Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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auf un­ser Haus nicht pas­sen, wo die ers­te Voraus­set­zung dazu fehl­te: der vä­ter­li­che Er­folg, die wei­che Luft äu­ße­rer Ehren und Vor­tei­le, worin die An­sprü­che wach­sen und die Selbst­stän­dig­keit ver­küm­mert. Uns Kin­dern war im Ge­gen­teil das Le­ben au­ßer­or­dent­lich schwie­rig ge­macht. Wir sa­hen des Va­ters Grö­ße un­ver­stan­den oder halb­ver­ges­sen und lit­ten selbst für die Idea­le un­se­rer El­tern, ehe wir die­se Idea­le ver­ste­hen konn­ten. Und da nicht nur die äu­ße­ren Ver­hält­nis­se an uns häm­mer­ten, son­dern sich die Ge­schwis­ter auch noch ge­gen­sei­tig die­sen Dienst er­wie­sen, wur­de die müt­ter­li­che Ver­wöh­nung reich­lich auf­ge­wo­gen.

      Als ich sah, dass mei­ne Heim­lich­kei­ten im­mer aufs neue ent­weiht wur­den, be­schloss ich aus Zorn und Gram, die Ein­ge­bun­gen, die mir ka­men, künf­tig lie­ber gar nicht mehr auf­zu­schrei­ben, und nun ver­sieg­ten sie all­mäh­lich ganz. Ich war’s zu­frie­den, denn ich hoff­te, durch die­ses Op­fer mit dem Le­ben bes­ser in Ein­klang zu kom­men. Ei­ne Vor­stel­lung wirk­te da­bei be­son­ders mit: Ma­mas Ju­gend­ge­nos­se Al­fred von Thumb sag­te mir zu­wei­len, wenn er von sei­nem Un­ter­boi­hin­gen her­über­kam, war­nend: Nur kein Blau­strumpf wer­den! Ich stell­te mir dar­un­ter ein un­schö­nes, kör­per­lich ver­nach­läs­sig­tes und geis­tig ver­dreh­tes We­sen mit kur­z­em Haar und Bril­le vor und bäum­te mich ge­gen den Ge­dan­ken auf, eine eben­sol­che Vo­gel­scheu­che wer­den zu sol­len. Das »Wun­der­kind« mach­te also die über­eil­ten Er­war­tun­gen wie auch Be­sorg­nis­se zu­schan­den, denn der ver­früh­te Trieb, der noch gar kei­nen Le­bens­stoff zum Ge­stal­ten hat­te, leg­te sich zu ei­nem lan­gen Ge­sund­heits­schlaf nie­der und ließ sich durch kei­ne müt­ter­li­che Un­ge­duld mehr auf­rüt­teln.

      Noch in mei­nem elf­ten Jah­re war eine Ge­stalt in un­se­ren Fa­mi­li­en­kreis ge­tre­ten, durch die all­mäh­lich mein in­ne­res Le­ben ganz um­ge­schal­tet wur­de und die am meis­ten dazu bei­trug, dass die treib­haus­ar­ti­ge geis­ti­ge Ent­wick­lung zum Still­stand kam. Ei­nes Ta­ges er­schie­nen da zwei un­an­ge­mel­de­te Gäs­te, Mut­ter und Toch­ter, aus Mainz. Die hüb­sche, sehr le­bens­lus­ti­ge Mut­ter, eine Freun­din der mei­ni­gen, stand im Be­griff zu Frau Wil­hel­mi nach Spa­ni­en zu rei­sen; ihr Töch­ter­lein Lili soll­te un­ter­des­sen im Schut­ze mei­ner El­tern in Tü­bin­gen blei­ben und an mei­nen Un­ter­richt teil­neh­men. Lili war zwei Jah­re äl­ter als ich, nicht grö­ßer, aber viel ent­wi­ckel­ter und trug auch schon halb­lan­ge Klei­der, wäh­rend die mei­nen nur bis an die Knie gin­gen. Sie war eben­so wie ihre Mut­ter mit Ge­schmack und ei­ner ge­wis­sen Ko­ket­te­rie ge­klei­det, und die leich­te rhei­ni­sche Mund­art stand ihr al­ler­liebst. Beim ers­ten Ein­tritt war sie, aus ei­ner stil­len, zier­li­chen Da­men­woh­nung kom­mend, ein we­nig be­stürzt über den wil­den Um­trieb in un­se­rem Hau­se und zer­drück­te, wie sie mir spä­ter ge­stand, heim­lich ein paar Trä­nen. Aber sie wuss­te sich takt­voll zu schi­cken. Ihr mun­te­res Main­zer Na­tu­rell fand schnell den rech­ten Ton, und als man uns bei­de nach dem Nachtes­sen zu Bet­te schick­te, war schon eine Freund­schaft fürs Le­ben ge­schlos­sen, de­ren Herz­lich­keit nie­mals im Lauf der Jah­re durch einen Hauch ge­trübt wer­den soll­te. Es ist et­was Ei­ge­nes und Hei­li­ges um sol­che Ju­gend­freund­schaf­ten, auch wenn sie gar nicht auf der Grund­la­ge des geis­ti­gen Ver­ste­hens auf­ge­baut sind. Wä­ren wir uns zehn Jah­re spä­ter zum ers­ten Mal be­geg­net, so hät­ten wir schwer­lich eine Brücke zu­ein­an­der ge­fun­den, aber je­nes emp­fäng­li­che Al­ter ver­mag auch das Un­gleich­ar­tigs­te auf­zu­neh­men und fest­zu­hal­ten, ja dies ist ihm recht ei­gent­lich zur Er­wei­te­rung des Ge­sichts­krei­ses ein Be­dürf­nis. Sol­che Ju­gend­freund­schaf­ten neh­men mit den Jah­ren ganz das We­sen der Bluts­ver­wandt­schaft an: man fährt fort sich zu lie­ben und fragt nicht nach den ab­wei­chen­den Le­bens­an­schau­un­gen, die bei neu­en Be­kannt­schaf­ten ein so großes Hin­der­nis bil­den.

