Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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zu per­sön­lich be­fan­gen, um als si­che­re his­to­ri­sche Stüt­ze die­nen zu kön­nen. Au­ßer­dem fehl­te es stark an ein­schlä­gi­ger Li­te­ra­tur, die sich in Flo­renz nicht auf­trei­ben ließ. Also war ich wie­der ein­mal fast ganz auf mich sel­ber an­ge­wie­sen, und wenn es mir schieß­lich doch ge­lang, die schwer­wie­gen­de Auf­ga­be zu lö­sen, so habe ich wahr­haf­tig kei­ner Gunst der Um­stän­de zu dan­ken, son­dern ein­zig der Grö­ße und Be­deu­tung des Ge­gen­stands. Da­bei wi­der­fuhr mir der selt­sa­me Irr­tum, dass ich mich in der Vor­re­de zu ei­nem Bruch be­kann­te, der – ver­meint­li­cher­wei­se – durch die jä­hen Schick­sals­stö­ße wäh­rend der Ar­beit in die Dar­stel­lung ge­kom­men wäre. Es soll nur nie­mand glau­ben, ein Un­recht, das er sich sel­ber ge­tan, wer­de je von frem­der Sei­te be­rich­tigt wer­den; ist eine For­mel ge­prägt, so bleibt sie ste­hen. Die Kri­tik, die im üb­ri­gen das Buch sehr warm auf­nahm, be­mäch­tig­te sich mei­nes falschen Ge­ständ­nis­ses, und ich be­kam wie­der und wie­der zu hö­ren, dass ein Bruch durch das Buch gehe. Als ich aber nach Jahr und Tag ein­mal sel­ber das Buch mit un­be­fan­ge­nen Au­gen mus­ter­te, ent­deck­te ich, dass da von ei­nem Bruch kei­ne Spur war: die­ser war nur durch mei­ne ei­ge­ne See­le ge­gan­gen! Bei der jüngs­ten Neu­auf­la­ge nun, aus der be­sag­tes Vor­wort weg­b­lieb, ge­sch­ah das Son­der­ba­re, dass die Kri­tik mich we­gen der end­li­chen Ent­fer­nung des stö­ren­den »Bru­ches« be­lob­te, in Wahr­heit war je­doch der Text – fo­to­gra­fiert!

      Die sie­ben Jah­re zwi­schen dem Tode Ed­gars und dem letz­ten Zu­cken des Lämp­chens sind die dun­kels­ten mei­nes Le­bens ge­we­sen. Ein ste­tes Um­her­zie­hen von Pen­si­on zu Pen­si­on, von mö­blier­ter Woh­nung zu mö­blier­ter Woh­nung, von Ita­li­en nach Deutsch­land und um­ge­kehrt. Das war noch ganz an­ders als zur Zeit, wo ich al­lein den Fluch des Un­be­haust­seins kos­te­te, aber doch das liebs­te Haupt ge­bor­gen wuss­te. Jetzt konn­te jede Schäd­lich­keit zum Ver­häng­nis wer­den, jede schlecht ge­koch­te Spei­se oder ein zu kal­tes Zim­mer. Es gab auch Häu­ser, wo man ein so ge­brech­li­ches Al­ter über­haupt nicht mehr auf­neh­men woll­te. Dann ka­men die Kri­sen, wo­bei es je­des Mal die Fra­ge war, ob das Herz die Stö­ße noch ein­mal über­ste­hen wür­de. Es ka­men die lan­gen Näch­te, wo ich ne­ben ih­rem Bet­te kni­end in den ver­krampf­tes­ten Stel­lun­gen ih­ren Puls hielt und ihre Atem­zü­ge über­wach­te. Glück­lich, wer das wach­sen­de Le­ben be­treut, sei es auch in To­des­ge­fahr, aber wis­sen, dass es un­ab­wend­bar ab­wärts geht, dass jede Bes­se­rung nur ein kur­z­er Auf­schub des Letz­ten sein kann, das ist auf die Län­ge schlim­mer als das Letz­te selbst. Mei­ne See­le fror im Ge­dan­ken an den kal­ten Ab­grund jen­seits der Lie­be, der mich er­war­te­te. Ich war ja so ein­sam ge­wor­den, weil ich schon längst gar kei­ne Zeit mehr hat­te für an­de­re Mit­le­ben­de. Ein­mal in For­te hat­te ich einen Traum. Die Erde war aus­ge­stor­ben, stumm, ohne Wär­me, ohne Licht, ohne ein ein­zi­ges grü­nes Hälm­chen, ohne einen Vo­gel­laut. Ich war der letz­te Mensch auf dem ver­eis­ten Pla­ne­ten; auf ge­neig­ter Flä­che glitt ich über den ewi­gen Schnee hin­ab zwi­schen wei­ßen Schnee­wän­den, ein­sam wie es nie­mand je zu­vor ge­we­sen. Auch als sich noch ein an­de­res mensch­li­ches We­sen her­zu­fand, des­sen Ge­sicht mir nicht er­kenn­bar war, än­der­te das nichts an mei­ner Ein­sam­keit. An dem völ­lig wei­ßen Schnee­him­mel sah ich eine blas­se, run­de Schei­be, den Mond. Ich woll­te mich freu­en, dass er noch da sei, da roll­te er sich wie ein Fla­den zu­sam­men und fiel in wei­ßen Schnee­fet­zen her­un­ter. Jetzt ist auch der Mond ge­stor­ben, sag­te ich hoff­nungs­los. Da öff­ne­te sich in der Schnee­wand zu mei­ner Lin­ken eine Ni­sche wie ein Ta­ber­na­kel, ein weib­li­ches Bild­nis bog sich bis zu hal­b­em Lei­be her­aus – mei­ne Mut­ter! Vom Über­maß der Er­schüt­te­rung er­wach­te ich. Sie leb­te da­mals noch und schlief im Ne­ben­zim­mer; ich konn­te mir sa­gen, dass die Ve­rei­sung des Pla­ne­ten noch ei­ni­ge Zeit für mich hin­aus­ge­scho­ben war. Aber fes­ten Fuß fass­te ich nicht mehr auf der Erde.

