Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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und sei­ne Toch­ter im Grie­chi­schen un­ter­rich­ten zu dür­fen. Ich sehe noch mei­nen Va­ter, wie er den Brief auf den Fa­mi­li­en­tisch legt und lä­chelnd sagt: Da seht ihr zu, was ihr mit ihm ma­chen wollt. Der schlim­me Al­fred be­mäch­tig­te sich gleich der Ver­se, um sie mit Em­pha­se vor­zu­le­sen, weil sie Was­ser auf sei­ne Müh­le wa­ren. Die über­schweng­li­chen Prä­di­ka­te, die mir in Vers und Pro­sa bei­ge­legt wa­ren und sich zu der Be­zeich­nung die »Blaus­ei­de­ne« ver­stie­gen – ein kühn ge­fun­de­nes Wort, weil ich gar kein blaus­ei­de­nes Kleid be­saß –, ga­ben ihm ein will­kom­me­nes Stich­blatt, mit dem er mich wie­der ein­mal eine Zeit lang grim­mig la­chend ver­fol­gen konn­te.

      Der Jüng­ling durf­te kom­men, denn ich sehn­te mich nach der Spra­che mei­ner Göt­ter, die mir da­mals noch un­be­kannt war. Al­lein der Arme er­reg­te gleich durch sein zer­wühl­tes Aus­se­hen und sei­ne star­ren Bli­cke ein pein­li­ches Be­dau­ern, dass auch Al­fred die schlech­ten Wit­ze ver­gin­gen. Er war der Sohn ei­ner al­tan­ge­se­he­nen Theo­lo­gen­fa­mi­lie, die einen poe­ti­schen Ein­schlag hat­te, was bei schwä­bi­schen Pfar­rern kei­ne Sel­ten­heit war. Eine viel­leicht zu eng­her­zi­ge re­li­gi­öse Er­zie­hung moch­te ihn in Ge­wis­sens­zwie­spalt mit den Mäch­ten der ir­di­schen Na­tur ge­bracht ha­ben, wo­durch er in re­li­gi­öse Zwei­fel und Wahn­vor­stel­lun­gen stürz­te. Die Fol­ge war ein Selbst­mord­ver­such, wo­von er die schau­er­li­chen Spu­ren an den Hand­ge­len­ken trug. Mei­ne Brü­der nah­men sich sei­ner an und such­ten sei­ne phi­lo­so­phi­sche Un­ru­he mit ih­ren jun­gen na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Waf­fen zu be­kämp­fen. Mir schrieb er lan­ge, von Geis­tes­zer­rüt­tung ein­ge­ge­be­ne Brie­fe, worin er Gott sei­nen ärgs­ten Feind nann­te und sich ver­maß, mit der Schön­heit durch die Höl­le zu tan­zen. Sein We­sen wur­de mehr und mehr un­heim­lich. Von Grie­chisch war na­tür­lich kei­ne Rede, und die Brü­der ga­ben wohl acht, ihn nie mit Mut­ter und Schwes­ter al­lein zu las­sen. Ei­nes Abends aber be­rei­te­te er uns einen hef­ti­gen Schre­cken. Die Brü­der wa­ren frü­her als sonst aus­ge­gan­gen, der Va­ter wohn­te ein Stock­werk hö­her und teil­te un­se­re Mahl­zei­ten nicht, da­her sa­ßen wir bei­den Frau­en al­lein an dem eben ab­ge­speis­ten Tisch. Ab­sperr­ba­re Gang­tü­ren gab es da­mals nicht im Hau­se, ein Klop­fen an der Tür, und der Be­such stand im Zim­mer. Er be­nütz­te die Ge­le­gen­heit, mir in ei­ner lan­gen, of­fen­bar vor­be­rei­te­ten aber durch­ein­an­der­ge­kom­me­nen Rede zit­ternd und stam­melnd Herz und Hand an­zu­tra­gen. Ob­gleich töd­lich er­schro­cken, fand ich doch, da er beim Re­den zu Bo­den blick­te, die Mög­lich­keit, mit schnel­lem Griff al­les Schnei­den­de und Ste­chen­de vom Tisch zu ent­fer­nen, und ant­wor­te­te mit gleich­falls vie­len, mög­lichst ver­schwom­me­nen Wor­ten un­ge­fähr im Sin­ne des phi­lo­so­phi­schen Eros, wäh­rend ich von Mama, die in kri­ti­schen Mo­men­ten die Fas­sung zu ver­lie­ren pfleg­te und wie ent­geis­tert da­saß, um­sonst Ver­stär­kung er­hoff­te. Der Ärms­te ging auf die Ton­art ein, frag­te aber be­klemmt, ob man denn eine so un­fass­ba­re, ganz ins Ge­dank­li­che ver­flüch­tig­te Sa­che über­haupt noch Lie­be nen­nen kön­ne. Ich hak­te schnell wie­der ein: Was liegt am Na­men? – und ver­brei­te­te mich über die­ses neue The­ma mit ei­ner mir sel­ber un­be­greif­li­chen Sua­da, wäh­rend mir die Angst im Na­cken saß. Gera­de zur rech­ten Zeit kam, wie von ei­nem gu­ten Geist ge­führt, Ed­gar zu­rück. Er über­sah so­fort die Lage, be­mäch­tig­te sich scher­zend des Un­glück­li­chen, der bei sei­ner Berüh­rung wil­len­los wur­de und sich von ihm zu ei­nem lan­gen Abend­spa­zier­gang fort­füh­ren ließ. Un­ter­wegs nahm er ihm das Ver­spre­chen ab, an­dern Ta­ges die Mu­sen­stadt ver­las­sen und nach Hau­se zu­rück­keh­ren zu wol­len; er sel­ber wür­de ihn eine Stre­cke weit zu Fuß be­glei­ten. Er hol­te ihn auch wirk­lich am nächs­ten Vor­mit­tag in Ge­sell­schaft ei­nes an­de­ren Freun­des ab, und die bei­den brach­ten ihn auf den Weg nach dem Schön­buch. Er schwenk­te je­doch von der Stra­ße ab und be­gab sich in ein be­freun­de­tes Pfarr­haus, wo er der Toch­ter gleich­falls sein hei­mat­lo­ses Herz an­trug und von die­ser gleich­falls mit gu­ten be­schwich­ti­gen­den Wor­ten ent­las­sen wur­de. Aber sein Ge­schick war nicht zu wen­den; ein paar Jah­re spä­ter hör­te man, dass er sei­nen tra­gi­schen Vor­satz doch noch wahr ge­macht hat­te. Es war dies ei­ner der Fäl­le, wo Wahn­sinn oder Halb­wahn­sinn, wenn er in mei­ne Nähe kam, sich ma­gisch zu mir ge­zo­gen fühl­te, ob Ver­wandt­schaft oder Hei­lung su­chend, weiß ich nicht.

