Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Die sieben Jahre zwischen dem Tode Edgars und dem letzten Zucken des Lämpchens sind die dunkelsten meines Lebens gewesen. Ein stetes Umherziehen von Pension zu Pension, von möblierter Wohnung zu möblierter Wohnung, von Italien nach Deutschland und umgekehrt. Das war noch ganz anders als zur Zeit, wo ich allein den Fluch des Unbehaustseins kostete, aber doch das liebste Haupt geborgen wusste. Jetzt konnte jede Schädlichkeit zum Verhängnis werden, jede schlecht gekochte Speise oder ein zu kaltes Zimmer. Es gab auch Häuser, wo man ein so gebrechliches Alter überhaupt nicht mehr aufnehmen wollte. Dann kamen die Krisen, wobei es jedes Mal die Frage war, ob das Herz die Stöße noch einmal überstehen würde. Es kamen die langen Nächte, wo ich neben ihrem Bette kniend in den verkrampftesten Stellungen ihren Puls hielt und ihre Atemzüge überwachte. Glücklich, wer das wachsende Leben betreut, sei es auch in Todesgefahr, aber wissen, dass es unabwendbar abwärts geht, dass jede Besserung nur ein kurzer Aufschub des Letzten sein kann, das ist auf die Länge schlimmer als das Letzte selbst. Meine Seele fror im Gedanken an den kalten Abgrund jenseits der Liebe, der mich erwartete. Ich war ja so einsam geworden, weil ich schon längst gar keine Zeit mehr hatte für andere Mitlebende. Einmal in Forte hatte ich einen Traum. Die Erde war ausgestorben, stumm, ohne Wärme, ohne Licht, ohne ein einziges grünes Hälmchen, ohne einen Vogellaut. Ich war der letzte Mensch auf dem vereisten Planeten; auf geneigter Fläche glitt ich über den ewigen Schnee hinab zwischen weißen Schneewänden, einsam wie es niemand je zuvor gewesen. Auch als sich noch ein anderes menschliches Wesen herzufand, dessen Gesicht mir nicht erkennbar war, änderte das nichts an meiner Einsamkeit. An dem völlig weißen Schneehimmel sah ich eine blasse, runde Scheibe, den Mond. Ich wollte mich freuen, dass er noch da sei, da rollte er sich wie ein Fladen zusammen und fiel in weißen Schneefetzen herunter. Jetzt ist auch der Mond gestorben, sagte ich hoffnungslos. Da öffnete sich in der Schneewand zu meiner Linken eine Nische wie ein Tabernakel, ein weibliches Bildnis bog sich bis zu halbem Leibe heraus – meine Mutter! Vom Übermaß der Erschütterung erwachte ich. Sie lebte damals noch und schlief im Nebenzimmer; ich konnte mir sagen, dass die Vereisung des Planeten noch einige Zeit für mich hinausgeschoben war. Aber festen Fuß fasste ich nicht mehr auf der Erde.
Und die Welt wurde leer und leerer. Wenn ein erster Verlust das Leben eines Menschen erschüttert, so scharen sich die Freunde enger um ihn, alle Wohlgesinnten treten herzu, dass er die Lücke minder schwer empfinde. Wenn aber das Unheil weiter nur und weitergeht, wenn das Schicksal immer aufs neue in die Kerbe haut, dass der Getroffene wie gezeichnet steht, dann wenden sich leicht die Herzen der Menschen. Die Schwachen, die Flauen fallen ab, und die Verwöhnten holen sich aus ihrer Geborgenheit heraus das Recht, sich über den Glückverlassenen zu erheben. Damals brachen Freundschaften. Was bricht, das breche. Wer in dieser Not meinem Herzen nicht naheblieb, fiel für immer aus meinem Leben. Küchentöpfe kann man kitten, ein edles Glas von Murano nicht. Vorübergehend verzerrte sich mir das Gesicht der Welt. Ich trug eine innerliche schreckliche Vision mit mir – war’s Dichtung, die werden wollte, oder war’s kommendes Weltgeschick, das noch tief unter dem Horizonte stand? – ich erlebte in mir Krieg und Flucht und Verfolgung; zwei Frauen, eine von ihnen alt und gebrechlich, die von Haus und Heimat vertrieben, ohne Ziel von Ort zu Ort irren, und zuletzt in einer Zone von Verwüstung irgendwo am Wegrand vergehen. Andere Male waren es zwei Schwestern, Perdita und Peregrina, die der Schicksalssturm durch die Welt warf. Jahrelang gingen diese beiden Schemen in wechselnden Gestalten, blutlos, denn ich konnte sie nicht nähren, neben der traurigen Wirklichkeit: es war die alte Leidverwandlung, die auf luftigere Schultern abzuladen strebte, wofür die eigenen nicht mehr ausreichten. Was mir trotz allem den Mut nicht völlig sinken ließ, war, dass die geliebte Last gar keine Erdenschwere hatte, dass sie auch in den ärgsten Krisen ihre strahlende Laune und die Frische ihres Geistes nicht verlor, die zwei unzerstörbaren Merkmale der Feenkinder.
Damals schloss ich mit dem Schicksal einen Pakt, dass es mir dieses letzte Beste, um das ich schon soviel geopfert hatte, lassen müsse, solange ich es mit dem klammernden, durch nichts zu lockernden Liebeswillen festzuhalten vermöchte. Ich glaubte an solche Wunder der Seelenkraft, und auch die Mären der Völker wussten davon. Dass der Webstuhl stillstehen musste, war der schwerste Verzicht, aber da war nichts zu retten, denn wenn ich die schaurige Kälte, vor der ich mich immer am meisten fürchtete, in mein Herz eindringen ließ, so musste mein Schaffen ja doch mit erfrieren, weil es aus meinem eigenen Leben seine Wärme zog.
Auch diese hoffnungslosen Jahre waren dann und wann von hellen Lichtern durchstrahlt. Noch flossen die Sommer golden über den Glücksstrand von Forte und brachten je und je einen Stillstand in den Abbau des geliebten Lebens. Und die dortigen Freunde blieben treu; allen voran Vanzetti, der, wo es anging, seine Schultern unterschob, und Hildebrand, der niemals wechselte. Und so kam auch wieder einmal ein Herbst am stillgewordenen Strande, wo mir in der karg bemessenen Zeit eine rein dichterische Gestaltung reifte.
Schon seit dem Poggio Imperiale trug ich einen Lieblingsstoff mit mir, über den ich des öfteren, ganz gegen meine Gewohnheit, mit meinen Nächsten sprach. Ich hatte von je die altjüdische Sage von Lilith, Adams erster Frau, als von einem bösen dämonischen Wesen, das sich aus Hoffahrt mit dem Manne nicht