Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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nach ei­ner ähn­li­chen Er­schei­nung um­se­hen wür­de. Von sehr al­tem Adel, mit al­len Vor­tei­len ei­ner ver­fei­ner­ten Er­zie­hung aus­ge­stat­tet und doch so ur­sprüng­lich in dunk­ler Trieb­haf­tig­keit! Die­se Trieb­haf­tig­keit aber gänz­lich ab­ge­wandt vom Ich, was doch der Na­tur des Trieb­le­bens zu wi­der­spre­chen scheint! Was an­de­re sich als sitt­li­chen Sieg ab­rin­gen müs­sen, der selbst­lo­se Ent­schluss, das war bei ihr das An­ge­bo­re­ne und kam je­der­zeit als Na­tur­ge­walt aus ih­rem In­nern. Wenn ich mich um­se­he, wem ich sie ver­glei­chen könn­te, so fin­de ich nur ei­ne Ge­stalt, die ihr äh­nelt, den Po­ver­el­lo von As­si­si, der wie sie im Ele­men­te des Lie­bes­feu­ers leb­te und die frei­wil­li­ge Ar­mut zu sei­ner Braut ge­wählt hat­te. Sein Son­nen­hym­nus hät­te ganz eben­so jauch­zend aus ih­rer See­le bre­chen kön­nen. Auch in dem star­ken tie­ri­schen Ma­gne­tis­mus, der von ihr aus­ström­te, muss ihr der hei­li­ge Fran­zis­kus ge­gli­chen ha­ben, denn um bei­de dräng­te sich die Krea­tur lie­be- und hil­fe­su­chend. Kin­der und Tie­re wa­ren nicht aus mei­nes Müt­ter­leins Nähe zu brin­gen. Auch das Ir­ra­tio­na­le und Plötz­li­che, das zum We­sen der Hei­li­gen mit ge­hört, war ihr in oft er­schre­cken­dem Maße ei­gen.

      Eine un­er­hört glück­li­che Kör­per­be­schaf­fen­heit kam ih­ren in­ne­ren An­la­gen zu Hil­fe. Sie hat­te na­he­zu gar kei­ne Be­dürf­nis­se; Hit­ze und Käl­te, Hun­ger und Durst wie auch der Man­gel an Schlaf dran­gen ihr kaum ins Be­wusst­sein. Sie aß kein Fleisch, au­ßer in den sehr sel­te­nen Fäl­len ei­nes plötz­li­chen Nach­las­ses, und auch dann nur einen Bis­sen, denn das Schlach­ten der Tie­re ge­hör­te zu den Din­gen, die ihr die schö­ne Got­te­ser­de ver­düs­ter­ten. Mit­un­ter leb­te sie lan­ge Zeit über­haupt nur von ein we­nig Milch mit Weiß­brot. Ihr klei­ner, im­mer in Be­we­gung be­find­li­cher Kör­per kann­te kei­ne Mü­dig­keit noch Er­schlaf­fung. Fünf Kin­der hat­te sie an der Brust ge­nährt, alle weit über die üb­li­che Zeit hin­aus, und ihre Kraft war da­durch nicht im min­des­ten ge­schwächt. Es gab Zei­ten über­mensch­li­cher Leis­tung in ih­rem Le­ben, als sie ih­ren tod­kran­ken Jüngs­ten in sei­nen wie­der­keh­ren­den Lei­dens­kri­sen pfleg­te, Zei­ten, wo sie des Nachts nicht aus den Klei­dern kam, ihm hei­te­re Mäd­chen und Ge­schich­ten er­zähl­te, auch frei er­fand; mit der To­des­not im Her­zen, und doch am Tage ganz frisch wie­der ins Ge­schirr ih­rer häus­li­chen Pf­lich­ten ging. Was auch die viel­ge­quäl­te See­le lei­den moch­te, der Kör­per nahm kei­nen Teil dar­an, er blieb schlech­ter­dings un­ver­wüst­lich. Da­bei hat­te sie die Gabe, an je­dem Orte, zu je­der Zeit und in je­der Stel­lung rasch ein we­nig im vor­aus schla­fen zu kön­nen; wa­ren es auch nur Mi­nu­ten, so er­wach­te sie doch im­mer neu­ge­stärkt. Sie roll­te sich da­bei ganz in sich zu­sam­men und brauch­te nicht mehr Raum als ein fünf­jäh­ri­ges Kind. Aber sie schlief dann stets mit Wil­len; vom Schlum­mer über­wäl­tigt habe ich sie nie ge­se­hen. Ruhe und Ge­mäch­lich­keit wi­der­streb­ten ih­rer Na­tur, beim ers­ten Mor­gen­schein fuhr sie aus dem Bet­te und ging gleich an ir­gend­ei­ne Be­schäf­ti­gung oder, wenn wir auf dem Lan­de leb­ten, hin­aus ins Freie, denn der Son­nen­auf­gang war ihre An­dachts­stun­de. Be­quem auf ei­nem Stuhl zu sit­zen, war ihr un­er­träg­lich. Sie saß im­mer ir­gend­wo schwe­bend auf ei­ner Kan­te wie ein eben her­zu­ge­flo­ge­ner Vo­gel. Am liebs­ten aber kau­er­te sie, klein und leicht wie sie war, auf ei­nem Sche­mel oder am Bo­den.

