Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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mit den Brü­dern über das Ge­s­pens­ter­we­sen, aber so­bald die Son­ne zu sin­ken be­gann, be­son­ders an Win­ter­aben­den, wur­de mir be­klemmt zu­mu­te, denn nun wuchs es un­heim­lich aus der Däm­me­rung her­aus und streck­te hun­dert Arme nach mir. In Ge­gen­wart der Er­wach­se­nen war ja zu­nächst noch Schutz, und be­son­ders in die war­me Nähe der müt­ter­li­chen Rö­cke wag­te sich nichts Ge­s­pens­ti­sches her­an, aber des Nachts im Bett, so­bald die Lich­ter ge­löscht wa­ren, ge­hör­te die Welt den Dä­mo­nen. Es gab dann fürch­ter­li­che Din­ge, die kei­nen Na­men hat­ten. Aus den auf­ge­häng­ten Klei­dern ka­men sie ge­kro­chen, die Blu­men der Ta­pe­te, die in ge­heim­nis­vol­lem Zu­sam­men­hang mit der Un­ter­welt stan­den, lie­ßen sie aus ih­ren Kel­chen schlüp­fen, und das Hand­tuch war mit ih­nen im Bun­de, denn es lieh ih­nen die Kör­per­lich­keit und den weiß­li­chen Schein, um mich zu schre­cken. Den gan­zen Raum rings um das Bett nahm das Zwi­schen­reich ein, da­ge­gen gab es kei­nen Schutz, nur im Bet­te sel­ber war Si­cher­heit. Aber eine un­ter der De­cke vor­ste­hen­de Ze­hen­spit­ze wäre den Geis­tern un­rett­bar ver­fal­len. Also muss­te man sich eng zu­sam­men­zie­hen, um je­des Glied des Lei­bes vor ih­nen zu schüt­zen, bis ein er­bar­men­der Schlum­mer das wild­po­chen­de Kin­der­herz be­schwich­tig­te. Dann aber ka­men die Träu­me und mach­ten die Angst­ge­dan­ken zu wirk­li­chen Ge­scheh­nis­sen. In die­ser qual­vol­len Ge­s­pens­ter­furcht scheint die be­dau­erns­wer­te Kind­heit, wenn sie nicht gut über­wacht wird, die dump­fe Früh­zeit des Men­schen­ge­schlechts wie­der­ho­len zu müs­sen. Aber kaum dass der lie­be Mor­gen mir den Spuk ver­jag­te, so er­gab ich mich im Schutz der Son­ne aufs neue dem Gift­ge­nuss.

      In Scheibles »Klos­ter« hat­ten wir die An­lei­tung zu wei­ßer und schwar­zer Ma­gie ge­fun­den, den Schlüs­sel Sa­lo­mo­nis und Fausts Höl­len­zwang. Wir stu­dier­ten und rät­sel­ten an dem Schem­ham­pho­rasch und dem ge­heim­nis­vol­len Abr­a­kada­b­ra her­um, das wir auf großen Pa­pier­bo­gen kunst­ge­recht ab­wan­del­ten. Wenn wir uns aber un­be­ob­ach­tet wuss­ten, so ver­such­ten wir uns am Höl­len­zwang. Wir mal­ten als­dann mit Krei­de einen Zau­ber­kreis auf den Fuß­bo­den, füll­ten ihn mit den vor­ge­schrie­be­nen Zei­chen und Zah­len aus, stell­ten uns eng zu­sam­men­ge­drängt hin­ein, wo­bei streng zu be­ach­ten war, dass auch kein Zip­fel ei­nes Klei­dungs­stückes über den ma­gi­schen Kreis her­vor­ste­he, weil das sehr ge­fähr­lich ge­we­sen wäre, und be­fah­len den höl­li­schen Herr­schaf­ten zu er­schei­nen. Dass sie nicht ge­horch­ten, war mir sehr an­ge­nehm; ich hät­te auch nicht ge­wusst, was von ih­nen ver­lan­gen, denn ich trug we­der nach Schät­zen noch nach über­mensch­li­chem Wis­sen ein son­der­li­ches Be­gehr. Aber des Nachts in mei­nen Träu­men er­schie­nen sie doch und nah­men mir den Frie­den. Wie die an­dern sich zu den in­ne­ren Fol­gen un­se­rer Höl­len­küns­te stell­ten, weiß ich nicht. Von Ed­gar kann ich an­neh­men, dass er sei­ne Über­le­gen­heit wahr­te, denn er ver­stand es, durch Wil­lens­kraft trotz star­ker Fan­ta­sie­an­la­ge alle aber­gläu­bi­schen Re­gun­gen nie­der­zu­zwin­gen, wie ich ihn über­haupt bei sei­ner zar­ten Kör­per­be­schaf­fen­heit nie­mals und vor kei­ner Sa­che in Furcht ge­se­hen habe. Wie gern hät­te ich es ihm dar­in gleich­ge­tan! Im Schei­ble wa­ren die al­ten Pup­pen­spie­le von Faust und die Ge­schich­te sei­nes Fa­mu­lus Chri­stoph Wa­gner ab­ge­druckt, worin der letz­te­re nach sei­nes Meis­ters Höl­len­fahrt sich sel­ber auf die Zau­be­rei ver­legt und nach Ablauf der be­dun­ge­nen Zeit von sei­nem höl­li­schen Die­ner, dem Au­er­hahn, zer­ris­sen und in den Schwe­fel­pfuhl ab­ge­führt wird. Auf dem Stich, der die­se gräu­li­che Be­ge­ben­heit dar­stell­te, wa­ren die Ge­bei­ne des un­se­li­gen Fa­mu­lus zu se­hen, wie sie der böse Geist her­um­ge­streut hat, schau­er­li­cher­wei­se ab­ge­nagt wie Kü­chen­kno­chen. Die­se Ab­bil­dung grub sich mir mit un­ver­lösch­li­chen Zü­gen ins Herz, und so­bald ich nachts die Au­gen schloss, stand sie vor mir, dass mich das Grau­en über­mann­te. Ich glaub­te zwar kein Wort von der gan­zen graus­li­chen Ge­schich­te und sah auch das Bild bei Tage mit über­le­ge­nem Lä­cheln an, aber im Dun­keln wur­de ich wehr­los. Erst als ich Goe­thes Faust ken­nen lern­te, scho­ben sich die rei­nen Ge­stal­ten der Dich­tung vor jene Spuk- und Zerr­bil­der, die durch sie ent­kräf­tet und ge­bannt wur­den. Die Angst­träu­me aber dau­er­ten mei­ne gan­ze Ju­gend hin­durch in ver­än­der­ter Ge­stalt fort und stei­ger­ten sich mit­un­ter bis zur Hal­lu­zi­na­ti­on. Das Schlimms­te war, so oft die Liebs­ten und Nächs­ten durch ir­gend­ein rät­sel­haf­tes ei­ge­nes Ver­schul­den im Trau­me ver­lie­ren zu müs­sen. Erst wenn die Son­ne wie­der Macht be­kam, auch so­lang sie sich noch un­ter dem Ho­ri­zont be­fand, fiel der Alp­druck ab. Wel­che Er­lö­sung, wenn dann noch in der Däm­me­rung von der Kü­che her, wo die treue Jo­se­phi­ne wal­te­te, ein un­ter­drück­tes Geräusch ver­nehm­bar ward und mit ei­nem Male sich der Ge­ruch frisch ge­mah­le­ner Kaf­fee­boh­nen durch das Haus ver­brei­te­te. Gott­lob, die Lie­ben leb­ten noch, es gab noch einen Mor­gen­kaf­fee auf der Welt, und die sor­gen­de Lie­be wach­te auch heu­te. Ich möch­te doch die Se­lig­keit mei­ner ers­ten Ju­gend nicht zu­rück­ha­ben, wenn ich all die Angst, das Schuld­ge­fühl, die bö­sen Träu­me und was sonst die jun­ge See­le be­dräng­te, wie­der in Kauf neh­men müss­te.