      *

      Auch in mei­nem ei­ge­nen, mir ab­hol­den Ge­schlecht gab es freund­li­che Aus­nah­men. In un­se­rer Nach­bar­schaft wohn­te ein schö­nes, wohl zehn Jah­re äl­te­res Mäd­chen, das mir im­mer, wenn ich am Hau­se vor­bei­ging, von ih­rem ho­hen Fens­ter mit den Au­gen folg­te. Ge­wohnt, in sol­chen Bli­cken we­nig Wohl­wol­len zu le­sen, zähl­te ich auch sie im stil­len zu mei­nen Wi­der­sa­che­rin­nen. Da tra­fen wir uns ei­nes Abends bei ei­ner ver­arm­ten ita­lie­ni­schen Grä­fin zu ge­mein­sa­mem Un­ter­richt in de­ren Mut­ter­spra­che und wa­ren von Stun­de an Freun­din­nen. Die Ita­li­e­ne­rin starb jäh­lings weg, wir aber setz­ten die be­gon­ne­ne ita­lie­ni­sche Stun­de selbst­stän­dig bei uns im Hau­se fort. Spä­ter ge­stand sie mir, dass sie sich lan­ge Zeit glü­hend ge­wünscht habe mich ken­nen­zu­ler­nen, und dass sie dann bei je­ner ers­ten Be­geg­nung vor Herz­klop­fen nicht zu spre­chen ver­moch­te. So steht kein Er­wach­se­nes vor ei­nem Kin­de, was ich da­mals noch war, wenn es nicht in die­sem Kin­de gleich­falls das Sym­bol für ir­gend et­was Ge­ahn­tes, Un­aus­ge­spro­che­nes er­blickt. Das edle Herz hielt mir le­bens­lang die Treue, und spä­ter, als ich mich ein­mal un­ter ih­rem gast­li­chen Dach in Sit­ten auf­hielt, hat sie mir man­cher­lei tra­gi­ko­mi­sche Züge aus ih­ren ei­ge­nen Klein­stadterin­ne­run­gen ge­lie­fert, die ich mei­ner Hei­mat­no­vel­le »Das Ver­mächt­nis der Tan­te Su­san­ne« ein­ver­lei­ben konn­te. Sie war auch nicht die ein­zi­ge, die zu mir fand. In der Nähe des Mark­tes, wo un­se­re Woh­nung lag, leb­te ein an­de­res jun­ges Mäd­chen, zart und lei­dend, früh an Schwind­sucht hin­ster­bend, das mir durch un­se­ren Reit­ka­me­ra­den, dem sie heim­lich ver­lobt war, wie­der­holt Grü­ße sand­te und den in­stän­di­gen Wunsch, mich ken­nen­zu­ler­nen. Ich be­such­te sie an ih­rem La­ger und habe spä­ter in mei­nem Idyll »Wie die Ju­gend liebt« ihre früh­ge­schie­de­ne Lieb­lich­keit zum Mo­dell ge­nom­men. So zar­tes und keu­sches Lie­ben wie in dem ge­nann­ten Ge­dicht gab es noch in der da­ma­li­gen Ju­gend; die Ent­fes­se­lung al­ler Na­tur­trie­be setz­te sich erst eine spä­te­re Ge­ne­ra­ti­on zum Ziel.

      *

      Von die­sen freund­li­chen Aus­nah­men ab­ge­se­hen la­gen Acht und Bann auf mir. Dass die El­tern kei­nen Fa­mi­li­en­ver­kehr pfleg­ten und ich so­mit nir­gends ein­ge­führt war, er­leich­ter­te die Aus­schlie­ßung und er­klär­te sie auch ei­ni­ger­ma­ßen, wie ich bil­li­ger­wei­se hin­zu­set­zen muss. Es gab kei­ne Kin­der- und Fa­mi­li­en­fes­te, zu de­nen ich ge­la­den wur­de, kei­nen Chor, in dem ich hät­te mit­sin­gen kön­nen, kein Lieb­ha­ber­thea­ter, wo man mich da­bei woll­te. Und man hielt mich für hoch­mü­tig, wäh­rend ich ein schmerz­li­ches Ver­lan­gen nach Mit­da­bei­sein, nach Ge­mein­schaft in mir her­um­trug und mir trotz dem rei­chen Le­ben, das ich be­saß und das mir von al­len be­nei­det war, den Wert des Ver­sag­ten noch weit über­stei­ger­te. Das al­les hat­te ich in mir al­lein

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