      Der jun­ge Gast teil­te für die­se Nacht mein Bett. Ich sah mit scheu­er Ehr­furcht auf die knos­pen­de Jung­fräu­lich­keit, die aus den halb­kind­li­chen Hül­len stieg, und drück­te mich nach der Wand, um der An­mut­vol­len so viel Raum wie mög­lich zu las­sen. Aber zu­gleich be­fiel mich ein boh­ren­der Schmerz, denn ich dach­te an ge­wis­se gars­ti­ge Kin­der aus dem Hin­ter­hof, die mich, wenn ich auf den großen auf­ge­schich­te­ten Zim­mer­manns­bal­ken am Stein­la­chu­fer schau­kel­te, hin­ter­rücks her­un­ters­tie­ßen, dass ich auf die Nase fiel, und mir Schimpf­wor­te nachrie­fen. An die­se ro­hen Ge­schöp­fe fürch­te­te ich mei­ne an­ge­staun­te Lili ver­lie­ren zu müs­sen, denn ich hat­te schon die Er­fah­rung ge­macht, dass be­freun­de­ten Kin­dern, wenn es sich ums Spie­len han­del­te, nicht zu trau­en war; sie lie­fen cha­rak­ter­los der Un­ter­hal­tung nach, wo sie sich zeig­te. Ich fass­te mir ein Herz und teil­te Lili mit, in wel­chem Kriegs­zu­stand ich mich mit dem Hin­ter­ho­fe be­fand und dass man nicht zu­gleich mit mir und je­nen Freund­schaft ha­ben konn­te.

      Lili ant­wor­te­te mit ei­ner Be­stimmt­heit, die mich bei ih­rem wei­chen We­sen über­rasch­te: Du kannst ganz ru­hig sein, ich spie­le nicht mit den ro­hen Kin­dern. Ich spie­le über­haupt nicht mehr mit Kin­dern – und nun lüf­te­te sie vor mei­nem stau­nen­den Geis­te den Zip­fel ei­nes Vor­hangs, durch den ich in ein neu­es Wun­der­land blick­te, das Land der Tanz­stun­den, der lan­gen Klei­der, der Ver­eh­rer! Ich wuss­te ja von Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten weit mehr als sonst Kin­der zu wis­sen pfleg­ten, da die Ver­hält­nis­se der Gro­ßen von je­her vor mei­nen Ohren ver­han­delt wor­den wa­ren, aber ich wuss­te es nur mit dem Ver­stand, es ging mich in mei­nem Kin­der­lan­de nichts an, son­dern lag wel­ten­fern in ei­ner vier­ten Di­men­si­on! Durch Li­lis Wor­te rück­te das al­les auf ein­mal ganz nahe her­an, dass es mir fast den Atem nahm. Aber es ge­fiel mir au­ßer­or­dent­lich, und ich ent­sch­lief un­ter dem Ein­druck, plötz­lich einen großen Schritt im Le­ben vor­wärts ge­tan zu ha­ben.

      Des an­de­ren Ta­ges wur­de Lili, weil bei uns kein Platz war, in ei­ner be­nach­bar­ten Fa­mi­lie in Pen­si­on ge­ge­ben. Sie ver­brach­te aber die meis­te Zeit bei uns und ge­wöhn­te sich schnell an un­ser Haus­we­sen. Sie war ein un­ge­mein lieb­li­ches Stück Na­tur, des­sen An­mut nichts bloß Äu­ßer­li­ches war, son­dern aus ei­ner an­mu­ti­gen See­le floss. Es gab nie­mand, der an ih­rem ge­fäl­li­gen, schmieg­sa­men We­sen kei­ne Freu­de ge­habt hät­te. Eine ge­wis­se Wil­len­lo­sig­keit und Läs­sig­keit, die man an ihr be­merk­te, ta­ten ih­rem Lieb­reiz kei­nen Ein­trag. Ich konn­te mir spä­ter Goe­thes be­zau­bern­de Lili nie an­ders als un­ter dem Bil­de der mei­ni­gen den­ken. Wenn mei­ne Lili auch kei­ne so glän­zen­de Schön­heit und kei­ne so große ver­wöhn­te Dame war, so er­in­ner­te sie doch durch ihre spie­le­ri­sche Schalk­heit und na­tür­li­che An­zie­hungs­kraft an jene strah­len­de­re Ge­stalt. Die sehr wohl­ge­form­ten, ob­schon et­was großen Züge ih­res im­mer lä­cheln­den Ge­sichts, die dunklen, ent­ge­gen­kom­men­den Au­gen voll Gut­her­zig­keit und Schel­me­rei un­ter dem rei­chen asch­blon­den Haar, ihre mit­tel­große, gra­zi­öse Ge­stalt hat­ten einen Reiz, den man­che grö­ße­re Schön­heit ent­behrt. Wenn sie mit dem ko­ket­ten Pelz­mütz­chen auf ih­ren im­mer schön­ge­ord­ne­ten Haa­ren in der wip­pen­den Kri­no­li­ne da­her­kam, war es

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