unübersichtlich daliegenden Erzkoloß zu seiner ganzen majestätischen Größe aufrichten?
1 Die vielen Ausrufe sind Zigeunerstil. <<<
2 Dass es eine Grille Mörikes war, die diesen bedauerlichen Umstand veranlasste, ist in meiner Hermann-Kurz-Biografie vermerkt. – A. d. V. <<<
3 Geschrieben 13. Nov. 1919 <<<
4 Ich teile auch diese geistreiche Bemerkung mit, weil sie so unübertrefflich den Gegensatz zwischen der liebeleeren scharfspähenden Kunst des großen französischen Naturalisten und dem breiten, ganz in Liebe getauchten Pinsel des seherischen deutschen Menschenschinders ausdrückt. Darum ist Maupassant auch nur in seinen köstlichen kleinen Ausschnitten aus dem Leben der unsterblichen Erzähler; wo er die Weite des Menschendaseins im Roman darstellen will, da scheitert er jämmerlich und – langweilig. <<<
5 Selbst diesem gründlichsten Forscher ist noch eine übersetzerische Leistung meines Vaters entgangen, die zwar keinem ernsten oder bedeutenden Gegenstand gewidmet ist, aber doch ein weiteres Mal Zeugnis ablegt für die unvergleichliche Schmiegsamkeit und Spannkraft seiner Sprachkunst. Ich meine die zehn Canzonen des Boccaccio, die in den Decamerone eingeflochten sind und die dem ersten vollständigen Boccaccioübersetzer Gustav Diezel wegen ihrer großen Schwierigkeit so misslangen, dass er bei der dritten Auflage seiner Übersetzung (1855) meinen Vater zu Hilfe rief, der dann auch mit gewohnter Meisterschaft die aus der bequemen Reimfülle und dem beweglichen Satzbau des Italienischen geborenen Lieder mit all ihrer spielerischen Grazie in unserer so reimarmen und an eine starre Syntax gebundenen Sprache wiedergab. <<<
6 Vormals: »Hermann Kurz, ein Beitrag zu seiner Lebensgeschichte« <<<
Fünftes Kapitel – Noch einmal die Jugendstadt
Als ich im Jahr 1918, kurz vor dem Zusammenbruch Deutschlands, die Denkwürdigkeiten »Aus meinem Jugendland« schrieb, da lag über jenen frühen Tagen in meiner Erinnerung ein Schein, der nur um so goldener aus der rings umgebenden, noch von ihren letzten Vernichtungsblitzen durchzuckten Weltnacht glänzte. Ich hatte keineswegs die Absicht, meine Frühzeit erschöpfend zu schildern, sondern nur aus dem farbigen Bilderbuch meiner Jugend bald dieses, bald jenes bedeutsamere Blatt herauszunehmen, das außer mir nur noch wenige kannten und das ein paar Jahre später ich selber nicht mehr imstande gewesen wäre, mit Sicherheit in meiner Erinnerung wiederherzustellen. Weislich nannte ich das Buch »Aus meinem Jugendland«, um anzudeuten, dass es nicht das Ganze, sondern nur ein Ausschnitt war, und ich hatte mir dazu die lichtesten, farbenfrohsten Stücke ausgesucht; die dunklen, leidvollen ließ ich versinken: ich hatte für meinen Zweck nicht nötig, ihren nachwirkenden Spuren in meinem Schicksal nachzugehen. Wer dieses sonnige Gegenstück nicht kennt, wird geneigt sein, einen Lebensmorgen, wie ich ihn auf den vorangegangenen Blättern dargestellt habe, für etwas sehr Beklagenswertes zu halten; wer es kennt, dürfte sich vielmehr über den Widerspruch der Auffassungen verwundern. Und doch sind beide Bilder wahr, das sonnige und das düstere, sie waren sogar gleichzeitig vorhanden und lagen so übereinandergeschichtet, Gewitterhimmel und Sonnenlandschaft, dass eines durch das andere hindurchschien. Nur dass ich in meiner Darstellung die Schatten lichtete, besonders die unbegreiflichen, über dem Verhältnis des Kindes zu dem umgebenden Spießertum lastenden. Bei Abfassung des Buches stand mir ja mein Jugendfreund Ernst von Mohl, der nach vierzigjähriger Trennung als geadelter russischer Staatsrat zurückgekehrt war, mit seinem vorzüglichen Gedächtnis zur Seite. Ich habe diesem Treuesten der Treuen, dessen Leben sich auch aus der weitesten Ferne durch alle die Jahrzehnte wie ein immer frischer Kranz um das meinige schlang, ein eigenes Büchlein »Ein Genie der Liebe« gewidmet, daher auf diesen Blättern nicht mehr viel von ihm die Rede sein kann, weil alles schon gesagt ist. Unter der wärmenden Bestrahlung dieses liebenden Herzens wandelte sich alles gemeinsam Erlebte ins Festlich-Fröhliche: ihm war es für immer der Höhepunkt seines Daseins und eine heilig-schöne Erinnerung. Es hätte ihn geschmerzt, aus meiner Feder zu lesen, wie viel Bitteres für mich mit den ihm so strahlenden Tagen verknüpft war. Vor allem aber war, was mir einst Leides geschehen, längst schon ehrenvoll gesühnt. 1913, zu der glänzenden Hundertjahrfeier meines Vaters in Stuttgart, für die ich den Prolog dichtete, hatte Tübingens philosophische Fakultät ihren Dekan, den Literaturforscher und Herausgeber der Werke meines Vaters, Hermann Fischer, dorthin entsandt, mir feierlich in Gegenwart des Königspaares das Doktordiplom honoris causa als erster Frau, der von dieser strengen Stelle her solche Ehre widerfuhr, zu überreichen. Die Dinge waren völlig verschoben. Meine Widersacher und Widersacherinnen waren tot, vergessen, zum Teil wohl auch bekehrt, weil die Zeitentwicklung längst die Wege ging, auf denen man zuvor nur mich gesehen hatte. Dem Frauenstudium standen alle Hörsäle offen, Körperpflege, Körperübungen waren nicht mehr verfehmte, vom Bösen eingegebene Dinge, sie galten als schmückende Vorzüge, bevor sie gar wie heute zu einem Pflichtfach