      Ihr Ge­sicht hat­te, ohne schön zu sein, et­was un­ru­hig Fes­seln­des bei über­star­kem Glanz der Au­gen, wozu auch das schim­mern­de Wei­ße viel bei­trug. Aber erst im hö­he­ren Al­ter be­ka­men ihre Züge die er­grei­fen­de Har­mo­nie und groß­ar­ti­ge Ein­fach­heit, in der sich dann ihr ge­reif­tes We­sen wun­der­bar aus­drück­te. Durch die Schnel­lig­keit ih­res Gan­ges fiel sie noch als Acht­zi­ge­rin auf, da­bei wa­ren ihre Hän­de im­mer ein we­nig vor­aus, wie im ste­ten Be­griff zu hel­fen und zu ge­ben. Al­les ging ihr zu lang­sam, beim An­zie­hen fuhr sie noch im höchs­ten Al­ter im­mer mit bei­den Ar­men zu­gleich ins Kleid. All die­se äu­ße­re Hast war aber frei von Ner­vo­si­tät und Zer­fah­ren­heit. Man konn­te sie bei der un­ge­heu­ren Rasch­heit ih­res We­sens ei­nem je­ner hin­ja­gen­den Wir­bel­win­de ver­glei­chen, in de­ren In­ne­rem eine voll­kom­me­ne Wind­stil­le herrscht. Ihre Ge­las­sen­heit war so groß, dass sie ihre un­zäh­li­gen Brie­fe im­mer im To­hu­wa­bo­hu der Kin­der­stu­be schrieb. Auch wenn an­de­re wäh­rend­des­sen mit ihr spra­chen, ließ sie sich nicht aus ih­rem Ge­dan­ken­gang brin­gen. Sie brauch­te zum Schrei­ben nur eine Ti­sche­cke und eine von den Kin­dern ge­lie­he­ne Fe­der. Denn sie be­saß gar nichts Ei­ge­nes, nicht ein­mal Schreib­zeug. Und die Strö­me Was­sers, mit de­nen sie uns täg­lich ab­flö­ßte – ein in bür­ger­li­chen Häu­sern da­mals noch we­nig ge­pfleg­ter Brauch – wa­ren die ein­zi­ge Erin­ne­rung an die ari­sto­kra­ti­sche Le­bens­hal­tung ih­res El­tern­hau­ses, die sie mit in die Ehe her­über­nahm.

      Ihre Un­emp­find­lich­keit ge­gen Geräusch hat­te die Fol­ge, dass sie von mir den­sel­ben Gleich­mut ver­lang­te, und das war mir eine große Pein. Nicht nur mei­ne Lern­auf­ga­ben, son­dern auch mei­ne Über­set­zun­gen, die schon in den Druck gin­gen, muss­te ich un­ter ganz ähn­li­chen Be­din­gun­gen an ei­ner Ti­sche­cke zu­we­ge brin­gen, mit ei­ner Fe­der, de­ren Al­lein­be­sitz mir nicht zu­stand. So oft ich mich mit Schreib­ge­rät ver­sorg­te, im­mer ver­schwand es in der Schul­ta­sche der Brü­der, die ih­rer­seits auch nicht bes­ser ge­stellt wa­ren, denn jeg­li­ches Ding ging von Hand zu Hand, und ein je­der such­te im­mer­zu das sei­ni­ge oder was er da­für hielt; mit Aus­nah­me des Erst­ge­bo­re­nen, des­sen klei­ne Habe un­an­tast­bar war. Wä­ren die Kin­der nicht alle gut ge­ar­tet ge­we­sen, so hät­te es be­stän­di­gen Streit um das Mein und Dein ge­ben müs­sen; so gab es nur ein be­stän­di­ges är­ger­li­ches Su­chen und Fra­gen bei großem Zeit­ver­lust. Und ähn­lich ging es mit al­len an­de­ren be­weg­li­chen Ge­gen­stän­den auch. Am meis­ten war mein ar­mes Müt­ter­lein selbst ge­plagt, denn das Ob­jekt, das sich von ihr all­zu­tief ver­ach­tet fühl­te, ver­folg­te sie mit un­er­sätt­li­cher Rach­gier, so­dass sie selbst, die gute Jo­se­phi­ne und ich, die wir ihr bei­stan­den, viel Kraft in die­sem sieg­lo­sen Krie­ge ver­schwen­de­ten. Aber eine an­de­re Haus­ord­nung ein­zu­füh­ren, bei der jeg­li­ches Ding an sei­nem Platz ge­blie­ben wäre, wi­der­streb­te ihr durch­aus.

      Ich er­in­ne­re mich, dass um jene Zeit in ei­ner Kam­mer meh­re­re ganz ge­wal­ti­ge Bal­len feins­ter, hand­ge­web­ter Lein­wand la­gen; sie stamm­ten noch von mei­ner Groß­mut­ter Brun­now, die sie jahraus, jahrein für den Braut­schatz ih­rer Ma­rie hat­te we­ben las­sen. Die schö­nen Ta­felda­mas­te und Bett­lin­nen wur­den eben­so wie das kost­ba­re Kris­tall vor­zugs­wei­se zu Ge­schen­ken ver­wen­det, wenn etwa eine der jün­ge­rem Freun­din­nen sich ver­lob­te, oder zu Ver­gü­tun­gen für ge­leis­te­te Diens­te. Nun war es un­ter den Ge­schwis­tern ganz üb­lich, dass, wenn ei­ner des Mor­gens sein Hand­tuch nicht fand, weil der an­de­re es be­nützt und in den Win­kel ge­wor­fen hat­te, der Ge­schä­dig­te, statt um ein neu­es zu bit­ten, ein­fach zur Sche­re griff, um sich von dem Lein­wand­bal­len ein be­lie­bi­ges Stück ab­zu­schnei­den, das er ohne Um­stän­de in Ge­brauch nahm. Mein Müt­ter­lein ver­wehr­te es nicht, sie half wohl sel­ber mit, wenn ge­ra­de der Schlüs­sel zum Wä­sche­schrank ver­legt war. Als ich ihr nun ei­nes Ta­ges den Vor­schlag

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