Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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ge­hen las­sen. Sie pfleg­te dann in ih­rer dras­ti­schen Wei­se zu kla­gen, dass ich mei­ne Ga­ben nur hät­te, um düm­mer zu sein als das dümms­te Frau­en­zim­mer. In sol­chen Fäl­len stieß ich so­gar auf den Wi­der­stand Jo­se­phi­nens, die in ih­rem ei­ge­nen Tun noch im­mer so pünkt­lich und ge­ord­net war, wie sie es im Brun­now­schen Hau­se ge­lernt hat­te, die aber mit sol­cher Lei­den­schaft an ih­rer Her­rin hing, dass sie nur mit ih­ren Au­gen se­hen konn­te. Ganz mit mir zu­frie­den wur­de mein gu­tes Müt­ter­lein erst, wenn ich end­lich, nach ver­geb­li­cher Be­mü­hung, Ord­nung zu stif­ten, ent­mu­tigt die Arme sin­ken ließ. Dann saß man wie­der in­mit­ten des häus­li­chen Durchein­an­ders, das einen nichts mehr an­ging, weltent­rückt wie die in­di­schen Wei­sen un­ter ih­rem Ur­wald­baum, und sie re­de­te zu mir über das Wo­her und Wo­hin, vor al­lem über das Wa­rum des Le­bens. Denn in die­ses zu­cken­de, rast­lo­se Flämm­chen war ein ganz stil­ler, ein­sa­mer Den­ker ein­ge­schlos­sen, der im­mer­zu über die letz­ten Ge­heim­nis­se grü­beln muss­te. Die ma­te­ria­lis­ti­sche Wel­tauf­fas­sung, die da­mals der Phi­lo­so­phie den Bo­den weg­nahm, be­frie­dig­te sie im In­nern kei­nes­wegs. Das Rät­sel des To­des mach­te ihr le­bens­lang zu schaf­fen. Sie prüf­te un­abläs­sig al­les Für und Wi­der der Grün­de für ein Fort­le­ben. Na­tür­lich kam sie nie­mals zu ei­nem Schluss, und es hing ganz von ih­rer au­gen­blick­li­chen in­ne­ren Ver­fas­sung ab, ob sie mehr dem Ja oder dem Nein zu­neig­te. Dass sie glü­hend das Ja er­sehn­te, um ihre Lie­be noch über das Er­den­le­ben hin­aus zu be­tä­ti­gen, war für sie doch kein Grund, ihr Den­ken nach ih­ren Wün­schen ein­zu­stel­len. Sie er­zähl­te mir oft, dass sie sich ein­mal mit ei­ner Be­kann­ten, Frau H. aus Ess­lin­gen, das Wort ge­ge­ben hat­te, wel­che vor der an­de­ren stür­be, die wol­le der Über­le­ben­den ein Zei­chen ge­ben. Frau H. starb, und in ei­ner der nächs­ten Näch­te sah mei­ne Mut­ter sie am Ende ei­nes lan­gen Gan­ges vor­über­ge­hen und ihr zu­ni­cken. Sie ver­stand gleich, was das Ni­cken be­deu­te, aber beim Er­wa­chen er­wach­te auch der Zwei­fel. Wes­halb soll­te mir Frau H. er­schei­nen, sag­te sie, und mei­ne Mut­ter nicht, die mich so un­end­lich ge­liebt hat? Denn auch ihre Mut­ter hat­te ihr ein sol­ches Ver­spre­chen ge­ge­ben, und sie hat­te nach ih­rem Tode be­stimmt auf eine Er­schei­nung ge­war­tet. Als sie in der Nacht an ih­rem Bet­te plötz­lich ein Licht auf­blit­zen sah, dach­te sie: das ist sie! Und lag mit klop­fen­dem Her­zen re­gungs­los, um das Licht nicht zu ver­scheu­chen, das im­mer um sie blieb und bald da, bald dort er­schi­en. Aber am Mor­gen sah sie einen to­ten Leucht­kä­fer auf dem Ge­sim­se lie­gen und war­te­te fort­an nicht mehr. Seit die­ser Ent­täu­schung lehn­te sie alle Mys­tik ent­schie­den ab, wie­wohl ein mys­ti­scher Zug un­ter dem Grun­de ih­res Be­wusst­seins lag. Sie hat­te auch wahr­sa­gen­de Träu­me, die sich selt­sa­mer­wei­se meist auf Ne­ben­säch­li­ches be­zo­gen, wie ver­leg­te Ge­gen­stän­de, de­ren Ver­steck ihr der Traum zeig­te. Bis­wei­len hat­ten aber die­se Träu­me auch be­deu­ten­de­ren In­halt, und einen da­von wer­de ich an ei­ner spä­te­ren Stel­le er­zäh­len. Es gab üb­ri­gens noch einen an­de­ren ge­heim­nis­vol­len Punkt in ih­rem See­len­le­ben, über den sie sich nur sel­ten und mit größ­ter Zu­rück­hal­tung äu­ßer­te. Sie sag­te mir näm­lich wie­der­holt auf ganz ver­schie­de­nen Al­ter­s­stu­fen, dass sie ein Dä­mo­ni­um wie das des So­kra­tes habe, das mit­un­ter sehr nach­drück­lich und stets in ab­mah­nen­der oder miss­bil­li­gen­der Wei­se zu ihr spre­che. Mehr er­fuhr ich nicht und frag­te auch nicht wei­ter, um eine sol­che Gabe, die bei ih­rem Un­ge­stüm ge­wiss wohl­tä­tig war, nicht durch Be­schrei­en zu stö­ren. Ich weiß aber, dass sie sich auch zu an­de­ren an­deu­tungs­wei­se über die Sa­che ge­äu­ßert hat.

