Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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See­le.

      Auch in der jun­gen Ge­ne­ra­ti­on schos­sen die Son­der­lin­ge ins Kraut, ob­gleich sie nun doch schon einen viel welt­män­ni­sche­ren An­strich be­ka­men. Wer er­in­nert sich nicht aus den sieb­zi­ger Jah­ren an die Ge­stalt des Dr. Eu­ting, der als jüngs­ter Kol­le­ge mei­nes Va­ters an der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek am­te­te und sich spä­ter von Straß­burg aus als Ori­ent­rei­sen­der einen Na­men mach­te? Er war weit un­ter Re­kru­ten­maß, hat­te aber sehr brei­te Schul­tern und einen sport­lich ent­wi­ckel­ten Kör­per, der sich in den straf­fen, schnel­len­den Be­we­gun­gen ver­riet. Eu­ting war da­mals schon im Ori­ent ge­we­sen und ge­hab­te sich seit­dem als Tür­ke. Sei­ne Be­weg­lich­keit, sei­ne schwar­zen, um­her­sprin­gen­den Au­gen, ein selt­sam ge­run­zel­tes, aber doch jun­ges Ge­sicht, das aus­sah wie von hei­ße­rer Son­ne ge­dörrt, ga­ben ihm ein völ­lig fremd­ar­ti­ges An­se­hen. Den ge­we­se­nen Stift­ler merk­te man ihm nicht mehr an, er lehr­te jetzt se­mi­ti­sche Spra­chen, be­son­ders das Ara­bi­sche. Als au­ßer­or­dent­lich mu­ti­ger Mensch, der er war, haus­te er mut­ter­see­len­al­lein in dem un­heim­li­chen »Has­pel­turm« hin­ter dem Schlos­se. Da bei Ein­bruch der Dun­kel­heit die nach dem Schloss­hof füh­ren­de Pfor­te ge­schlos­sen wur­de, war er bei Nacht in sei­nem Turm von al­len Le­ben­den ge­schie­den. Er hat­te es durch­ge­setzt, in die­sem ehe­ma­li­gen Ge­fäng­nis der zum Tode Ver­ur­teil­ten, des­sen durch kei­ne Trep­pe er­reich­ba­res Ver­ließ noch Men­schen­kno­chen ber­gen soll­te, sich ein paar Zim­mer ein­rich­ten zu las­sen, de­nen er durch ori­en­ta­li­sche Tep­pi­che und De­cken ein ei­ni­ger­ma­ßen wohn­li­ches An­se­hen gab. Dort saß er mit un­ter­ge­schla­ge­nen Bei­nen, den ro­ten Fes auf dem Kopf, am Bo­den, aus mäch­ti­ger Was­ser­pfei­fe rau­chend, und be­wir­te­te sei­ne Be­su­cher und Be­su­che­rin­nen mit selbst­ge­brau­tem tür­ki­schem Kaf­fee in win­zi­gen Schäl­chen, al­les echt und stil­ge­recht. Da­bei er­zähl­te er von Wüs­ten­rit­ten, Ha­rems­be­su­chen und der­glei­chen. Er war ein leb­haf­ter Ver­eh­rer der Da­men­welt, doch war ihm sei­ne Klein­heit beim weib­li­chen Ge­schlech­te hin­der­lich, mehr noch sein be­kann­ter Auss­pruch, dass er hof­fe, der­mal­einst mit zwölf jun­gen Eu­tings über die Neckar­brücke zu spa­zie­ren, alle vom glei­chen Wuchs und glei­cher Schnei­dig­keit wie er. Ihm war es ge­ge­ben, sei­ne Ei­gen­hei­ten noch über den Tod hin­aus fort­zu­set­zen. Er bau­te sich zu Leb­zei­ten mit­ten un­ter den frei­en Schwarz­wald­tan­nen des Ruh­steins sein Grab und be­stimm­te, dass ein­mal im Jahr, an sei­nem Ge­burts­tag, je­der Be­su­cher an die­ser Stät­te mit ei­ner Tas­se Kaf­fee ge­labt wer­den soll­te. Erst die Kaf­fee­knapp­heit des Welt­kriegs hat die­sen schö­nen Brauch in Ab­gang ge­bracht. Doch wir müs­sen die­ses spä­te Bild ver­wi­schen, um wie­der zu den Son­der­lin­gen des al­ten Tü­bin­gen zu­rück­zu­keh­ren.

      Da war un­ter an­de­ren der Ewi­ge Stu­dent, ein Mensch, der bis zu sei­nem Tode auf der Uni­ver­si­tät ver­blieb und der mit der Zeit mehr als vier­zig Se­mes­ter auf den Rücken be­kam. Er hat­te sehr an­sehn­li­che Sti­pen­di­en, die ihm so lan­ge aus­be­zahlt wur­den, als er stu­dier­te; die­sen zu­lie­be stu­dier­te er im­mer wei­ter, Che­mie und Na­tur­wis­sen­schaf­ten, ohne je ein Ex­amen zu ma­chen. Mit der Zeit hat­te er es doch zu ganz tüch­ti­gen Kennt­nis­sen ge­bracht, die ihm ge­stat­te­ten, an­de­re Stu­den­ten aufs Ex­amen vor­zu­be­rei­ten. Als die­se dann mit der Zeit Pro­fes­so­ren wur­den, hör­te er sel­ber wie­der bei ih­nen Kol­leg. Mein Bru­der Al­fred frag­te ihn als Stu­dent ein­mal, wie er doch nur bei sei­nen ei­ge­nen ehe­ma­li­gen Schü­lern im Hör­saal sit­zen und so eif­rig nach­schrei­ben möge. O, ant­wor­te­te er, da ist je­des Wort Gold, es kommt ja al­les von mir sel­ber.

