Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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klein auf mei­nen Teil. Da­bei ahn­te sie gar nicht, was ich Grau­sa­mes litt. Ich be­fand mich ja in ei­nem Le­bensal­ter, wo die See­len­kräf­te noch viel schla­fen soll­ten, um sich nicht vor der Zeit zu ver­zeh­ren. Sie aber hielt mich selt­sa­mer­wei­se für un­emp­find­lich, weil ich un­ter all den hem­mungs­lo­sen Geis­tern frü­he dazu ge­kom­men war, mir Zwang an­zu­tun, um das Züng­lein der Wage sein zu kön­nen. Auch hat­te ich all­mäh­lich be­gon­nen, mich lei­se von ih­rer Ge­dan­ken­welt, die bis­her eine ge­mein­sa­me ge­we­sen war, ab­zu­lö­sen. Es schi­en mir, als ob ihre An­sich­ten, die sie so feu­rig aus­sprach, mit der Welt, wie ich sie sah, nicht ganz stim­men woll­ten. So ein­fach wa­ren die Din­ge doch wohl nicht, dass es ge­nüg­te, zu die­ser oder je­ner Par­tei zu ge­hö­ren, um ein En­gel oder das ge­ra­de Ge­gen­teil zu sein. Auch das mit den Preu­ßen konn­te ich nicht mehr so recht glau­ben, be­son­ders nach­dem es 1866 vor mei­nen Au­gen so glimpf­lich ab­ge­lau­fen war. Vi­el­leicht steck­ten auch nicht in je­dem Lie­bes­paar, dem der el­ter­li­che Se­gen fehl­te, ein Ro­meo und eine Ju­lia, für die man un­be­dingt ein­ste­hen muss­te. Je äl­ter ich wur­de, de­sto mehr brei­te­te sich nun der Wi­der­spruch aus und griff all­mäh­lich in alle Ge­bie­te des Le­bens über; es hieß aber be­hut­sam sein, denn ihr Tem­pe­ra­ment war un­be­re­chen­bar. Das bes­te war, sie zum La­chen zu brin­gen. Wenn sie zor­nig oder auf­ge­regt wur­de, so dreh­te sie sich blitz­schnell um sich sel­ber mit ei­ner ganz süd­li­chen Ge­bär­den­spra­che, die ich ne­ckend ih­ren Kriegs­tanz nann­te. Über einen sol­chen Scherz konn­te sie plötz­lich hellauf la­chen, dann war der Zorn ver­flo­gen. Sie lach­te ja so ger­ne, und am liebs­ten über sich selbst. Nie wer­de ich ein son­ni­ge­res, sorg­lo­se­res Kin­der­la­chen hö­ren.

      Auf ihr We­sen hat­te bis­her noch nie ein Mensch wirk­li­chen Ein­fluss ge­habt, auch mein Va­ter nicht. Sie lieb­te ihn mit ei­ner Lie­be, die An­be­tung und Got­tes­dienst war. Sie stütz­te den Rin­gen­den und er­setz­te dem Un­ver­stan­de­nen die gläu­bi­ge Ge­mein­de. Die­se tra­gen­de Kraft muss­te für den um drei­zehn Jah­re äl­te­ren Mann von un­schätz­ba­rem Wer­te sein. Ich habe mich oft ge­fragt, wie es wohl ge­gan­gen wäre mit ei­ner bie­de­ren schwä­bi­schen Haus­frau bür­ger­li­chen Schla­ges, die ihm wohl sei­ne Wirt­schaft pein­lich ge­nau ge­führt, ihm aber da­für mit Le­bens­sor­gen in den Ohren ge­le­gen hät­te. Mei­ne Mut­ter hielt die ir­di­schen Nöte von vorn­her­ein für un­zer­trenn­lich vom Dich­ter­los und war stolz dar­auf, sie mit ihm zu tei­len. Sie ver­mit­tel­te den Kin­dern die Geis­tes­welt des schweig­sam ge­wor­de­nen Va­ters und er­zog uns so zur Ver­eh­rung für ihn, dass selbst der wil­de Al­fred in sei­ner Ge­gen­wart lamm­fromm war. Aber in ih­ren Mei­nun­gen und Grund­sät­zen ließ sie sich auch durch ihn nicht be­ein­flus­sen. Er war zu reif, zu aus­ge­gli­chen, um auf die Im­mer­wer­den­de, Nicht­fer­tig­wer­den­de zu wir­ken. Bei sei­ner Nei­gung, je­der Per­sön­lich­keit ihre Art zu las­sen, hat er wohl auch nie ernst­haft ver­sucht, den Sinn für die Ab­stu­fun­gen in ihr zu we­cken. Die­se Auf­ga­be fiel ei­nem viel jün­ge­ren, aus ihr selbst ge­bo­re­nen We­sen zu, das sich an ihr und häu­fig ge­gen sie ent­wi­ckel­te und an des­sen Ent­wick­lung sie sel­ber wei­ter­wuchs. Ihr bei­zu­brin­gen, dass es zwi­schen Schwarz und Weiß un­end­li­che Zwi­schen­tö­ne gibt, dass nicht jede Er­kennt­nis in je­der See­le gute Früch­te trägt, dass auch der bes­ten Sa­che mit Schwei­gen zu­wei­len bes­ser ge­dient ist als mit Re­den, sol­cher­lei Aus­gleichspo­li­tik be­schäf­tig­te mei­nen Kopf schon in ei­nem Al­ter, wo an­de­re noch mit der Pup­pe spie­len. So oft das häus­li­che Gleich­ge­wicht schwank­te, muss­te ich es ein­ren­ken. Und oft ge­nug, wenn ich glaub­te, recht ge­schickt eine Klip­pe um­steu­ert zu ha­ben, warf noch im letz­ten Au­gen­blick ihr Un­ge­stüm mei­ne gan­ze Be­rech­nung um. Welch ein täg­lich er­neu­tes Rin­gen, wie viel Miss­ver­ständ­nis­se und bei­der­sei­ti­ges Herzweh! Über mich er­gos­sen sich alle Ge­wit­ter ih­res stür­mi­schen Na­tu­rells. Je mehr Leid uns dar­aus er­wuchs, de­sto zärt­li­cher hin­gen wir zu­sam­men. Aber oft emp­fand ich es als eine be­son­de­re Här­te des Schick­sals, dass ge­ra­de ich be­ru­fen sein soll­te, nur im­mer Däm­me auf­zu­rich­ten, Gren­zen zu zie­hen, Ver­nunft zu pre­di­gen, da doch Le­bensal­ter und ei­ge­ne An­la­ge mir nach mei­ner Mei­nung viel­mehr das Recht ge­ge­ben hät­ten, sel­ber die Un­ver­nünf­ti­ge zu sein.

