Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Isolde Kurz страница 166
Der stumme Wohllaut dieser Säulenhallen,
Wo eine Welt von Marmor geistdurchweht
Mit unbewegten Augen göttlich steht
Und auf die Menschensaat die ringsum sprießt
Noch einen Abglanz ihrer Schönheit gießt,
Der Zeit gemahnend, da in diesen Reichen
Ein Menschenfrühling aufging ohnegleichen.
(Aus »Immer zu Zweien«)
Nicht als ob dieses Bild augenblicks den entzückten Sinnen aufgegangen wäre. Das nordische Auge war damals nicht geschult, ohne weiters die Herrlichkeiten des Südens aufzunehmen, es war ja nicht wie heute durch Lichtbild, Film und andere Hilfsmittel vorbereitet. Jakobsen schildert in einer seiner Novellen eine schönheitsuchende Nordländerin, die nach lebenslanger Sehnsucht endlich in Italien angekommen sich befremdet und tief enttäuscht findet. So schlimm erging es mir freilich nicht, aber doch musste auch ich erst lernen, klassische Landschaft zu sehen. Die monumentale, von innen durchleuchtete Nacktheit der großen südlichen Linie, der plastisch zugeschnittene Baumwuchs mit der strotzenden Dicke der Blätter, das ganze reiche in sich ruhende Sein, das nur zu den Augen sprach, wollte mir in seiner Stille und Unbewegtheit beinahe leblos wie ein Staffeleibild erscheinen. Pinien und Zypressen sind schweigsame Bäume; wo waren die säuselnden Blätter, die singenden Wasser, die Vogellieder meiner Heimat? Erst musste die Romantik des deutschen Naturwebens in meiner Erinnerung zurücktreten, bevor mir das hesperische Land »die Schöne im Olivenkranz / die nachgeborne Schwester Griechenlands« wurde, und der zarte Silberglanz der stillen Ölwälder, die von allen Seiten das heroische Stadtbild umschlossen, mir unverlierbar in die Seele wuchs.
Aber die Stadt, die Stadt war bezwingend auf den ersten Anblick und stilgebend für immer! Begreiflich Edgars Hochgefühl, der sie sich so rasch erobert hatte und nun Mutter und Geschwister wie in seinem Eigenen herumführte. Florenz, dieses Wunder von Hoheit und Traulichkeit, war wie ein einziger großer Palast mit Gängen und geschmückten Sälen, denen der kostbare Belag von großem, unregelmäßig geschnittenem, festverfugtem Bruchstein, auf dem sich’s so leicht und federnd ging, erst recht das Ansehen eines Innenraumes gab, und vertraulich wie in einem solchen bewegte sich auch das Leben der Bewohner auf Straßen und Plätzen. Zum freundlichen Einstand heftete mir gleich bei der Einfahrt in Florenz eine Blumenverkäuferin unentgeltlich ein Sträußchen an, und als wir vom Bahnhof nach unserem ersten Quartier in der Via della Scala fuhren, da klang mir der weiche Hufschlag auf dem edlen Pflaster so wohlig und irgendwie bedeutsam in die Ohren – und er klingt mir auch jetzt noch so, wenn ich wieder einmal dort in einen der kleinen Einspänner steige und mir von dem altvertrauten Hall bezeugen lasse, dass ich wirklich nach Florenz zurückgekehrt bin. Die klimatischen Unterschiede, die heute fast verwischt sind, und das gelassene Tempo jener Tage ergaben damals die ganz besondere Atmosphäre, jene Straßenbilder von unbeschreiblicher Anmut und Natürlichkeit, wie ich sie in meinen »Florentinischen Erinnerungen« aber niemals in der Wirklichkeit mehr finden kann. Die autodurchraste, radiodurchgellte Stadt ist innerlich ein anderes Wesen geworden als die Stille Königin, in deren Bannkreis ich gelandet war und nun all die unbeschreibliche Neuheit des südlichen Daseins in mich aufnahm. Die flutende, müßige, nach gar nichts gaffende Menge der Spaziergänger, die sich so höflich wie in Gesellschaft aneinander vorüberbewegten, die auf den Gehsteigen sitzenden Kaffeehausgäste, alle mit der Zeitung in der Hand, die hochgekämmten Mädchenköpfe an den Fenstern, wie schien es allen doch so wohl zu sein in ihrer glühenden Septembersonne. Niemand hatte Eile; die Uhr des Palazzo vecchio ging immer falsch, der mittägliche Kanonenschuss von der Festung regelte das Leben der Bewohner. Auf den hohen Bänken der alten Palazzi lagen die Blumen zum Verkauf und durchdufteten die ganze Stadt, Obsthändler mit ihren Karren – ein in der Heimat noch ganz unbekannter Anblick – zogen umher und boten Früchte von niegesehener Pracht und Fülle aus. Der Ponte vecchio lockte mit seiner Doppelreihe der altberühmten Juweliersläden, in denen es gleißte von zauberhaftem Gestein. Der schauerliche mittelalterliche Pomp der abendlichen Leichenbegängnisse mit Larven und Fackeln folgte mir bis in meine Träume. Schlaf gab es wenig, denn das Straßenleben mit Gesang und Guitarrenklang dauerte die halbe Nacht: wenn auch die Petroleumlaternen nur schwache Helle gaben, der hohe, weitgespannte Himmel selbst mit seinem unerhörten Sternenglanz übernahm die Beleuchtung. Die Monumente blieben vorerst noch stumm, sie gaben nichts her von ihrem Wissen. Zweckfremd und wundersüchtig, wie meine ganze Jugend verlief, sah ich die herrscherliche Stadt wie eine Persönlichkeit voll Reiz und Adel an, mit der ich fortan zu leben, mich mit ihrer Eigenart einzurichten hätte. Ihr mit Eifer und System, mit Stadtplan, Reiseführer, Museumskatalogen ernstlich und erschöpfend zu Leibe zu gehen, wie es für heutige Reisende das Selbstverständliche ist, konnte ich schon deshalb nicht unternehmen, weil die Stellung des weiblichen Geschlechts in südlichen Landen noch eine so orientalisch niedrige war, dass die Sitte den jungen Mädchen verbot, sich unbegleitet auf der Straße zu bewegen. Als Fremde war ich ja dieser Sitte nicht pflichtig, aber sie stand mir allerwärts durch das Aufsehen, das ich erregte, hindernd im Weg, und ich hatte doch niemand, der mit mir ging.
Im übrigen vollzog sich die Anpassung ohne Schwierigkeit, ein Heimweh konnte nicht aufkommen, schon weil der Wurzelstock mitverpflanzt war und die beiden Zurückgebliebenen, Alfred und Erwin, in Bälde nachkamen. Die Sprache war mir längst vertraut, die andern lernten sie schnell beherrschen, sogar die siebzigjährige Josephine radebrechte bald ein bisschen Italienisch, das ihr unser Jüngster, unser Balde, beibrachte, und kleine drollige Missverständnisse, wie dass sie einmal berichtete, in unserer Abwesenheit sei die Tante Saluti (tanti saluti – viele Grüße) dagewesen, erregten jedes Mal Baldes innige Heiterkeit. Dem Kranken kam das damals noch so wohlig milde Klima von Florenz in beglückender Weise zustatten; er konnte viel in der freien Luft sein oder am offenen Fenster sitzend die Heilstrahlen der Sonne genießen, die bereits im Januar den Vorfrühling ankündigten und sogar schon erste zarte Wiesenblümchen hervortrieben. Die winzigen Kamine in unserer ersten Dauerwohnung am Viale Principessa Margherita, der alten