      Un­ter­des­sen hat­te auch das Le­se­gift, wo­mit ich mich durch­tränk­te, all­mäh­lich aus sich selbst ein heil­sa­mes Ge­gen­gift er­zeugt: ich be­gann sel­ber zu schrei­ben, was die Ängs­te wun­der­sam be­schwich­tig­te. Der der­be, volks­tüm­li­che Stil des Faust­schen Pup­pen­spiels hat­te mir’s an­ge­tan und dräng­te mich, ein Dra­ma in der glei­chen Stilart zu ver­fas­sen. Ich wähl­te mir einen Hel­den aus der va­ter­län­di­schen Ge­schich­te, Her­zog Ul­rich von Würt­tem­berg, nicht als hoch­her­zi­gen Ver­bann­ten, wie ihn Hauff ver­herr­licht hat, son­dern vor sei­nem Sturz in der Ty­ran­nen­lau­ne. Wo­her ich das ge­schicht­li­che Rüst­zeug er­hielt, weiß ich nicht mehr, ver­mut­lich be­schaff­te es der gute Papa aus der ihm un­ter­stell­ten Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek. Ul­richs Ehe­zwist mit der zun­gen­schnel­len Sa­bi­ne von Bay­ern und die Lie­be zu der schö­nen, sanf­ten Ur­su­la Thum­bin, der Ge­mah­lin sei­nes Stall­meis­ters Hans von Hut­ten, gab die Fa­bel des Stückes ab. Dass ein spä­ter Nach­fahr des Thumb­schen Ge­schlech­tes, der Baron Al­fred Thumb, ein Ju­gend­freund und ehe­ma­li­ger Ver­eh­rer mei­ner Mut­ter, nach dem mein Bru­der Al­fred be­nannt war, uns häu­fig be­such­te und uns auf sein Sch­löss­chen in Un­ter­boi­hin­gen ein­lud, hat­te auf mei­ne Muse be­geis­ternd mit­ein­ge­wirkt. Na­tür­lich durf­te der von der Fama um­her­ge­tra­ge­ne Fuß­fall des stol­zen Her­zogs vor sei­nem Va­sal­len, den er ver­geb­lich mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men an­fleh­te, zu ge­stat­ten, »dass er sei­ne ehe­li­che Haus­frau lieb­ha­ben möge, denn er könn’ und wöll’ und mög’s nit las­sen«, in mei­nem Stück nicht feh­len. Ich ließ so­gar in mei­ner Ein­falt den Lan­des­va­ter einen Frau­en­tausch vor­schla­gen, der von dem Hut­ten mit Hohn zu­rück­ge­wie­sen wird.

      Und da nun die­ser, nach­dem er den kitz­li­gen Vor­gang stadt­kun­dig ge­macht, so un­vor­sich­tig ist, dem tief­ge­kränk­ten Ge­bie­ter un­ge­wapp­net zur Jagd im Schön­buch zu fol­gen, über­fällt und er­schlägt ihn der Furcht­ba­re im ein­sa­men Forst und hängt höchstei­gen­hän­dig den To­ten an eine Ei­che, wie in der Ge­schich­te Würt­tem­bergs mit klei­nen Ab­wei­chun­gen zu le­sen. Am Schluss muss­te noch Ul­rich von Hut­ten als Vet­ter

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