      Von ei­nem an­de­ren Me­di­zi­ner wur­de er­zählt, dass er als ver­bum­mel­ter Stu­dent mit sehr ge­rin­gen Kennt­nis­sen nach Ame­ri­ka durch­ge­brannt sei und sich wäh­rend des Se­zes­si­ons­krie­ges den Nord­staa­ten als Arzt zur Ver­fü­gung ge­stellt habe. Dort stieg er bis zum Ge­ne­ral­arzt auf. Aber nach Frie­dens­schluss wur­de ihm doch we­gen sei­ner Stel­lung ban­ge, er kehr­te mit dem er­wor­be­nen Ti­tel nach Tü­bin­gen zu­rück, hör­te wie­der Kol­leg, und die Pro­fes­so­ren, de­nen sein Auf­tre­ten Ein­druck mach­te, lie­ßen ihn denn auch glimpf­lich im Ex­amen durch­schlüp­fen.

      Un­ter den Klein­bür­gern gab es eben­falls ganz merk­wür­di­ge Ge­stal­ten, die von der Ju­gend mit Vor­lie­be aus­ge­sucht wur­den und die sich die stu­den­ti­sche Ge­sell­schaft zur be­son­de­ren Ehre schätz­ten. Eine der be­kann­tes­ten war der alte Hor­nung, ein ur­al­ter Ve­teran von 1813. Er saß je­den Abend im Wirts­haus und spiel­te Kar­ten; da­bei war er als sehr gei­zig be­kannt. Ed­gar setz­te sich in sei­ner Stu­den­ten­zeit gern zu ihm und mal­te ihm, wäh­rend er spiel­te, einen Kreu­zer auf den Tisch. Da er nicht mehr gut sah und gern mo­gel­te, griff er da­nach: Der ist auch noch mein! und woll­te ihn ein­strei­chen. Das nächs­te­mal wur­de der Kreu­zer an eine an­de­re Stel­le ge­malt, und er griff aber­mals da­nach. Auf den al­ten Hor­nung wur­den in Tü­bin­gen die be­kann­ten Na­po­leo­na­n­ek­do­ten aus der Schlacht von Leip­zig über­tra­gen. Eine aber hör­te mein Bru­der aus sei­nem ei­ge­nen Mun­de: Ein fran­zö­si­scher Ser­geant hat­te als Vor­ge­setz­ter den Mann viel drang­sa­liert. Als sie nun ei­nes Ta­ges Sei­te an Sei­te über einen Gra­ben set­zen, fällt der Fran­zo­se und ruft um Hil­fe. Der Hor­nung aber rei­tet wei­ter, in­dem er mit Nach­druck spricht: Wer reit’t, der reit’t, und wer leit, der leit (liegt).

      Die gan­ze bun­te Tü­bin­ger Ro­man­tik ge­hör­te nun aber ein­zig und al­lein dem Stu­den­ten. Da­ne­ben leb­te und web­te Tür an Tür das engs­te Spieß­bür­ger­tum. Die Ge­sel­lig­keit war durch stren­gen Kas­ten­geist ge­re­gelt und ent­behr­te der An­mut. Die Frau als ge­sell­schaft­li­che Macht ver­sag­te ganz. Man sah al­ler En­den hüb­sche jun­ge Mäd­chen, aber äu­ßerst sel­ten eine hüb­sche jun­ge Frau. So­bald sich die da­ma­li­gen Schwä­bin­nen ver­hei­ra­te­ten, hiel­ten sie nichts mehr auf ihre Per­son. Nach Pfle­ge des Geis­tes und Kör­pers zu stre­ben, galt für »Eman­zi­piert­heit« und Ei­tel­keit und war über­dies ein Zei­chen man­geln­der Haus­frau­en­tu­gend. Es konn­te vor­kom­men, dass der Mann hohe aka­de­mi­sche Wür­den in­ne­hat­te und dass die Frau Magd­diens­te ver­rich­te­te. Nicht aus Not, son­dern weil sie kei­ne hö­he­ren Zie­le kann­te. So ver­moch­te der gan­ze Le­bens­stil sich nicht zu er­he­ben. Auch der Stu­dent lern­te nur die Rei­ze des Stu­den­ten­le­bens, nicht die ei­ner hö­he­ren Ge­sel­lig­keit ken­nen. Und wie fan­tas­tisch er’s ge­trie­ben ha­ben moch­te, am Schluss der Uni­ver­si­täts­jah­re muss­te auch er un­ter­du­cken, sich der läh­men­den Enge ein­rei­hen, wenn er im Lan­de sein Aus­kom­men fin­den woll­te. Da­rum klang auch so weh­mü­tig der Sang der Ab­zie­hen­den: Muss sel­ber nun Phi­lis­ter sein, ade!

      Um die aus den Tü­bin­ger Ver­hält­nis­sen her­vor­ge­hen­de Ein­sei­tig­keit oder Ver­wil­de­rung zu be­kämp­fen, war Fried­rich Vi­scher, so­lan­ge er in Tü­bin­gen leb­te und lehr­te, be­müht, die Ver­le­gung der Uni­ver­si­tät in die Lan­des­haupt­stadt durch­zu­set­zen. Da­mit wäre frei­lich zu­gleich al­ler Reiz der Über­lie­fe­rung aus dem stu­den­ti­schen Le­ben ge­schwun­den. Er fand aber mit die­sem Lieb­lings­ge­dan­ken kei­nen An­klang und konn­te nur für sei­ne ei­ge­ne Per­son die

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