      Und die Welt wur­de leer und lee­rer. Wenn ein ers­ter Ver­lust das Le­ben ei­nes Men­schen er­schüt­tert, so scha­ren sich die Freun­de en­ger um ihn, alle Wohl­ge­sinn­ten tre­ten her­zu, dass er die Lücke min­der schwer emp­fin­de. Wenn aber das Un­heil wei­ter nur und wei­ter­geht, wenn das Schick­sal im­mer aufs neue in die Ker­be haut, dass der Ge­trof­fe­ne wie ge­zeich­net steht, dann wen­den sich leicht die Her­zen der Men­schen. Die Schwa­chen, die Flau­en fal­len ab, und die Ver­wöhn­ten ho­len sich aus ih­rer Ge­bor­gen­heit her­aus das Recht, sich über den Glück­ver­las­se­nen zu er­he­ben. Da­mals bra­chen Freund­schaf­ten. Was bricht, das bre­che. Wer in die­ser Not mei­nem Her­zen nicht na­heblieb, fiel für im­mer aus mei­nem Le­ben. Kü­chen­töp­fe kann man kit­ten, ein ed­les Glas von Mu­ra­no nicht. Vor­über­ge­hend ver­zerr­te sich mir das Ge­sicht der Welt. Ich trug eine in­ner­li­che schreck­li­che Vi­si­on mit mir – war’s Dich­tung, die wer­den woll­te, oder war’s kom­men­des Welt­ge­schick, das noch tief un­ter dem Ho­ri­zon­te stand? – ich er­leb­te in mir Krieg und Flucht und Ver­fol­gung; zwei Frau­en, eine von ih­nen alt und ge­brech­lich, die von Haus und Hei­mat ver­trie­ben, ohne Ziel von Ort zu Ort ir­ren, und zu­letzt in ei­ner Zone von Ver­wüs­tung ir­gend­wo am We­grand ver­ge­hen. An­de­re Male wa­ren es zwei Schwes­tern, Per­di­ta und Pe­re­gri­na, die der Schick­sals­sturm durch die Welt warf. Jah­re­lang gin­gen die­se bei­den Sche­men in wech­seln­den Ge­stal­ten, blut­los, denn ich konn­te sie nicht näh­ren, ne­ben der trau­ri­gen Wirk­lich­keit: es war die alte Leid­ver­wand­lung, die auf luf­ti­ge­re Schul­tern ab­zu­la­den streb­te, wo­für die ei­ge­nen nicht mehr aus­reich­ten. Was mir trotz al­lem den Mut nicht völ­lig sin­ken ließ, war, dass die ge­lieb­te Last gar kei­ne Er­den­schwe­re hat­te, dass sie auch in den ärgs­ten Kri­sen ihre strah­len­de Lau­ne und die Fri­sche ih­res Geis­tes nicht ver­lor, die zwei un­zer­stör­ba­ren Merk­ma­le der Feen­kin­der.

      Da­mals schloss ich mit dem Schick­sal einen Pakt, dass es mir die­ses letz­te Bes­te, um das ich schon so­viel ge­op­fert hat­te, las­sen müs­se, so­lan­ge ich es mit dem klam­mern­den, durch nichts zu lo­ckern­den Lie­bes­wil­len fest­zu­hal­ten ver­möch­te. Ich glaub­te an sol­che Wun­der der See­len­kraft, und auch die Mä­ren der Völ­ker wuss­ten da­von. Dass der Web­stuhl still­ste­hen muss­te, war der schwers­te Ver­zicht, aber da war nichts zu ret­ten, denn wenn ich die schau­ri­ge Käl­te, vor der ich mich im­mer am meis­ten fürch­te­te, in mein Herz ein­drin­gen ließ, so muss­te mein Schaf­fen ja doch mit er­frie­ren, weil es aus mei­nem ei­ge­nen Le­ben sei­ne Wär­me zog.

      Auch die­se hoff­nungs­lo­sen Jah­re wa­ren dann und wann von hel­len Lich­tern durch­strahlt. Noch flos­sen die Som­mer gol­den über den Glückss­trand von For­te und brach­ten je und je einen Still­stand in den Ab­bau des ge­lieb­ten Le­bens. Und die dor­ti­gen Freun­de blie­ben treu; al­len vor­an Van­zet­ti, der, wo es an­ging, sei­ne Schul­tern un­ter­schob, und Hil­de­brand, der nie­mals wech­sel­te. Und so kam auch wie­der ein­mal ein Herbst am still­ge­wor­de­nen Stran­de, wo mir in der karg be­mes­se­nen Zeit eine rein dich­te­ri­sche Ge­stal­tung reif­te.

      Schon seit dem Pog­gio Im­pe­ria­le trug ich einen Lieb­lings­stoff mit mir, über den ich des öf­te­ren, ganz ge­gen mei­ne Ge­wohn­heit, mit mei­nen Nächs­ten sprach. Ich hat­te von je die alt­jü­di­sche Sage von Li­lith, Adams ers­ter Frau, als von ei­nem bö­sen dä­mo­ni­schen We­sen, das sich aus Hof­fahrt mit dem Man­ne nicht

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