      Ich hat­te da­mals für ihre im­mer wie­der­keh­ren­de Faus­ti­sche Kla­ge, ›dass wir nichts wis­sen kön­nen‹, we­nig Sinn. Die Tat­sa­che un­se­res Hier­seins war mir noch so neu und merk­wür­dig, dass ich nicht nach dem Wo­her und Wo­hin und am al­ler­we­nigs­ten nach dem Wa­rum frag­te. Da­ge­gen lieb­te ich es, ihre Phi­lo­so­phie durch ganz spitz­fin­di­ge Fra­gen zu be­drän­gen, wie die­se: ›Ge­setzt, Papa hät­te eine an­de­re Frau ge­nom­men und be­sä­ße von ihr eine Toch­ter, du aber hät­test einen an­de­ren Mann und gleich­falls eine Toch­ter von ihm, wel­che von den bei­den Töch­tern wäre dann ich?‹ – Närr­chen, dann wä­rest du eben über­haupt nicht vor­han­den. – Das war mir nicht vor­stell­bar: Vi­el­leicht wäre ich zwei­mal da, je­des Mal mit ei­ner falschen Hälf­te ver­bun­den? – Aber, Kind, du re­dest ja den rei­nen Un­sinn. – Oder wä­ren die zwei viel­leicht mei­ne Schwes­tern? – Das woll­te sie eher gel­ten las­sen. – Aber, Mama, wenn ich gar nicht bin, wie kann ich dann Schwes­tern ha­ben?! – Die phi­lo­so­phi­sche Un­ter­su­chung en­dig­te zu­letzt, wie phi­lo­so­phi­sche Un­ter­su­chun­gen im­mer en­den soll­ten, mit ei­nem La­chen.

      Gänz­lich un­be­rührt vom häus­li­chen Wirr­warr lag des Va­ters Stu­dier­zim­mer. Dort wal­te­te ich in sei­ner Ab­we­sen­heit ganz al­lein als Hü­te­rin des Tem­pel­frie­dens. Schon in sei­nen frü­hen Ehe­jah­ren hat­te er sich’s aus­be­dun­gen, dass kei­ne Hand in häus­li­cher Ab­sicht sein Schrei­be­pult be­rüh­re (er ar­bei­te­te im­mer ste­hend), bis sei­ne Toch­ter dar­an her­auf­ge­wach­sen sei. So­bald mei­ne Grö­ße es er­laub­te, trat ich mein täg­li­ches Amt an, das Pult zu säu­bern und die Stu­dier­lam­pe in Ord­nung zu hal­ten. Es war dies so ziem­lich die ein­zi­ge häus­li­che Ver­rich­tung, zu der ich über­haupt zu­ge­las­sen wur­de. Die we­ni­gen Male, die ich sie ge­dan­ken­los ver­säum­te, blie­ben mir schwer auf der See­le, denn dass er beim Nach­hau­se­kom­men schwei­gend und ohne ein Wort des Vor­wurfs nach dem Pe­tro­le­um­känn­chen griff, hin­ter­ließ mir einen viel tiefe­ren Ein­druck, als es der schärfs­te Ta­del ver­mocht hät­te.

      Wer nun aber aus der Gleich­gül­tig­keit mei­ner Mut­ter ge­gen die äu­ße­ren Le­bens­be­din­gun­gen schlie­ßen woll­te, sie sei mei­nem Va­ter auch eine schlech­te Geld­ver­wal­te­rin ge­we­sen, der wür­de gröb­lich ir­ren. Sie ver­stand sich auf das Ein­tei­len und Spa­ren in ei­ner Wei­se, die auch noch im Welt­krieg vor­bild­lich wäre. Fast ohne Mit­tel fünf Kin­der auf­zu­zie­hen, zu er­näh­ren, zu klei­den, war oft eine na­he­zu un­lös­ba­re Auf­ga­be; sie hat sie den­noch ge­löst, still, selbst­ver­ständ­lich, in höchs­ter Wür­de, und, was mehr ist: in un­er­schöpf­li­cher Freu­dig­keit. Das Glück, an sei­ner Sei­te zu le­ben, ver­gü­te­te ihr jede Be­schwer­de. Ich er­in­ne­re mich nicht, dass es uns Kin­dern je am Nö­ti­gen ge­fehlt hät­te. Auch klei­ne Freu­den und Er­ho­lun­gen wur­den uns nie ver­sagt; wer zu kurz kam, war im­mer nur sie selbst. Da­ne­ben hat­te sie die of­fens­te Hand für alle Be­dürf­ti­gen; sie war­te­te nie ab, dass ein Ar­mer sie auf der Stra­ße an­sprach, son­dern schlich ihm nach, bis sie ihm un­be­ob­ach­tet ge­ben konn­te. Der jet­zi­ge Be­sit­zer der Gmel­in­schen Apo­the­ke in Tü­bin­gen er­zähl­te mir, dass er oft als Kind am vä­ter­li­chen La­den­tisch mit­an­ge­se­hen habe, wie sie sich lei­se an ir­gend­ei­ne arme Frau he­randräng­te, um ihr ver­stoh­len ein Geld­stück in die Hand zu ste­cken, was nie­mand wahr­nahm als der Drei­kä­se­hoch, der die Welt von un­ten sah. Und sie hat­te wahr­lich nichts üb­rig, jede Gabe muss­te durch ver­mehr­tes Spa­ren aus­ge­gli­chen wer­den. Auch war sie im­mer­zu häus­lich tä­tig. Wäh­rend sie dem einen Kna­ben die Hose flick­te, nahm sie mit dem an­de­ren sei­ne Schul­auf­ga­ben durch, und wenn es not­tat, griff sie im Haus­halt auch beim

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