      Uun­ter­des­sen fei­er­te auch Ed­gar sei­ne vita nuo­va in ei­nem Freund­schafts­ver­hält­nis, das et­was von der Über­schweng­lich­keit ei­ner ers­ten Lie­be an sich hat­te.

      In sei­ner Klas­se, aber in ei­ner hö­he­ren Ab­tei­lung, saß ein äl­te­rer Mit­schü­ler, Ernst Mohl, ein Pfar­rers­sohn aus Hildriz­hau­sen, der den zu­erst er­grif­fe­nen Kauf­manns­be­ruf ge­gen den Wunsch sei­ner El­tern mit den Gym­na­si­al­stu­di­en ver­tauscht hat­te und so un­ter den jün­ge­ren Jahr­gang ge­ra­ten war. Die­sem schloss sich Ed­gar mit sei­nem gan­zen Feu­er an. Sie tausch­ten ihre li­te­ra­ri­schen und phi­lo­so­phi­schen An­sich­ten aus, teil­ten sich ge­gen­sei­tig ihre Ge­dich­te mit, und der ein­fach er­zo­ge­ne Pfar­rers­sohn, der bis da­hin still vor sich hin ge­lebt und nur mit den frömms­ten Fa­mi­li­en ver­kehrt hat­te, sah sich plötz­lich in einen Wir­bel geis­ti­ger An­re­gung hin­ein­ge­zo­gen. Auch ich wur­de schon in den ers­ten Ta­gen in den neu­en Bund ein­ge­schlos­sen. Denn als die bei­den ein­mal zu­sam­men durch die Al­leen schlen­der­ten, be­geg­ne­te ih­nen ein Trupp Ka­me­ra­den, die einen Arm­voll Ro­sen in ei­nem Gar­ten ge­bro­chen hat­ten, und man kam über­ein, die schö­nen Blu­men ei­nem Mäd­chen zu schi­cken. Aber wem? – Ed­gars Schwes­ter, ent­schied Mohl. Er hat­te schon vor der Be­kannt­schaft mit dem Bru­der ei­nes Ta­ges ein blon­des Mägd­lein leicht­fü­ßig über die Stra­ße hüp­fen se­hen und war durch eine Toch­ter Phi­li­stä­as be­lehrt wor­den, dass dies das Kurz­sche Hei­den­kind sei. Und als­bald hat­te er in sei­ner See­le für das Hei­den­kind und ge­gen Phi­li­stäa Par­tei ge­nom­men. Die Ka­me­ra­den stimm­ten zu, und er wur­de be­auf­tragt, eine Wid­mung im Na­men al­ler zu schrei­ben. Er zog sich zu­rück und schmie­de­te als­bald ein form­ge­rech­tes, ju­gend­lich über­schweng­li­ches So­nett, in dem er je­doch der Ka­me­ra­den nicht ge­dach­te, son­dern nur sei­ne ei­ge­ne Sa­che vor­trug. Blu­men und Ver­se über­brach­te mir Ed­gar. Ich fühl­te mich durch die ge­reim­te Hul­di­gung sehr ge­ho­ben; eine sol­che war bis jetzt nicht ein­mal Lili zu­teil ge­wor­den. Die Ver­se wa­ren für mich, was für den Knap­pen der Rit­ter­schlag.

      We­ni­ge Tage spä­ter saß ich mit den El­tern in Schwärz­loch, der lie­ben al­ten Wald­wirt­schaft, wo Frau Läch­ler, die phi­lo­so­phi­sche Wir­tin, uns ihre Sau­er­milch mit dem be­rühm­ten Schwarz­brot vor­setz­te. Da er­schi­en Ed­gar mit sei­nem neu­en Freund und stell­te ihn vor, einen groß­ge­wach­se­nen, aber noch sehr schüch­ter­nen Jüng­ling, dem mit sei­nen sieb­zehn Jah­ren schon der Voll­bart sproß­te. Der Neu­ling war in­ner­lich sehr er­schüt­tert von dem, was er ge­tan hat­te, und sah sein Un­ter­fan­gen nach­träg­lich als eine Un­ge­heu­er­lich­keit an. Aber die Drei­zehn­jäh­ri­ge dank­te ge­setzt und da­men­haft für die Blu­men und nahm die Begleit­ver­se als Form­sa­che und Rit­ter­stil auf, wo­nach die Be­fan­gen­heit sich all­mäh­lich lös­te. Wir wa­ren da­mals ge­ra­de aus dem großen kal­ten Haus an der Stein­lach in die neue Woh­nung in der in­ne­ren Stadt ge­zo­gen, die

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